Die Konzernzentrale von ZF ist Friedrichshafen. Allein in der Stadt am Bodensee beschäftigt der Konzern 8800 Mitarbeiter. Foto: ZF/Friedrichshafen

Friedrichshafen will mehr Geld aus der Firma ZF abschöpfen. Rainer Hüttemann, ein Experte für Stiftungsrecht, hält das für kritisch, aber rechtlich nicht zu beanstanden.

Friedrichshafen - Dem Stiftungsexperten Rainer Hüttemann ist der Disput am Bodensee darüber, wie viel Geld die Stadt Friedrichshafen aus den Firmen ZF und Zeppelin abziehen darf, nicht entgangen. Der dortige Einfluss der Stadt auf den Konzern dank einer Stiftung ist laut dem Rechtsprofessor einmalig in Deutschland.

Herr Hüttemann, eine von Gemeinderäten kontrollierte Stiftung besitzt einen dominierenden Einfluss auf ein global agierendes Industrieunternehmen mit rund 140 000 Beschäftigten. Wie seltsam ist das?
Die Zeppelin-Stiftung stellt in mehrfacher Hinsicht ein Unikum im deutschen Stiftungswesen dar. Das liegt zum einen an der ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte. Zum anderen kenne ich keinen Vergleichsfall.
Wie sinnvoll ist diese Verbandelung?
Das ist ja keine juristische, sondern eine ökonomische Frage. Wir sehen in Deutschland viele große Stiftungsunternehmen im Eigentum bürgerlich-rechtlicher Stiftungen, wenn Sie nur an die Robert Bosch GmbH denken oder, in etwas abgeschwächter Form, an die Bertelsmann SE. Die Frage, ob es sinnvoll ist, Unternehmenseigentum in diese Struktur zu geben, kann man unter zwei Gesichtspunkten betrachten. Einerseits ist klar, dass solche Unternehmen dem Druck des Kapitalmarkts entzogen sind und deshalb eine längerfristige Strategie verfolgen können, was sich durchaus positiv auf die Unternehmensentwicklung auswirken kann. Stichwort: nachhaltiges Wirtschaften. Andererseits kann man natürlich die Frage stellen, ob eine Kontrolle durch Stiftungsgremien sinnvoll ist. Aber die Entwicklung von ZF zeigt ja bisher nicht, dass die Struktur dem Unternehmen geschadet hat.
Jetzt aber verdreifacht die Stiftung die Dividende von jährlich 50 Millionen auf 160 Millionen Euro. Die ZF AG und die Zeppelin GmbH als zweites Stiftungsunternehmen müssen künftig 18 Prozent ihres Nachsteuergewinns abführen. Ein gefährliches Spiel?
Zunächst einmal ist es einer Stiftung als Eigentümerin eines Unternehmens nicht verwehrt, aus dem Stiftungsunternehmen die Überschüsse abzuziehen, die das Unternehmen nicht benötigt, um seine Leistungskraft zu erhalten. Hier haben wir eine nicht rechtsfähige kommunale Stiftung, aber das ändert nichts am Ausgangspunkt. Zudem gibt es in Deutschland auch die umgekehrte Diskussion, dass bei den stiftungsgeführten Unternehmen zu wenig ausgeschüttet werde. Teilweise wird dort von Ausschüttungsquoten berichtet, die deutlich unter dem liegen, was Aktionäre oder unternehmerisch interessierte Anteilseigner erwarten würden. Welche Gründe die Stadt Friedrichshafen dazu getrieben haben, dass jetzt plötzlich die Strategie hin zu einer erheblich höheren Ausschüttung geändert wird, kann ich auch nicht sagen.
Der Automobilzulieferer ZF hat die Wende ins Elektromobilitätszeitalter längst nicht geschafft, die Risiken wachsen. Sehen wir eine Kommune, die nun rasch möglichst viel Geld für sich auf die Seite bringen will?
Möglich ist, dass die Eigner den Eindruck gewonnen haben, sie hätten in der Vergangenheit zu wenig gefordert. Vielleicht gab es auch keinen Bedarf an höheren Ausschüttungen, denn die Stadt Friedrichshafen ist ja nicht als arme Kommune bekannt.
Die Stiftung schöpft nicht nur höhere Gewinne ab, sondern beabsichtigt, einen großen Teil davon in die neu gegründete Ferdinand gGmbH zu leiten. Das Ziel der gemeinnützigen Gesellschaft ist die Kapitalvermehrung an den Finanzmärkten bis zur Zielmarke von einer Milliarde Euro. Ist das rechtskonform?
Steuerrechtlich ist es konform. Die Zeppelin-Stiftung ist als gemeinnützige Stiftung den Vorgaben der Abgabenordnung verpflichtet. Diese lässt seit 2014 zu, dass aus den Überschüssen der Vermögensverwaltung Erträge an eine andere Körperschaft zur Ausstattung mit Vermögen gegeben werden, geregelt im § 58 Nr. 3 AO. Nach der Abgabenordnung hätte die Zeppelin-Stiftung auch ihre gesamten Erträge einer anderen gemeinnützigen Körperschaft als Vermögen zuführen können. Ob dies aber durch die Satzung der Zeppelin-Stiftung gedeckt ist, hängt davon ab, welche Bestimmungen die Satzung im Hinblick auf diesen Punkt enthält. Möglicherweise ist die Satzung auch mit Blick auf die Änderung der Steuerrechtslage nach 2014 geändert worden.
Was hatte der Gesetzgeber mit der Änderung der Abgabenordnung 2014 im Sinn?
Anlass war der Wunsch der großen Wissenschaftsstiftungen, kapitaldotierte Lehrstühle zu ermöglichen. An einen Sachverhalt, wie er hier vorliegt, hat man 2014 nicht gedacht. Die Tatsache aber, dass ein Gesetzgeber einen bestimmten Anlassfall im Blick hat, ändert natürlich nichts daran, dass die Vorschrift so, wie sie im Gesetz steht, auch in anderen Bereichen angewendet werden kann.
Und wer kontrolliert nun die Friedrichshafener?
Es handelt sich hier um eine nicht rechtsfähige Stiftung in Form eines Sondervermögens nach baden-württembergischem Kommunalrecht. Sie unterliegt nicht der Stiftungsaufsicht. Die Kontrolle über die Rechtskonformität des Handelns der Stadt Friedrichshafen liegt in Baden-Württemberg beim zuständigen Regierungspräsidium. Ich gehe aber davon aus, dass angesichts der Bedeutung dieses Falles alle entscheidenden Personen vorab eingeschaltet worden sind.
Gerade das zuständige Regierungspräsidium in Tübingen wird zurzeit vom Zeppelin-Urenkel Albrecht von Brandenstein-Zeppelin verklagt. Der Zeppelin-Erbe behauptet, die Stiftungsaufsicht billige, dass die Stadt Friedrichshafen die Dividenden missbräuchlich verwende, und zwar für die bloße Daseinsvorsorge. Hat der Kläger eine Chance, zu gewinnen?
Bevor ein Gericht darüber entscheiden kann, ob das alles mit dem historischen Stifterwillen des Grafen Zeppelin übereinstimmt, ist die entscheidende Vorfrage zu klären, ob es überhaupt jemanden gibt, der ein Recht hat, diese Frage klären zu lassen. Die Zulässigkeit einer solchen Stiftungsaufsichtsbeschwerde ist in Deutschland umstritten. Es wäre rechtspolitisch zu begrüßen, wenn man bestimmten Personen die Möglichkeit geben würde, das Handeln von Aufsichtsbehörden auf seine Rechtskonformität zu überprüfen.

