Medienscheuer Medienking: eines der raren Bilder von Leo Kirch (1926–2011) Foto: ZDF

Die ZDF-Doku „Der große Zampano“ wirft einen sachlichen, aber leicht wehmütigen Blick auf den Medienmogul Leo Kirch. Der entstammt einem Zeitalter, in dem die großen Player nicht nur nach Profit gierten, sondern Fernsehen auch eine Herzenssache war

Stuttgart - Da schaut er kühl und fest aus einem Bildschirm, den über Jahrzehnte hinweg keiner mit mehr Inhalt versorgt hat als er selbst – dieses Fossil des Fernsehens alter Prägung. Auch nach seinem Tod ziehen uns Leo Kirchs Adleraugen unter der Wirtschaftswundertolle, mit denen sich ein Obersturmbannführer ebenso gut spielen ließe wie der treu sorgende Serienvater, in ihren Bann. Und wie Michael Jürgs die Persönlichkeit dahinter aus dem Off beschreibt, das gibt den Ton der folgenden 45 Filmporträt-Minuten auch sprachlich vor. „Er wurde bewundert als genialer Filmhändler, gefürchtet als eiskalter Medienmogul, und am Ende stand er fast erblindet auf den Trümmern seines Reichs.“ So dramatisch, ja pathetisch klingt es in diesem ZDF-Beitrag öfter.

Warum auch nicht? „Der große Zampano“ (ZDF, 12. Dezember, 22.45 Uhr), wie Jürgs und sein Co-Autor Berthold Baule ihre Doku betiteln, bot der Welt zeitlebens Stoff von Shakespeare’scher Wucht. Als promovierter Wirtschaftswissenschaftler, der vom desertierten Schwarzhändler zum mächtigen TV-Unternehmer aufgestiegen ist, hat uns Leo Kirch nicht nur „Raumschiff Enterprise“, „Biene Maja“ und Harald Schmidt beschert, sondern das Pay-TV, Pro Sieben Sat 1 und Deutschlands größte Firmeninsolvenz der Nachkriegszeit. Kein Wunder, dass Wegbegleiter wie Mathias Döpfner, Jobst Plog und Edmund Stoiber den fränkischen Klempnersohn mal „emotional“, mal „bauernschlau“ nennen, hier „knallhart“, dort „fürsorglich“, in jedem Fall aber „visionär“.

Erst Wallace, dann Winnetou, dann Waalkes

Leo Kirch, so zeigt „Der große Zampano“, war eben mehr als nur ein Strippenzieher des Leitmediums am Übergang zum dualen System. So verbissen wie bodenständig zeigte sich der Selfmade-Milliardär zugleich als Prototyp des Medienunternehmers am Übergang zur Globalisierung. Es waren Verleger wie die filmaffinen Reinhard und Liz Mohn, deren Bertelsmann-Konzern mit der Filmfirma Ufa und dem Privatsender RTL die ganze Klaviatur visueller Medien bespielt.

Produzenten wie Horst Wendtland oder Artur Brauner, die das hiesige Publikum erst mit Wallace, dann mit Winnetou, später mit Waalkes gemästet haben, bis es vor Entspannung kugelrund war. Dazu Ideengeber wie der „Derrick“-Erfinder Herbert Reinecker oder Wolfgang Rademann, dem wir mit dem „Traumschiff“ und der „Schwarzwaldklinik“ die eskapistischsten Angriffe aufs problembeladene Autorenkino verdanken.

Und zwischen, unter, über allem saßen die Senderchefs in ihren gebühren- oder werbefinanzierten Eckbüros und gaben diese Angriffe aus vollen Kassen in Auftrag. Dieter Stolte zum Beispiel, von 1982 an zwanzig Jahre Intendant von Kirchs Hauptauftraggeber ZDF, über den ein Konkurrent jetzt an gleicher Stelle im schönsten Wiener Schmäh zu Protokoll gibt, er „hat Kirch gehört“. Starker Tobak. Aber den kauen Alphatiere wie der Medienmanager und frühere RTL-Chef Helmut Thoma ja schon zum Frühstück. Im Goldrausch ihrer Branche waren sie es, die das Spiel bestimmten. Sie hatten Einfluss, sie hatten Geld, sie hatten Kontakte, was sie nicht hatten, war die pfauenhafte Eitelkeit des Metiers ringsum.

Vetternwirtschaft in der alten Medienrepublik

Leo Kirch zum Beispiel mag Mehrheitsaktionär der Pro Sieben Sat 1 AG gewesen sein und als solcher der größte Player am Markt. Ein engmaschiges Netzwerk war ihm weit wichtiger als jeder Maßanzug. Und so trug der Platzhirsch aus München vermutlich etwas von der Stange, als er einen Headhunter auf den Emporkömmling aus Köln ansetzte. Dieser Headhunter war Kirchs bester Freund, wie der umworbene Thoma im Plauderton berichtet: Helmut Kohl. Das Machtgefüge der alten Medienrepublik war mit Vetternwirtschaft offenbar noch zurückhaltend beschrieben. Trotzdem blickt man im heutigen Shareholder-Kapitalismus ein wenig wehmütig auf Patriarchen früherer Tage, die von flacher Hierarchie, gar institutioneller Demokratie nur dann etwas hielten, wenn es der Sache diente.

Diese Sache allerdings war ein Fernsehen, das den Verantwortlichen auch abseits ehrgeiziger Profitziele noch irgendwie am Herzen lag. Helmut Thomas unternehmerisches Credo, der Wurm (also das Programm) müsse nicht dem Angler (also dem Sender) schmecken, sondern dem Fisch (also den Zuschauern), mag aus künstlerischer Sicht zynisch klingen; angesichts neuer Medienmanager wie dem Amazon-Boss Jeff Bezos und dem Pro-Sieben-Sat-1-CEO Thomas Ebeling, die ihre Kundschaft wahlweise als faule Konsumgören oder fettes Lumpenproletariat verachten, bestand das Publikum der alten Entrepreneure wenigstens nicht nur aus Zahlen. Doch seit Streamingdienste, Videoportale, also das Internet den linearen Fernsehmarkt aufmischen, stirbt dieser Menschenschlag empathischer Machtmänner von Mohn über Stolte bis Kirch langsam aus. „Der große Zampano“ ist kein Film, um ihnen nachzutrauern. Als Anlass, ihre Nachfolger kritisch zu hinterfragen, taugt er allemal.