Verletzliche Schönheit: Überfischung, Umweltverschmutzung, Klimawandel, Zerstörung wichtiger maritimer Lebensräume – die Ozeane und ihre Bewohner sind durch den Menschen immer stärker bedroht. Foto: dpa

Wie ernst steht es um die Meere? Ist es wirklich so schlimm, wie Umweltschützer sagen oder gibt es noch Hoffnung? Eine Einschätzung.

Berlin - Fische sind ebenso bedroht wie Seevögel und Schildkröten: Die Umweltstiftung WWF (World Wide Fund for Nature) schlägt angesichts eines zunehmenden Rückgangs der Meerestiere Alarm. Die Populationsgrößen ausgewählter Meeressäuger, Seevögel, Reptilien und Fische haben sich innerhalb von 40 Jahren im Schnitt halbiert, heißt es in dem aktuellen Meeresbericht „Living Blue Planet Report“. Die von Makrelen oder Thunfischen seien sogar um 74 Prozent eingebrochen. Zudem gilt laut WWF jede vierte Hai- und Rochenart als vom Ausstreben bedroht.

„Die Meere brauchen dringend Erholung“

„Wir haben den Bogen extrem gespannt“, erklärte WWF-Fischerei-Expertin Karoline Schacht am Mittwoch in Berlin. Der WWF-Report basiert auf 5829 untersuchten marinen Populationen von 1234 Meerestierarten. Hauptursache ist demnach der Raubbau durch den Menschen. „Überfischung beeinträchtigt nicht nur die Balance des Lebens in den Meeren, sondern auch in Küstengemeinden, wo soziale und wirtschaftliche Strukturen direkt vom Fisch abhängen“, warnte Schacht.

Mit einem jährlichen Handelsvolumen von rund 128 Milliarden Euro sei Fisch eines der am intensivsten gehandelten Güter. Schacht: „Der Ozean als dynamisches System mit unzähligen Verflechtungen hat in der Regel ein gutes Erholungspotenzial.“ Die Naturschützer fordern neben mehr Klimaschutz eine nachhaltige Fischerei und Meeresschutzgebiete.

Entwarnung in Nordeuropas Gewässern?

Zumindest die Fischbestände in Nordeuropas Gewässern werden nach einem Bericht der EU-Kommission schonender bewirtschaftet als vor einigen Jahren: Rund die Hälfte aller bewerteten Bestände im Nordost-Atlantik, in Nordsee und Ostsee wurden demzufolge 2014 in einem langfristig verträglichen Ausmaß befischt. 2009 war das nur bei 14 Prozent der Fall. Düster sieht es hingegen im Mittelmeer aus: 93 Prozent der ausgewerteten Bestände sind überfischt, im Schwarzen Meer sind es 86 Prozent.

Laut dem letzten Fischerei-Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) von 2014 sind 28,8 Prozent der weltweiten Fischbestände überfischt, 61,3 Prozent werden maximal befischt, und nur 9,9 Prozent der weltweiten Bestände werden moderat bis wenig befischt. Jedes Jahr werden 158 Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchte aus Wildfang und Aquakultur angelandet. Davon stammen 91,3 Millionen Tonnen aus Wildfang.

Viele Fischbestände erholen sich langsam

Trotz dieser gigantischen Mengen erholen sich viele Fischbestände Experten zufolge besser als erwartet – sofern die Überfischung nicht zu lange dauert. Zu diesem Ergebnis kam vor einigen Jahren ein Team um Philipp Neubauer von der Rutgers-Universität im US-Staat New Jersey. In der Fachzeitschrift „Science“ berichteten die Forscher, dass die Mehrheit der 153 untersuchten Fischarten und wirbellosen Tiere eine moderate Überfischung verkrafte – und sich innerhalb von zehn Jahren davon erholen könne. Voraussetzung sei, dass der Bestand nicht komplett zusammengebrochen sei und der Druck durch die Fischerei schnell gesenkt werde.

Der übliche Alarmismus von Umweltschützern?

Man könnte die bedrohlich klingenden Nachrichten des WWF als den üblichen Alarmismus von Umweltschützern abtun. Wäre da nicht die Tatsache, dass der WWF weder die erste noch einzige Organisation ist, die vor den katastrophalen Folgen einer Ausplünderung der Ozeane warnen. Die erste globale Studie über die Folgen des Artensterbens in den Meeren erschien im Jahr 2006. Damals hieß es: Sollte die Menschheit weiter Raubbau an den maritimen Lebensräumen betreiben, könnten sämtliche Bestände von Speisefischen und Meeresfrüchten bis zum Jahr 2048 kollabieren.

