Das Haus der Familie liegt direkt an der Zugstrecke von Bad Cannstatt nach Waiblingen Foto: Maira Schmidt

Nach Einschätzung der Anwohner hat der Zugverkehr auf der Bahnstrecke entlang der Remstalstraße deutlich zugenommen. Gerade mal zwei Stunden Schlaf pro Nacht, ständig verschlossene Fenster und ein Garten, den man nicht mehr nutzen könne, seien die Folge.

Bad Cannstatt - So hat sich Waltraud Roller ihr Zuhause nicht vorgestellt. Seit 45 Jahren wohnt sie mit ihrer Familie an der Dinkelsbühler Straße, direkt an der Ecke zur Remstalstraße und unmittelbar an der Zugstrecke von Bad Cannstatt nach Waiblingen. Ende der 60er Jahre haben sie und ihr Mann die Wohnung gekauft. Damals sei die Gegend sehr idyllisch gewesen, erzählt die 69-Jährige; am Rande des Landschaftsschutzgebiets, mit einem breiten Panoramaweg und nur zwei nicht besonders stark befahrenen Bahngleisen vor der Tür.

S-Bahnen, Regional- und Güterzüge fahren auf der Strecke

Doch seither hat sich einiges verändert. Der Panoramaweg ist drei weiteren Gleisen gewichen. S-Bahnen, Regional- und Güterzüge fahren inzwischen auf der Strecke. Bis halb zwei in der Nacht würden die Züge an ihrem Haus vorbeirattern, um ihre Fahrt bereits um halb vier in der Früh wieder aufzunehmen. „Das sind gerade mal zwei Stunden, in denen wir schlafen können“, sagt Waltraud Roller. „Ich kann nur mit Ohrenstöpseln schlafen“, berichtet auch ihre Tochter Anja Bork, die mit ihrem Mann in der oberen Etage des Hauses wohnt. Nachts ein Fenster zu öffnen komme ohnehin nicht in Frage. Telefonieren oder Fernsehgucken sei ebenfalls nur hinter verschlossenen Fenstern möglich. Und: „Wir können unseren Garten kaum noch nutzen“, sagt Waltraud Roller.

Nach Einschätzung der Anwohner hat der Zugverkehr auf der Strecke in jüngster Zeit deutlich zugenommen; und zwar insbesondere nachts. Das bestätigt auch Werner Hornung. Der Vorsitzende des Bürgervereins Bad Cannstatt wohnt ebenfalls in der Gegend. Bei der Stadtverwaltung teilt man diese Beobachtung nicht. Die Strecke sei mit Einführung der S-Bahn Anfang der 1980er Jahre ausgebaut, 2003 sei zuletzt die Taktfolge der S-Bahn angepasst worden. Seither habe sich nichts geändert, sagt Fabian Schlabach von der Pressestelle der Stadt. Diese Informationen habe man auch den Anwohnern mitgeteilt, die im September 2013 einen Brief an den Oberbürgermeister geschrieben hätten. Güterzüge würden auf diesem Abschnitt schon immer fahren. Elf reguläre Fahrten seien es am Tag und zwei zwischen 22 und sechs Uhr in der Nacht. Die Deutsche Bahn habe ohne gesetzliche Verpflichtung eine Schienenschmieranlage in diesem Bereich eingebaut, teilt die Stadtverwaltung mit. Wenn man den Schilderungen der Anwohner glaubt, scheint diese jedoch wenig zu nützen. „Die Schienen quietschen“, berichtet Waltraud Roller. Aber auch die Züge selbst seien sehr laut. 100 Dezibel will die 69-Jährige auf ihrem Balkon gemessen haben. Was laut einer Tabelle des Bundesumweltministeriums sehr bis unerträglich laut ist und Ohren-Schmerzen oder sogar einen Gehörschaden verursachen kann. Von Seiten der Stadtverwaltung heißt es allerdings, „der Schallpegel liege nicht im gesundheitsgefährdenden Bereich.“ Auch wenn es in der Gegend natürlich nicht leise sei.

Die Anwohner fordern, dass die Bahn etwas unternimmt

Doch die Klagen der Anwohner gehen noch weiter. Die voll beladenen und oft sehr langen Güterzüge würden das Haus vibrieren lassen. Die Familie hat Risse in den Mauern festgestellt, die sie von einem Gutachter prüfen lassen will. Einfach wegziehen kommt für Waltraud Roller und ihre Tochter Anja Bork nicht in Frage. Sie sind in der Gegend fest verwurzelt, fürchten außerdem einen Wertverlust ihrer Immobilie. Immer wieder hätten sie den Kontakt mit der Bahn gesucht. Passiert sei jedoch nichts. Selbst eine Unterschriftenaktion habe, obwohl gut 40 Nachbarn unterschrieben hätten, nichts genützt. Die Anwohner fordern, dass die Bahn etwas gegen den Lärm unternimmt. Hinzu kommt, dass sie fürchten, dass die Situation noch schlimmer wird. Sie wollen erfahren haben, dass die Bahn einige große Bäume an der Strecke fällen will. Damit würde – so fürchten die Anwohner – nicht nur ein Sicht- sondern auch ein Lärmschutz wegfallen.

Hier kann die Bahn zumindest teilweise Entwarnung geben. Es seien keine größeren Fällarbeiten geplant, erklärt ein Bahnsprecher. Richtig sei, dass ein Vegetationsrückschnitt auf einem etwa sechs Meter breiten Streifen rechts und links der Gleise stattgefunden habe. Im kommenden Herbst werde noch eine Robinie gefällt, mehr sei aber derzeit nicht vorgesehen. Die gefällten Bäume und Sträucher seien ein Sicherheitsrisiko gewesen, es sei wichtig, dass die Lokführer die Signale sehen können. Zudem müsse verhindert werden, dass ein Baum bei Schnee oder Sturm in die Oberleitungen oder auf die Gleise stürzt. Generell betont der Sprecher, dass Bäume und Sträucher „nicht wirklich eine schallschützende Wirkung haben“.

Dass es an der Strecke relativ laut ist, leugnet auch die Bahn nicht. Der Abschnitt sei deshalb auch im Lärmschutzprogramm des Bundes, erklärt der Sprecher. Mit diesem Programm sollen Menschen, die an besonders stark durch Schienenlärm belasteten Strecken wohnen, entlastet werden. Die Lärmschutzmaßnahmen werden vom Bund finanziert und von der Bahn umgesetzt. Es gibt keinen Rechtsanspruch, das Programm ist freiwillig. Je nach Belastungsstärke sind die betroffenen Strecken mit Prioritäten versehen. Der Abschnitt an der Remstalstraße hat laut Auskunft der Bahn die Priorität 1,9. Das sei relativ niedrig, andere Strecken seien deutlich stärker belastet und würden deshalb auch zunächst abgearbeitet, sagt der Sprecher. Bis auf dem Abschnitt an der Remstalstraße etwas passiert, werde es noch mehrere Jahre dauern.