Der Basketballfan Kim Jong Un im Gespräch mit dem ehemaligen NBA-Star Dennis Rodman. Foto: dpa/Kcna

Dass Kim Jong Un nach wie vor nicht vor öffentlichen Erschießungen zurückschreckt, dokumentiert eine NGO mit Zeugenaussagen.

Pjöngjang - Die Menschenrechtsverbrechen des nordkoreanischen Regimes werden in den Medien nicht selten ins Groteske überzogen. Doch manche der schier unglaublichen Grausamkeiten sind im Kern wahr: Nach wie vor werden Bürger im Kim-Regime öffentlich gerichtet – und manchmal lediglich, weil diese „illegale“ Videos aus Südkorea geschaut haben.

Die „Transitional Justice Working Group“ mit Sitz in Seoul versucht wie keine zweite NGO, die staatliche Gewalt der nordkoreanischen Regierung systematisch zu dokumentieren. Ihr geht es darum, gegen das Vergessen anzukämpfen: Sollte es irgendwann einmal zu einer Wiedervereinigung auf der koreanischen Insel kommen, sollen die Verantwortlichen des nordkoreanischen Regimes zur Rechenschaft gezogen werden und die Opfer rechtliche Anerkennung erhalten.

Bürgerrechtler haben jahrelang Flüchtlinge interviewt

Für ihren aktuellen Bericht haben die Bürgerrechtler über sechs Jahre lang nahezu 700 nordkoreanische Flüchtlinge systematisch interviewt: Ihnen wurden Satellitenfotos ihrer Heimatstädte vorgelegt, um die übelsten der staatlichen Gräueltaten nachzuvollziehen – öffentliche Hinrichtungen.

Viele der geflüchteten Nordkoreaner, insbesondere entlang der Grenzregionen zu China, in denen Schmuggel, Bestechung und Menschenhandel florieren, erzählen in geradezu alltäglichem Ton von Erschießungen. Diese finden meist im Freien statt, etwa auf Flugplätzen oder Feldern am Ortsrand. Oft müssen den Hinrichtungen nicht nur die Angehörigen der Verurteilten beiwohnen, sondern auch die gesamte Nachbarschaft – offensichtlich zur Abschreckung. „Selbst als bereits Flüssigkeit aus dem Gehirn des Verurteilten austrat, mussten die Menschen noch in Reih und Glied stehen bleiben und ihm ins Gesicht schauen“, sagt einer der interviewten Nordkoreaner in der Studie.

23 öffentliche Exekutionen sind nachgewiesen

Allein 23 solcher öffentlichen Exekutionen kann die NGO während der Herrschaft Kim Jong Uns nachweisen. Fast alle haben sie sich in Hyesan ereignet – jenem Grenzort, den die meisten Flüchtlinge bei ihrer Route nach China zunächst passieren. Todesurteile wurden wegen Drogen, Prostitution und Mord verhängt, in sieben Fällen aber auch, weil die Angeklagten südkoreanische Videos angesehen und verbreitet hatten.

Tatsächlich sind Informationen aus dem Ausland eine existenzielle Bedrohung für das Regime in Pjöngjang – und das nicht nur in Form von politischen Flugblättern, sondern oftmals als ganz triviale Seifenopern und K-Pop-Videos. Denn allein das Zeigen von Szenen aus dem hochmodernen, wohlhabendem Nachbarland im Süden ist für viele verarmte Nordkoreaner ein regelrechter Schock. Wie eine Studie des „Database Center for North Korean Human Information“ in Seoul belegt, sollen bei knapp zwei Dritteln aller Nordkoreanern, die sich später in Südkorea niedergelassen haben, Informationen aus dem Ausland mit eine Rolle beim Wunsch zur Flucht gespielt haben.

Die Menschenrechtsverbrechen der letzten Jahre jenseits von einzelnen Augenzeugenberichten wissenschaftlich festzuhalten, ist derzeit so wichtig wie lange nicht mehr: Denn seit der Corona-Pandemie ist das ohnehin abgeschirmte Land vollkommen verschlossen. Unabhängige Informationen dringen kaum mehr an die Außenwelt.

Vor zehn Jahren waren Beobachter hoffnungsfroh

Noch vor zehn Jahren zeigten sich nicht wenige Beobachter hoffnungsfroh, als Kim Jong Un nach dem überraschenden Tod seines Vaters den nordkoreanischen Diktatorensessel erklommen hatte. Sie verwiesen darauf, dass Kim Junior als Grundschüler im schweizerischen Bern lebte und dort zum Fan der US-amerikanischen Basketballliga NBA avancierte. So jemand würde sicherlich sein Land wirtschaftlich und womöglich auch politisch öffnen, hieß es.

Doch eingetreten ist praktisch das Gegenteil: Innerhalb weniger Jahre hat Kim Jong Un seine Macht durch eine stalinistische Säuberungswelle zementiert, die an Brutalität alles übertraf, was Nordkorea seit Jahrzehnten erlebt hat. 2017 ließ er mutmaßlich auch seinen Halbbruder Kim Jong Nam am Flughafen Kuala Lumpur mit Nervengas vergiften.

Gleichzeitig hält Nordkoreas Machthaber weiterhin an seinem Atom- und Raketenprogramm als Lebensversicherung für das Regime fest – eine Entscheidung, die dem Land eine ökonomische Entwicklung a priori verweigert.

Wo Nordkorea in weiteren zehn Jahren stehen wird, fragte erst kürzlich das Fachmedium NK News mehr als 80 der führenden Beobachter des Landes. Das wahrscheinlichste Szenario ist mehr als ernüchternd: Die Bevölkerung werde eine „schwere humanitäre Krise“ und „Nahrungsmittelknappheit“ erleiden, während die politische Elite weiter seine Nuklearprogramm vorantreibt.