Davie Bowie bei einer Fotosession zu dem Album „Blackstar“, das zwei Tage vor seinem Tod erschien. Foto: Sony Music

Er war Außerirdischer und Astronaut, Popavantgardist, Verkleidungskünstler und Geschmackspolizist: David Bowie hat den Glamrock, Berlin und sich selbst erfunden. Zwei Tage nach seinem 69. Geburststag, an dem er das Album „Blackstar“ veröffentlichte, erlag der große Alleskönner einem Krebsleiden.

New York - Nie war ein Astronaut einsamer als David Bowies Major Tom, der in dem Lied „Space Oddity“ schwere- und ziellos in seiner Blechbüchse durchs All treibt, runter auf den traurig-blauen Planeten Erde blickt und weiß, dass er nichts an der Ausweglosigkeit ändern kann. Die Gitarrenakkorde, mit denen Bowie das Raumfahrerlamento verziert, klingen schrammelig-betrübt, das Mellotron, das Rick Wakeman beisteuert, der später bei Yes in buntere Fantasiewelten fliehen sollte, übersetzt unendliche Weite, unerträgliche Leere in träges Brummen.

Es war der Beginn einer unglaublichen Sternenreise, die in die Weiten des Weltalls und zurück führte, und die jetzt viel zu früh zu Ende gegangen ist. „David Bowie ist heute friedlich, nach einem mutigen, 18 Monate langen Kampf gegen Krebs im Kreise seiner Familie gestorben“, hat sein Pressesprecher Sonntagnacht über Facebook mitgeteilt. Und Bowies Sohn, der Regisseur Duncan Jones, postete kurz darauf auf Twitter ein Foto, auf dem er als Kind auf den Schultern seines Vaters zu sehen ist und schrieb: „Bin sehr traurig und betrübt, dass ich sagen muss, dass es wahr ist.“ Mit David Bowie verliert die Welt einen der kreativsten, erfinderischsten, mutigsten und klügsten Köpfe, die er Pop je hervorgebracht hat – einen Mann, der über viele Jahrzehnte die Musik wie kein anderer beeinflusst und geprägt hat.

Der Popstar, der vom Himmel fiel

Am 11. Juli 1969 – nur wenige Tage bevor Neil Armstrong die ersten Schritte auf dem Mond machte – wurde hastig die Single „Space Oddity“ veröffentlicht, mit der David Bowie endlich einen Treffer landete und es bis auf Platz fünf der britischen Charts schaffte. David Robert Jones war damals 22, nannte sich seit einiger Zeit schon David Bowie, um nicht mehr mit Davy Jones von den Monkees verwechselt zu werden, und wartete auf so einen Hit. Seit er Little Richards „Tutti Frutti“ gehört hatte, wollte der Sohn einer Kinoplatzanweiserin und des Mitarbeiters einer Hilfsorganisation Popstar werden. Mit 15 bekam er ein Plastiksaxofon geschenkt, bald gründete er seine erste Band.

Mit den Konrads trat er bei Hochzeiten auf, machte mit den King Bees Blues, trieb – Major Tom nicht ganz unähnlich – ziellos umher, spielte bei den Manish Boys, dem Lower Third, bei Buzz, der Riot Squad und versuchte schließlich sein Glück allein. Das psychedelisch-folkloristisch daherkommende Solodebüt aus dem Jahr 1967 fiel allerdings nicht weiter auf.

Und das, obwohl ihm schon damals eine fremdartige, faszinierende Ausstrahlung nachgesagt wurde. Bereits als Kind hatte David Bowie bei Pfadfindertreffen durch Chuck-Berry- und Elvis-Presley-Imitationen für Aufsehen gesorgt, und sein Biograf Christopher Sandford behauptet, diese Auftritte seien laut Augenzeugen schon „so hypnotisierend gewesen, als ob er von einem anderen Planeten stammt“.

Auch 140 Millionen verkaufte Platten später wirkte David Bowie immer noch wie einer, von einem anderen Stern – androgyn, alterslos, unnahbar, cool, irgendwie weltfremd und ein wenig unheimlich. Wie der Mann, der vom Himmel fiel, den er im gleichnamigen Science-Fiction-Film von Nicolas Roeg im Jahr 1976 spielte – eine Film, dem David Bowie gerade erst eine Fortsetzung in Form des Off-Broadway-Musicals „Lazarus“ beschert hat (auch wenn er diesmal nicht selbst mitspielte).

Der Raumfahrer, der ins Unendliche strebt

Egal ob er sich hinter psychedelischen Folk oder Glamrock, hinter New-Wave-Minimalismus, souligem Pop, knurrigem Rock, hypernervösen Elektrobeats, neoklassizistischen Epen oder wie zuletzt hinter Jazzrock versteckte – die Aura des Fremdartigen hat David Bowie stets kultiviert. Dazu passt, dass er früh Science-Fiction-Stoffe als seine popmusikalische Nische entdeckte.

