So kannten ihn viele: Gert Ehret am Zapfhahn seiner Kneipe Lehen.

 Foto: /Heike Armbruster

36 Jahre lang zapfte Gert Ehret, ein Spross der 68er Generation, in dessen Kneipentoilette Karl Marx hing, Bier im Lehen. Der Wirt des Lehenviertels, der bei vielen als hilfsbereit in Erinnerung bleibt, ist nach schwerer Krankheit mit 71 Jahren gestorben.

Weil’s nicht immer nur rund läuft im Leben, braucht der Mensch zuweilen ’ne Ecke, seine Eckkneipe also. Gert Ehret war überzeugt davon und mochte solche Sprüche. Nicht alle Wirte jagen den Trends nach. Der langjährige Chef des Lehens im Lehenviertel gehörte zu denen, die das Vertraute liebten. Verlässlichkeit schafft Heimat – dies hat er 36 Jahre lang am Zapfhahn vorgeführt. Nach schwerer Krankheit ist ein Original des Stuttgarter Südens an Ostermontag im Alter von 71 Jahren gestorben.

Der Charme der Eiche sticht ewig. Das Lehen, darauf war Ehret stolz, sah bei ihm nach über drei Jahrzehnten so aus wie 1980, als der damalige Lehramtsanwärter in das 1909 erbaute Lokal des Lehensviertels kam und sich „sofort in die Räume verliebte“, wie er gern erzählte. Bei ihm war also nix mit Schule, in die er, anders als geplant, doch nicht als Lehrer zurückkehrte. Doch auch in der Kneipe kann man viel lernen, erst recht fürs Leben, führte der Gastronom vor. Alle Jahre mal hat „der Gert“, wie ihn alle nannten, frisch gestrichen, sonst aber nicht viel geändert, also am Bewährten festgehalten.

Aus „Selbstbestimmung“ wurde „Selbstausbeutung“, sagte er

„Alternativ“ war das Wort der 80er, in denen man „selbstbestimmt“ leben wollte. Aus „Selbstbestimmung“ wurde „Selbstausbeutung“, wie Ehret einmal in einem Interview mit unserer Zeitung sagte. Wer reich werden wolle, müsse ja nicht gleich Pächter einer Eckkneipe werden, warnte er. Hier sei die Gefahr groß, dass man seine Altersversorgung flüssig machen müsse, um mit der Kneipe zu überleben und überhaupt das Alter zu erreichen. 2016 hat er das Lehen an die neue Pächterin Karin Beck übergeben.

Auch wenn der Bierverkauf nicht so viel abwarf, freute sich Gert Ehret über den „Reichtum“ seiner Kneipe, der nichts mit Geld zu tun habe. Familiär ging’s bei ihm zu. Viele Stammgäste kamen zu ihm, Ehret kümmerte sich auch um deren private Sorgen liebevoll und mit viel Feingefühl – etwa nach dem Tod eines geliebten Partners.

Mit seiner runden Erscheinung wirkte er wie ein Fels in der Brandung

Das Lehen war praktizierte Solidarität. Dazu brauchte der Alt-68er keine Parolen oder rote Fahnen mehr. Den Karl Max zumindest wollte er bei sich auf dem Männerklo behalten. Wenn ein Stammgast am Tresen fehlte, fragten die anderen daheim nach, was los war. Wer in der Kneipe zu Hause ist, ist selten bei sich zu Hause – eine alte Weisheit, die aus Gästen immer wieder Freunde machte. Oft hält’s ein Leben lang. Mit seiner runden Erscheinung wirkte der Lehen-Chef wie ein Fels in der Brandung. Gert Ehret freute sich, dass Stuttgart „nicht mehr so eng und spießig“ wie zu seiner Jugend war, „sondern immer offener und lebenswerter“ wurde, wie er sagte.

Das Lehen besaß eine eigene Bibliothek, in die Gäste alte Bücher stellen und die Bücher von anderen mitnehmen konnten. Eine Kneipe ist nicht nur eine Kneipe. Sie ist auch ein Kulturgut, das Menschen wie Gert Ehret geschützt haben. Die Trauerfeier für ihn findet am Freitag, 5. Mai, 14 Uhr, auf dem Pragfriedhof statt.