Er hat der Republik den Spiegel vorgehalten, er hat die Menschen mit bayerischem Humor entlarvt in Filmen wie „Schtonk!“ und TV-Serien wie „Kir Royal“. Jetzt ist der Regisseur und Drehbuchautor Helmut Dietl im Alter von 70 Jahren an Krebs gestorben.
München/Berlin - Die 1800 Gäste der Gala zur Verleihung des Deutschen Filmpreises wollen gar nicht aufhören zu klatschen. Alle haben sich von ihren Plätzen erhoben, Uschi Glas und Katja Riemann, Bully Herbig, Dieter Hallervorden, Christine Neubauer und Edgar Reitz applaudieren einträchtig diesem Mann, der leicht zitternd seine Trophäe, die Goldene Lola, in Empfang genommen hat. „Danke, danke, danke!“, beschwichtigt er schließlich das Publikum. „Bitte setzen Sie sich hin, sonst muss ich weinen!“ Der Mann, der da im Mai 2014 in Berlin für sein Lebenswerk geehrt wird, ist Helmut Dietl. Es soll einer seiner letzten großen Auftritte werden. An diesem Montag ist der Regisseur und Drehbuchautor im Alter von 70 Jahren zu Hause in München gestorben.
Schon bei der Preisverleihung vor einem Jahr war er gezeichnet von der Krebserkrankung, die er im November 2013 in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ öffentlich gemacht hatte: Lungenkrebs mit Heilungschancen von höchstens zehn Prozent – „eher drunter“. Überrascht sei er von der Diagnose aber nicht gewesen, sagte er in dem Interview: „Wenn man bedenkt, wie viel ich geraucht habe, dann ist es geradezu ein Wunder, dass es so lange gutgegangen ist.“ Sechs Jahre zuvor hatte er mit dem Rauchen aufgehört und bis dahin nach eigener Berechnung ungefähr eine Million Gitanes geraucht.
Der ergreifende Auftritt Helmut Dietls bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises wird bleiben. Ein Denkmal hat er sich selbst aber vor allem mit seinen Filmen und Fernsehserien gesetzt, in denen er Deutschland lehrte, über sich selbst zu lachen.
Dietl war eine Art bajuwarischer Woody Allen, einer, für den es ein großer Spaß war, menschliche Schwächen und Eigentümlichkeiten vorzuführen und der Lächerlichkeit preiszugeben. Hinreißend komisch gelang ihm das in „Schtonk!“, dieser aberwitzigen Farce, in der er im Jahr 1992 mit Götz George und Uwe Ochsenknecht in den Hauptrollen die „Stern“-Affäre um die gefälschten Hitler-Tagebücher kurios verarbeitete.
Und unerreicht bleibt die sechsteilige Serie „Kir Royal“ aus dem Jahr 1986. Vordergründig erzählt diese vom Klatschreporter Baby Schimmerlos (Franz Xaver Kroetz) und der Münchner Schickeria. In Wahrheit drehten der Regisseur, sein Co-Autor Patrick Süskind und Schauspieler wie Senta Berger und Dieter Hildebrandt die ganze Menschheit satirisch durch die Mangel – ihre Eitelkeiten, ihre Wichtigtuerei und all ihre bigotte Verlogenheit. Da kauft sich ein Industrieller (Mario Adorf) in die High Society ein, da lässt eine enthüllte Schwangerschaft einen Film platzen, da zocken sich Politiker und Konsuln gegenseitig ab, und eine Bayerin, die einen afrikanischen Potentaten geheiratet hat, wird auf Heimatbesuch mit einem Schweizer Waffenhändler ertappt.
Kaum etwas, das seither im deutschen Fernsehseriengeschäft produziert wurde, hat die Klasse von „Kir Royal“ erreicht. Auch Dietl selbst konnte an den Erfolg nicht anknüpfen, als er sich 2012 in der Kinosatire „Zettl“ noch einmal in die Welt von Baby Schimmerlos wagte – nun mit Bully Herbig in der Rolle des bayerischen Chauffeurs Max Zettl in der Hauptrolle. Vielleicht scheiterte „Zettl“ aber auch nur deshalb so grandios, weil Dietl ausnahmsweise seiner Heimatstadt München den Rücken kehrte und sich nach Berlin verirrte.
Dietl, der am 22. Juni 1944 im oberbayerischen Bad Wiessee geboren wurde, kam nach seinem Abitur an einem Schwabinger Gymnasium, einem abgebrochenen Studium der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte und einem Abstecher in die Münchner Kammerspiele zu Film und Fernsehen. 1973 debütierte er mit den inzwischen legendären „Münchner Geschichten“ im Vorabendprogramm. 1979 kam sein Film „Der Durchdreher“ in die Kinos und wurde mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet.
Zunächst arbeitete Dietl vor allem für das Fernsehen, machte sich mit Serien wie „Der ganz normale Wahnsinn“ (1979) mit Towje Kleiner, „Monaco Franze“ (1983) mit Helmut Fischer und Ruth Maria Kubitschek und schließlich mit „Kir Royal“ (1986) einen Namen. Dann zog es ihn ins Kino. Auf „Schtonk!“ (1992) folgen „Rossini“ (1997) mit Götz George und Mario Adorf, „Late Show“ (1999) mit Thomas Gottschalk und Harald Schmidt sowie „Vom Suchen und Finden der Liebe“ mit Moritz Bleibtreu und Alexandra Maria Lara.
In den Filmen Helmut Dietls, der zwischen 1990 und 1999 mit Veronica Ferres liiert und seit 2002 in vierter Ehe mit Tamara Duve verheiratet war, lagen das Komische und das Tragische oft nah beieinander. „Die einen kriegen Kinder, die anderen machen Filme. Jeder wehrt sich auf seine Weise gegen den Tod, so gut es geht“, sagte er einmal in einem Interview. Und selbst über seine tödliche Erkrankung konnte Helmut Dietl scherzen. Als sie ihm im November 2014 im Stage-Theater am Potsdamer Platz in Berlin auch noch einen Bambi für sein Lebenswerk überreichten, bedankte er sich höflich und sagte fein lächelnd: „Wenn Sie in zehn Jahren wieder einen Lebenspreis zu vergeben haben – ich bin bereit.“