Das Ensemble der Serie „Die zweite Welle“ (von links): Heiko (Tim Bergmann), Maren (Ursula Strauss), Noa (Meira Durand), Alexandra (Karoline Schuch), Harry (Johann von Bülow), Matthias (Özgür Karadeniz), Britta (Katrin Röver) Foto: ZDF/Nicolas Velter/Claudia Schlicht

Wie darf, wie muss man eine Naturkatastrophe verfilmen? Die ZDF-Serie „Die zweite Welle“ tastet ebenso wie ihre Figuren nach der Erinnerung an den Tsunami, durch den am 26. Dezember 2004 etwa 230 000 Menschen ihr Leben verloren.

Willkommen im Paradies. Familie Reuter feiert Weihnachten in Khao Lak in Thailand. Julia (Luise Bähr) besucht ihre ausgewanderte Schwester Alexandra (Karoline Schuch). Ehemann Harry (Johann von Bülow), Tochter Noa (Meira Durand) und enge Freunde begleiten sie. Doch der Traumurlaub währt nicht lange, die Naturkatastrophe von 2004 bricht über sie herein. Julia kommt durch den Tsunami ums Leben.

15 Jahre später steht Alexandra vor der Tür des Witwers Harry. Weshalb ist die totgeglaubte Schwester nach all der Zeit wieder aufgetaucht?

Karoline Schuch als vom Leben versehrter Racheengel

„Die zweite Welle“ glänzt als multiperspektivisches Thriller-Melodram. Die Mini-Serie von André Erkau und Friederike Heß nähert sich den ungeheilten Wunden der Freundesgruppe und erzählt ihr Überleben und Leben nach der Flutwelle.

Harry ist seiner Rolle als alleinerziehender Vater nicht gewachsen, Tochter Noa möchte ohne Angst zu einer Poolparty gehen. Matthias und Britta kämpfen mit ihrer Ehe, Maren und Heiko sind längst geschieden. Und über ihnen schwebt eine große Lüge. Es bedarf nur eines Funkens, um das Feuer dieses Ensembles gebrochener Menschen auflodern zu lassen.

Nach 15 Jahren taucht Alexandra auf, tätowiert, mit amputiertem Bein, maladen Zähnen – und Lust zu zündeln. Karoline Schuch begeistert in der Rolle des vom Leben und vom thailändischen Gefängnis versehrten Racheengels. Zielgenau tritt sie jedem in die Weichteile. Die aggressive Verletztheit Alexandras harmoniert wunderbar mit Noas jugendlicher Unschuld.

Die Serie hält jedoch nicht ganz Schritt mit all den Themen, die sie sich aufbürdet: Trauma, Mutterschaft, Teenie-Liebe, Drogensucht, Ehekrisen, Karriereambitionen. Und das alles in nur sechs Folgen. Man wundert sich, wie all die Linien zusammenfließen sollen und tatsächlich bleibt man zum Finale, ebenso wie bei Alexandras Besuchen bei ihrer Mutter, ein wenig ratlos zurück. Die Serie übernimmt sich auch bei ihrem schwersten Thema. Der Tsunami muss als Handlungsauslöser herhalten. Dabei heißen die Folgen „Untiefen“ oder „Bis auf den Grund“ – die Wortspiele sind Geschmacksfrage. Die Bilder des verwüsteten Strandes sind eindrucksvoll, doch die Schnitte zum Melodram groß. Zudem nimmt die Serie lediglich die Pauschalurlauber in den Blick – Einheimische spielen fast nur als tote Statisten oder verführende Rezeptionisten eine Rolle. Der „Jubiläums“-Ausstrahlungstermin fügt sich ins Bild der Katastrophenverwertung für das deutsche Fernsehen.

Katastrophenfernsehen richtet den Blick auf Pauschalurlauber

Die Serie leidet also an dem, was sie sein möchte: Ein großes Drama um die Auswirkungen einer Naturkatastrophe in all ihren psycho-sozialen Facetten. Doch sie überzeugt als das, was sie ist: Ein spannendes Melodram um eine große Lüge und eine Hauptfigur voll zerbrechlicher Wucht – ein wenig Katastrophenfernsehen ist dann auch in Ordnung.

Die zweite Welle. Die sechsteilige Serie ist ab Samstag, 4. November, um 10 Uhr in der ZDF-Mediathek verfügbar und wird Mittwoch, 27., und Donnerstag, 28. Dezember, ab 22.15 Uhr im ZDF ausgestrahlt.