Rachel Dror, Überlebende der NS-Zeit, erzählt aus ihrem Leben. Foto: Natalie Kanter

Rachel Dror berichtete in der Turnhalle der Leinfeldener Realschule über das Leben einer deutsch-jüdischen Familie zur NS-Zeit. 350 Schüler lauschten ihren Worten.

Leinfelden - Sie hätte wahrlich allen Grund dazu. Schließlich mussten ihre Eltern im Konzentrationslager Auschwitz sterben. Dennoch ist Rachel Dror nicht von Hass auf die Deutschen erfüllt. „Schließlich lebe ich hier“, sagt sie. „Und ich möchte nicht in jedem Menschen einen Nazi sehen.“ Die 93-Jährige zeigt auch nicht mit dem Finger auf jene, welche die Machenschaften des NS-Regimes unterstützt haben. „Ich habe kein Recht, über andere zu urteilen“, sagt sie.

Die Deutschjüdin hat es sich aber zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen ihre Lebensgeschichte zu erzählen und so einen Beitrag gegen das Vergessen zu leisten. „Es ist wichtig, die Vergangenheit zu kennen, um nicht in die gleiche Falle zu tappen“, sagte sie am Mittwoch in der überfüllten Turnhalle der Immanuel-Kant-Realschule. Und in Richtung der Schüler: „Ihr sollt diese wichtigen Dinge nicht nur aus Büchern erfahren.“

Zwei Stunden stand die rüstige Dame vor 350 Heranwachsenden. Sitzen, das habe ihr bereits als Kind große Mühe bereitet. Ihre Kindheit in Königsberg sei sehr schön gewesen. Auch wenn sie kein braves Mädchen war und ihr freches Mundwerk ihre Eltern in die eine oder andere schwierige Lage brachte. Bis zum 31. März 1933 spielte die Tatsache, dass die Familie jüdischen Glaubens war, für Freunde und Nachbarn keine Rolle. Dann aber durfte die damals Zwölfjährige plötzlich den etwas älteren Jungen im Haus nicht mehr sehen. „Warum nicht?“, wollte sie von ihrer Mutter wissen. „Bin ich schmutzig? Stinke ich?“, fragte sie. Die Antwort: „Du bist Jüdin.“ Im Lyzeum musste sie fortan hinten sitzen. Ein halbes Jahr später flatterte ihren Eltern ein blauer Brief ins Haus. Darin stand, dass sie das Klassenziel nicht erreichen werde. Sie wechselte auf die Mittelschule. Dort aber gingen die Schikanen weiter. Man ließ sie beispielsweise nicht rechtzeitig zur Toilette, wenn sie musste. Und das Mädchen beschloss, dass sie nie wieder eine Schule besuchen wolle.

Rachel Dror findet, nachdem die deutschen Synagogen im November 1938 brannten, Zuflucht bei einer Tante in Palästina. Ihre Eltern werden in den Gaskammern von Auschwitz umgebracht. Die Mutter war krank, als sie in dem Konzentrationslager ankam. Sie galt als arbeitsuntauglich. Sie sollte gleich sterben, während der Vater zunächst seine Arbeitskraft zur Verfügung stellen sollte. Er aber wollte seine Frau nicht alleine lassen und wurde deshalb ebenfalls gleich ermordet.

Rachel Dror erfährt davon erst 1952 – rein zufällig. Sie wollte an jenem Abend mit ihrem Mann in Israel zum Tanzen gehen. Auf der Straße begegneten sie einem Ehepaar – Weggefährten ihrer Eltern, wie sich herausstellte. Dem Paar war es gelungen, aus dem Lager zu fliehen. „Ein Jahr lang haben die beiden im Wald gelebt. Sie haben sich von Früchten ernährt und mitunter ihren Urin getrunken“, erzählte die 93-Jährige in Leinfelden.

Rachel Drors Vortrag lieferte auch Einblicke in das Leben von deutschen Soldaten zur NS-Zeit. „Die jungen Leute wurden verdummt“, sagte die Zeitzeugin.

Und die Realschüler? Sie waren sichtlich beidruckt. Den Jugendlichen brannten im Anschluss viele Fragen auf den Nägeln. „Waren Sie schon immer so ohne Hass unterwegs?“, wollten sie wissen. Und: „Sind Sie Adolf Hitler persönlich begegnet?“ „Ich bin sprachlos, wie Sie das hier alles einfach so erzählen können“, sagte Schülersprecher Jan Kuttler. Er überreichte der Zeitzeugin gemeinsam mit Sarah Schröder Blumen. Und sagte: „Es ist sehr schlimm, was damals passiert ist.“