Bislang haben Studien keinen nennenswerten Einfluss der Verwendung von Kaugummikauen auf die Entfernung von Plaque oder Speiseresten nachweisen können Foto:  

Jeder Bundesbürger kaut statistisch etwa 100 Kaugummis pro Jahr, vermeldet der Kaugummi-Verband. Doch ist das noch gesund? Der Zahnmedizin-Experte Thomas Attin erklärt, wie schädlich oder nützlich Mikrogranulat, Fluorid oder Kalzium als Zutaten sind – und warum er selber keine Kaugummis kaut.

Herr Attin, verlieren die Zähne an Substanz, wenn man ständig Kaugummi kaut?
Es gibt dazu keine Studien, denn der Vorgang ist sehr kompliziert. Was wir im Mund machen, ist sehr schwierig im Labor nachzustellen. Wir kauen den Kaugummi, machen ihn damit platt – und dann formen wir ihn wieder zu einem vollen Körper, den wir wiederum platt kauen können. Das können unsere Kaumaschinen nicht, mit denen wir den Abrieb von Füllungen testen.
In Zahnpflegekaugummis sind heute häufig sogenannte Mikrogranulate enthalten – kann dadurch Zahnsubstanz abgerieben werden?
Wenn man Kaugummi kaut, dann kaut man ihn nicht, bis er zerquetscht ist. Es wird also nicht richtig Druck mit diesen Kügelchen auf die Kaufläche ausgeübt. Die Bewegung gleicht stattdessen einem leichten Pressen auf den Kaugummi. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dadurch eine starke Abnutzung zustande kommt.
Andererseits sagt man, dass im Mittelalter Menschen durch kleine Fremdkörper im Mehl sehr stark abgenutzte Zähne hatten.
Damals waren Steine und Sand im Mehl, die natürlich sehr viel rauer sind. Ich glaube nicht, dass diese Mikrogranulate einen großen Schaden anrichten. Bei Menschen, die extrem viele dieser Kaugummis kauen, kann man einen Zahnabrieb diskutieren. Aber die Patienten, die bei uns mit starken Zahnschäden kommen, haben andere Probleme, starke Säureschäden durch Obst oder häufiges Erbrechen etwa. Oder sie knirschen nachts.
Können die Mikrogranulate in Zahnpflegekaugummis die Zähne säubern?
Das ist wahrscheinlich eine Utopie. Vielleicht kann der weiche Belag ein wenig abgetragen werden – aber bestimmt kein fest haftender Teebelag. Und eine Wirkung außerhalb der Kaufläche ist schon gar nicht vorstellbar. Studien haben auch keinen nennenswerten Einfluss der Verwendung von Kaugummikauen auf die Entfernung von Plaque oder Speiseresten nachweisen können. Zahnpflegekaugummi kann auf keinen Fall das Zähneputzen ersetzen.
Ist es sinnvoll, Kaugummi zu kauen, wenn man sich nicht die Zähne putzen kann – etwa nach dem Mittagessen in der Kantine?
Wenn man die Zähne nicht gut geputzt hat und deshalb Plaque hat, entsteht in den ersten fünf bis zehn Minuten nach dem Essen ein saurer pH-Wert. Wer in dieser Phase einen Kaugummi kaut, regt den Speichelfluss an. Die Säure wird dadurch neutralisiert, die Zähne werden weniger stark angegriffen. Zur Karies-Prophylaxe ist ein Kaugummi also durchaus sinnvoll, Säureschäden dagegen kann er nicht beheben.
Moment, Sie haben doch gerade gesagt, der Kaugummi hilft, Säure zu neutralisieren?
Aber bei einer Erosion durch einen Säureschaden ist die Zahnoberfläche extrem angegriffen. Wenn man da zehn Minuten später mit dem Kaugummi kommt, ist der Säureschaden längst da. Wir haben Zahnproben vier, acht Stunden in Speichel gebadet – es gibt dadurch eine gewisse, aber leider nur sehr geringe Remineralisation an der Oberfläche. Das bedeutet: Es wurden nur wenige Mineralien in den Zahnschmelz wieder eingelagert, um kleinste Schmelzschäden zu reparieren. Durch hohe Fluoridzufuhr kann man diese teils beschleunigen, aber der Schaden kann nicht mehr repariert werden. Säureschäden zu verhindern gelingt nur dann, wenn der Zahn von vornherein keine Säure abbekommt.
Man kann ja schlecht auf Obst verzichten.
Patienten mit extremen Schäden sind Menschen, die zum Beispiel sehr oft erbrechen – 20- bis 40-mal pro Tag. Durch Nahrung kann man die Zähne kaum so stark schädigen. Außer man trinkt ständig säurehaltige Erfrischungsgetränke wie Cola. Und dank des großen Zuckeranteils kommt noch ein Karies-Risiko hinzu.
Ist es sinnvoll, Kaugummis zu kauen, die Kalzium enthalten?
Es gibt Zahnpasten und Kaugummis, die Kalzium, verbunden mit Kasein, enthalten. Das sind sogenannte CPP-ACP-Komplexe. Damit erreicht man einen relativ hohen Kalzium-Spiegel mit hoher Bioverfügbarkeit im Speichel. Das bedeutet, dass das Kalzium schnell vom Körper aufgenommen werden kann. Die CPP-ACP-Komplexe haben daher in Studien eine gute präventive Wirkung gegen Karies gezeigt.
Das heißt, für die Zähne ist es wichtig, dass das Kalzium im Mund bleibt. Kalzium, das über den Darm aufgenommen wird, ist also nicht so hilfreich?
Genau. Das Gleiche gilt für Fluorid. Nimmt man Tabletten, kommt nur ein Prozent von dem, was man schluckt, im Gebiss an.
Wie gut sind fluoridhaltige Kaugummis?
Es gibt Studien, die bei Verwendung von fluoridhaltigen Kaugummis eine leicht erhöhte Fluoridaufnahme in den Zahnschmelz und eine verbesserte Remineralisation von beginnender Karies festgestellt haben.
Was ist mit Kaugummis, die Xylitol enthalten?
Xylitol wirkt positiv, weil Bakterien es nicht gut abbauen können. Und selbst wenn sie es abbauen, dann entsteht ein Produkt, das nicht sauer ist. Zudem blockiert Xylitol auch Enzyme und wirkt deshalb ab einer bestimmten Dosis sogar hemmend auf das Bakterienwachstum. Der Gewöhnungseffekt der Bakterien ist gering. Xylitol ist also empfehlenswert. Bei mehr als sechs Gramm pro Tag ist eine präventive Wirkung gegen Karies nachgewiesen.
Nutzen Sie selbst die positiven Effekte von Kaugummi?
Nein, ich mag einfach keinen Kaugummi – auch aus ästhetischen Gründen nicht. Wenn zum Beispiel Studenten mit dieser Kaubewegung vor mir sitzen, mutet das für mich an, als würde ich im Gebirge an einem Weidezaun stehen. Man muss auch nicht Kaugummi verwenden, um gute Zähne zu haben. In meinem Studium habe ich meine letzte Füllung bekommen – studiert habe ich bis zum Jahr 1989.