Anfang der 1970er Jahre erfand er sich als Kunstfigur Ziggy Stardust neu und den Glamrock gleich mit, sang vom „Starman“, einem an Nietzsches Übermenschen erinnernden Außerirdischen, der die Welt aus ihrem Elend erlösen könnte, schuf in der Ballade „Life On Mars“, die der britische Radiosender BBC treffend als eine „Kreuzung aus Broadway-Musical und einem Gemälde von Salvador Dalí“ bezeichnet hat, ein ergreifendes Stück Popkultur, in dem es nicht wirklich um Science-Fiction, sondern Vereinsamung geht.

Auch Major Toms Raumfahrergeschichte sollte eine Umdeutung erfahren. „Space Oddity“ erwies sich als Beginn einer Fortsetzungsgeschichte, an der Bowie 1980 mit dem Song „Ashes To Ashes“ anknüpfte. Bei diesem Wiedersehen mit Major Tom ist nichts mehr von der Hippie-Fantasie übrig, die „Space Oddity“ noch einfärbte, wenn von einem Mann erzählt wird, der ins Unendliche strebt. Begleitet von einem unwillkürlich zuckenden Groove wird Major Tom nun als Junkie denunziert, der nicht wirklich durchs All schwebt, sondern drogenbenebelt auf dem Boden aufschlagen wird. Und in „Hallo Spaceboy“ (1995), einer düsteren Fantasie der Selbstbefreiung, verkleidet sich Bowie als Nine Inch Nails, träumt davon, alles hinter sich und Major Tom, der längst zum popkulturellen Allgemeinplatz geworden war (siehe Peter Schillings Vulgärversion „Völlig losgelöst“), endlich im Mondstaub versinken zu lassen.

Der Mann, der Berlin erfand

David Bowie selbst versank nach seinen Glamrock-Science-Fiction-Abenteuern in den frühen 1970ern aber nicht im Mondstaub, sondern landete in Westberlin . Er zog 1976 nach Schöneberg, teilte sich eine Wohnung mit Iggy Pop, entdeckte seine Vorliebe für deutsche Bands wie Kraftwerk oder Neu! und erfand sich aus dem Geist des Krautrock wieder einmal neu. Mit dem Produzenten Brian Eno entstanden die drei Alben „Low“, „Heroes“ und „Lodger“, die heute gerne auch als „Berlin-Triptychon“ bezeichnet werden und zum Besten zählen, was Bowie je gemacht hat und was dem Pop je passiert ist.

Doch wichtiger als Berlin für Bowie war Bowie für Berlin. Er erlöste die geteilte Stadt aus der Tristesse der bundesrepublikanischen Wirklichkeit, entdeckte das Urbane als Topos der Popmusik und Berlin als ihr Epizentrum. Inzwischen haben Bands wie U2, Depeche Mode oder R.E.M. versucht nachzuempfinden, was Bowie in Berlin erlebte, und sich selbst neu zu (er-)finden – mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Tatsächlich darf David Bowie als der Mann gelten, der das Sich-selbst-neu-Erfinden erfunden hat, das inzwischen längst selbst zum Popklischee geworden ist. Ihn aber als „Popchamäleon“ zu bezeichnen, zählt zu den größten Irrtümern, die die Musikkritik hervorgebracht hat. Ein Chamäleon passt sich farblich seiner Umwelt an. Bowie hat stattdessen der Welt immer wieder erfolgreich neue Farben vorgegeben, hat sich nie Trends untergeordnet, sondern das bestimmt, was gerade Zeitgeist ist.

Der Sternenreisende, der im Himmel ankommt

Man verzeiht David Bowie darum auch einige Geschmacksverirrungen und Mainstreamaffären: seine Bühnenauftritte mit Tina Turner, sein Duett mit Mick Jagger in „Dancing In The Streets“ und mit Queen in „Under Pressure“. Und sogar die Kajagoogoo-Perücke, die er in Jim Hensons Fantasyfilm „Die Reise ins Labyrinth“ trug.

Seit David Bowie 2004 auf der Bühne des „Hurricane“-Festivals einen Herzanfall hatte, tourte er nicht mehr, mischte sich aber immer wieder stilsicher ins Popgeschäft ein, trat mit Arcade Fire auf, hat 2006 bei TV On The Radio und 2008 bei Scarlett Johanssons Tom-Waits-Platte ausgeholfen. 2013 meldete er sich dann völlig überraschend mit dem im Wehmut getauchten Album „The Next Day“ zurück. Und am vergangenen Freitag, seinem 69. Geburtstag, erschien das Album „Blackstar“.

Zwei Tage vor seinem Tod nahm er einen noch einmal mit auf eine sensationelle Sternenreise, schüttelte einen mit Dissonanzen, Soundexperimenten, aber auch wunderbaren Songs ein letztes Mal kräftig durcheinander – und kündigte im Wiederauferstehungssong „Lazarus“ bereits seine nächste Reise an: „Look up here, I’m in heaven / I’ve got scars that can’t be seen / I’ve got drama, can’t be stolen / Everybody knows me now“, singt David Bowie zum Abschied: Schaut hoch, ich bin im Himmel, meine Wunden kann keiner sehen, mein Drama kann mir keiner nehmen – und jeder kennt mich jetzt. Mach’s gut, Major Tom, und Danke für die Musik!