Amerikanische und britische Forscher hatten für ihre Studie die weltweiten Daten der Vereinten Nationen zum Fischfang seit 1950 ausgewertet. Der damalige Studienleiter Boris Worm, Biologe an der Dalhousie University im kanadischen Halifax, sagte: „Ich war schockiert und verstört darüber, wie eindeutig diese Trends sind. Das ist schlimmer als alles, was wir erwartet hatten.“ Und sein Mitautor Stephen Palumbi von der kalifornischen Stanford University fügte hinzu: „Wenn wir unseren Umgang mit den Arten in den Ozeanen nicht fundamental ändern, wird dieses Jahrhundert das letzte mit wild gefangenem Fisch sein.“

Auch die UN warnt: Die Meere sind überfischt

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO, Food and Agriculture Organization of the United Nations) veröffentlicht alle zwei Jahre einen Bericht über den Zustand der weltweiten Fischerei – den sogenannten Sofia-Bericht. Die aktuelle Studie stammt vom Mai vergangenen Jahres. Demnach sind 28,8 Prozent der weltweiten Fischbestände überfischt. 61,3 Prozent aller Fischbestände werden maximal befischt. Nur 9,9 Prozent der weltweiten Bestände werden moderat bis wenig befischt.

Laut FAO-Bericht werden jedes Jahr 158 Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchte aus Wildfang und Aquakultur ans lang gebracht. Davon stammen 91,3 Millionen Tonnen aus Meeres-Wildfang. 720 bis 864 Millionen Menschen sind in der weltweiten Fischerei-Industrie.

Industrielle Ausbeutung der Meere

Seit 1950 hat sich die Ausbeute aus den Meeren vervielfacht. Damals waren es laut FAO 20 Millionen Tonnen. Die Gründe für die gewaltige Expansion: neue Fangtechniken, größere Schiffe, moderne Techniken zur Kühlung und Konservierung, die industrielle Verwertung von Fisch zu Fischmehl und -öl als Tierfutter. Und nicht zu vergessen: der rasant wachsende Hunger von immer mehr Menschen auf diesem Planeten.

Keiner wird sagen können: Wir haben es nicht kommen sehen. Bereits Ende 1960er Jahre warnten Experten vor einem Rückgang der Dorsch- oder Kablajau-Bestände. Um 1970 brachen die Fänge massiv ein. Bis heute haben sie sich vielerorts nicht erholt. 1968 fing man im Nordostatlantik keine Heringe mehr. 1972 kollabierte der Sardellenfang vor Peru.

Wie viel Fische schwimmen in den Ozeanen?

Doch was sind schon 90 bis 100 Millionen Tonnen gefangener Meerestiere angesichts der riesigen Mengen, die in den Tiefen der Ozeane herumschwimmen? Nur so viel sind es gar nicht. 2009 haben Forscher der University of British Columbia in Kanada die Masse aller Meeresfische geschätzt. Sie kamen auf insgesamt 0,8 bis zwei Milliarden Tonnen. Verglichen mit den Fangmengen holt die Menschheit vier bis zehn Prozent der Fische heraus. Das Problem ist, die Bestände vermehren sich nicht so schnell, wie sie aus dem Meer gefischt werden.

Den Fischen geht es richtig schlecht

Noch bieten die Fischmärkte in aller Welt eine Fülle und Vielfalt an Meeresgetier, die ihresgleichen sucht. Doch damit könnte es in 30 bis 40 Jahren vorbei sein. Wenn man die Meere weiter so intensiv und industriell nutzt, werden sie irgendwann genauso leer sein wie die Mägen vieler Menschen, die auf Fisch als wichtigster Eiweißquelle angewiesen sind.

„Unsere Meere brauchen dringend Erholung, um nicht vor unseren Augen zu kollabieren“, warnt der WWF. Dessen Forderung nach strikt eingehaltenen Fangquoten und längeren Erholungspausen für gefährdete Bestände ist richtig und wichtig. Doch wer hält sich daran? Erst jüngst wurde vermeldet, dass Chinas Fischereiflotte, die größte der Welt, Kurs auf Afrika und die Antarktis nimmt, nachdem die eigenen Küsten leer gefischt sind. Wo soll das nur enden? Ganz einfach: in leeren Ozeanen.