Bedürftige Schüler können einen Essenszuschuss erhalten.. Foto: dpa

Wenn es um Schulausflüge oder Nachhilfe geht, gibt es für bedürftige Kinder eigentlich staatliche Zuschüsse. Doch wer sie erhalten will, muss manches Hindernis überwinden

Stuttgart - Die schwarz-rote Bundesregierung hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: „Wir wollen, dass Kinder unabhängig vom Elternhaus die gleichen Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe erhalten und ihre Fähigkeiten entwickeln können“, heißt es im neuen Koalitionsvertrag. So sollen die Leistungen für Bildung und Teilhabe verbessert und die Hürden beseitigt werden, die verhindern, dass Kinder und Jugendliche Unterstützung etwa bei Ausflügen oder für das Mittagessen in Schule und Kita erhalten, ein Musikinstrument erlernen oder in einem Sportverein mitmachen können.

Mit ihrem Vorhaben reagiert die Bundesregierung auf die seit Jahren anhaltende Kritik an der Ausgestaltung des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets. Betroffene und Verbände bemängeln, dass die Hilfe auch sieben Jahre nach seiner Einführung viele Bedürftige gar nicht erreicht würden, weil es zu bürokratisch organisiert sei. 2017 erhielten nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durchschnittlich 682 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mindestens eine Leistung aus dem Paket. Im gleichen Zeitraum lebten allein 2,5 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von Hartz IV. Anspruch auf Leistungen haben neben Hartz-IV-Empfängern auch Eltern, die einen Kinderzuschlag erhalten oder Wohngeld beziehen.

Viel Aufwand für Anträge

Zu letzteren zählt Dina F. Die Alleinerziehende verdient mit drei Jobs den Lebensunterhalt für sich und ihre drei Kinder zwischen neun und 13 Jahren. Sie erhält Wohngeld und kann damit auch Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beantragen. Für Hefte, Bücher und anderen Schulbedarf bekommt sie 100 Euro pro Schuljahr und Kind, für das Schulmittagessen einen Zuschuss. Ausflüge müssen extra abgerechnet werden – das ist an der Schule ihrer Kinder in einer baden-württembergischen Großstadt ziemlich kompliziert.

Weil die Schule zu Beginn jedes Schuljahres von jedem Kind jeweils 30 Euro für alle möglichen Unternehmungen einsammelt, muss Dina F. das Geld vorstrecken und oft Monate warten, bis sie es wieder bekommt. Denn die Stadt überweist das Geld erst nach dem Ausflug an die Schule – und diese gibt ihr das Geld dann zurück. „Der Aufwand für die verschiedenen Unterstützungsleistungen ist riesig, ich brauche dafür viel Zeit und Nerven“, sagt die Enddreißigerin. Auch wird nicht immer Hilfe bewilligt. Für ihren Sohn, der im Halbjahreszeugnis in Mathe eine vier und in Deutsch eine 4,5 hatte, lehnte die Stadt Nachhilfe ab. Diese würde nur bezahlt, wenn er versetzungsgefährdet wäre, teilte man ihr mit. Förderunterricht oder Hausaufgabenhilfe gebe es an der Ganztagsschule ihrer Kinder nicht – dafür fehlten jedoch die Lehrer, sagt Dina F.

Weniger geld wegen Unterhaltsvorschuss

Finanziell noch mehr betroffen ist sie aber von einer Reform, die Alleinerziehende eigentlich entlasten sollte. 2017 hat der Bund das Gesetz zum Unterhaltsvorschuss geändert. Dieser ist nicht mehr auf maximal drei Jahre und bis zum 12. Lebensjahr befristet, sondern wird jetzt bis zum 18. Lebensjahr gezahlt. Allerdings entfällt dadurch der Anspruch auf den sogenannten Kinderzuschlag, den Familien mit geringem Einkommen seit 2005 erhalten.

„Deshalb stehen mir jetzt monatlich etwa 100 Euro weniger zur Verfügung als vor Inkrafttreten der neuen Regelung“, sagt Dina F. Damit nicht genug: Wegen des Unterhaltsvorschusses änderte ihre Stadtverwaltung auch ihren Bonus-Pass, der bedürftigen und kinderreichen Familien Ermäßigungen gibt. Nun darf sie beispielsweise nicht mehr im Tafelladen einkaufen und muss mehr Geld für Lebensmittel ausgeben. Auch deshalb werden ihre Kinder in den nächsten Monaten wieder zu Fuß zur Schule gehen müssen. Vor kurzem wurden ihre Fahrräder gestohlen.

Auch Kommunen wollen Vereinfachung

Wegen der teilweise nachteiligen Auswirkungen des Unterhaltsvorschusses gebe es immer wieder Klagen, berichtet Brigitte Rösiger, Landesgeschäftsführerin des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter. Um zu verhindern, dass manche Alleinerziehende am Ende schlechter gestellt sind als früher, sollten sie bis zu einer Neuregelung zwischen Kinderzuschlag und Unterhaltsvorschuss wählen können, fordert der Verband.

Doch nicht nur die Betroffenen klagen über zu viel Bürokratie. Auch in den Kommunen wünschen sich viele flexiblere Regelungen. Die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets sei „nach wie vor mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden“, heißt es etwa im jüngsten Sozialleistungsbericht des Landkreises Böblingen. Das liege zum Teil daran, dass Sachleistungen statt Geldleistungen bereitgestellt würden, etwa in Form von Gutscheinen oder Zahlungen an Leistungserbringer wie Schulen oder Vereine.

Auch in Stuttgart kennt man das Problem bestens. Die Stadt habe die Abrechnungsmöglichkeiten zwar so weit wie möglich vereinfacht, sagt Thorsten Wieland, Leiter der Leistungsabteilung beim Jobcenter Stuttgart. Wenn eine Familie Hartz IV beantragt, gelte das zugleich auch als Antrag für Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Steht ein Schulausflug an, müssen die Kinder nur noch ein Infoblatt der Schule mit den Kosten abgeben – dann wird das Geld an diese überwiesen.

Spielraum bei Nachhilfe

Zudem setzt Stuttgart auf Listenabrechnung. Die Schulen können angeben, welche Kinder eine Bonuscard haben und erhalten das Geld etwa für das Schulessen oder eine Klassenfahrt dann gesammelt überwiesen. Um möglichst viele bedürftige Kinder zu erreichen, habe man beispielsweise Kindergärten und Schulen über die finanziellen Hilfsmöglichkeiten informiert, sagt Wieland. Er hofft, dass die Bundesregierung die Zuzahlung von einem Euro je Mittagessen und fünf Euro für eine Monatsfahrkarte rasch streicht – das würde nicht nur den Arbeitsaufwand verringern, sondern auch die Familien entlasten.

Seit der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets 2011 hat sich die Zahl der unterstützen Kinder in der Landeshauptstadt um 3000 auf etwa 16 000 erhöht, die Ausgaben stiegen von damals 4,1 auf 8,3 Millionen Euro 2017. Auch die Investitionen in die Lernförderung haben sich seit 2012 fast verdoppelt, im vergangenen Jahr kam sie rund 2200 Kindern zugute. Vielleicht liegt das ja daran, dass Stuttgart seinen Spielraum besser nutzt als die Stadt, in der Dina F. lebt. Denn Nachhilfe kann nicht nur bezahlt werden, wenn die Versetzung gefährdet ist, sondern auch, wenn ein „ausreichendes Leistungsniveau“ nicht erreicht wird. Für eine Verbesserung der Noten von drei auf zwei dürfte aber auch Stuttgart nicht zahlen.