Personen und Zahlen

Experte:
Wer beim Bundesverband Deutscher Stiftungen nach einem Rechtsexperten fragt, bekommt den Namen Rainer Hüttemann genannt. Er ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Steuerrecht an der Universität Bonn und Senatsmitglied. Von 2002 bis 2011 war Hüttemann, Jahrgang 1963, Vorstandsmitglied beim Stiftungsverband.

Aufsichtsrat:
Der Aufsichtsrat der Firma ZF Friedrichshafen besteht aus 20 Mitgliedern, je zehn auf Arbeitgeberseite und auf der Kapitalseite. Aufsichtsratsvorsitzender ist der Schweizer Giorgio Behr, der kürzlich jedoch seinen baldigen Rückzug aus Altersgründen angekündigt hat. Er ist 69 Jahre alt. Ein Nachfolger steht offiziell bisher nicht fest.

Verbreitung:
: Die Eigentümer der ZF sind zu 93,8 Prozent die Zeppelin-Stiftung und zu 6,2 Prozent die Dr. Jürgen und Irmgard Ulderup Stiftung in Lemförde. Ende des Geschäftsjahres 2016 verfügte der nach Umsatz drittgrößte deutsche Automobilzulieferer (hinter Bosch und Continental) über 230 Standorte in 40 Ländern.