Wohnungen werden in Stuttgart, wie hier mit einem Aushang, von vielen händeringend gesucht – leer stehende Apartments sollen wieder auf den Markt gebracht werden Foto: Leif Piechowski

Was der Haus- und Grundbesitzerverein und diverse Fraktionen unbedingt verhindern wollen, ist geschehen. Der Gemeinderat hat beschlossen, dass Dauerleerstand von Wohnungen in Stuttgart klipp und klar verboten ist. 2016 wird das Zweckentfremdungsverbot eingeführt.

Stuttgart - Die Landeshauptstadt verschärft am 1. Januar die Gangart im Kampf gegen den Leerstand von Wohnungen. Am Jahresanfang 2016 wird ein Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum in Kraft treten. Das ist am Donnerstagnachmittag nach langen Diskussionen unter den Stadträten und auch hitzigen öffentlichen Debatten mit einer knappen Mehrheit – 30 Ja- bei und 27 Nein-Stimmen – im Gemeinderat beschlossen worden.

Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) und die Stadträte des öko-soziale Lagers aus Grünen, SPD und der Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus setzten das Zweckentfremdungsverbot durch, das es in ähnlicher Form bereits in den 1990er Jahren bereits einmal gegeben hatte und das später dann wieder abgeschafft worden war. Die Fraktionen des bürgerlich-konservativen Lagers lehnten die neue städtische Satzung, sozusagen ein kommunales Gesetz, entschieden ab. Die von der CDU angeführten Gegner konnten das Votum für das Verbot aber nicht mehr verhindern.

Die Abstimmung war überaus spannend. Mit dem Linken-Stadtrat Thomas Adler fehlte ausgerechnet ein ausgewiesener Verfechter des Zweckentfremdungsverbots krankheitsbedingt. Adler, der auch beim Internetportal Leerstandsmelder.de mitarbeitet, laboriert an den Folgen eines Radunfalls. Doch selbst mit OB Kuhn bringt es das öko-soziale Spektrum im Gemeinderat nur auf fünf Stimmen Vorsprung vor dem bürgerlich konservativen Lager. Bei dieser Sitzung fehlten drei Gemeinderatsmitglieder, die das Verbot befürworten. Demgegenüber war ein CDU-Stadtrat abwesend. Deswegen wurde es denkbar knapp.

Die neue Satzung ist im Land Baden-Württemberg überall dort möglich, wo Wohnungsmangel herrscht. Sie wird zunächst fünf Jahre gelten und kann dann fortgeführt werden, allerdings muss vorher ihre Wirkung untersucht werden. Theoretisch sind bei anhaltenden Verstößen gegen das Zweckentfremdungsverbot Geldbußen bis zu jeweils 50 000 Euro möglich. OB Kuhn und die Verwaltung haben allerdings schon betont, dass es ihnen nicht um die Eintreibung von Geldbußen gehe. Man wolle mit Eigentümern von leer stehenden Wohnungen ins Gespräch kommen und sie „daran erinnern, dass sie mit ihrem Eigentum auch Geld verdienen können“. Durch die Kontaktaufnahme mit den Eigentümern möchte die Verwaltung leer stehende Wohnungen wieder dem Wohnungsmarkt zuführen.

Dauerleestand sei unanständig, sagt der OB

Die Verwaltung schätzt, dass dafür rund 1000 bis 4100 Wohnungen in Stuttgart in Frage kommen, die länger als sechs Monate leer stehen. Diesen Weg beschreite man auch nur deshalb, weil Appelle auf freiwilliger Basis nicht in ausreichendem Maß gefruchtet hätten, erklärte Kuhn vor einigen Tagen. In der jetzigen Situation mit „Wohnungsnot“ in Stuttgart Wohnungen dauerhaft leer stehen zu lassen, sei aber „nicht anständig“. Den Vorwurf der Freien Wähler, dass jetzt eine Leerstandsschnüffelei beginnen werde und ein „Misstrauenskultur“ aufgebaut werde, wies die Verwaltung zurück. Niemand werde unangemeldet auftauchen und Einlass in Häuser begehren.

Die beiden neuen Mitarbeiter des Baurechtsamts, die für die Umsetzung der Satzung zuständig sein sollen, werden aber Internetportale wie Leerstandsmelder.de oder das auf Vermittlungen für Touristen spezialisierte Portal airbnb beobachten und die Eigentümer der dort gelisteten Wohnungen kontaktieren.

Die neue Satzung gilt nicht immer

Erst nach sechs Monaten Leerstand liegt überhaupt eine Zweckentfremdung vor. Die neue Satzung soll darüber hinaus auch verhindern, dass Wohnfläche in Bürofläche umgewandelt wird, was allerdings im Moment nicht als Problem gilt. Verhindern will die Verwaltung auch die zunehmende dauerhafte Vermarktung von Wohnungen als Ferienwohnungen für Touristen. In den Vorgaben des Landes und in der Satzung ist aber auch geregelt, wann das Verbot nicht gilt und wann eine Zweckentfremdung genehmigt werden muss. So ist die Vermietung von Wohnräumen an Touristen möglich, wenn sie sporadisch stattfindet oder weniger als 50 Prozent der Wohnung ständig vermietet sind. Ferienwohnungen, die schon bisher gewerbsmäßig genutzt werden, haben Bestandsschutz. Sie müssen der Stadt aber bis 1. Januar schriftlich gemeldet werden. Wohnungen, die mehrere Monate zum Beispiel an Monteure vermietet werden oder Touristenzimmer, die weniger als 50 Prozent der Wohnung ausmachen, fallen nicht unter das Verbot.

Der Haus- und Grundbesitzerverein Stuttgart hatte trotzdem noch am Mittwoch an die Stadträte appelliert, das Zweckentfremdungsverbot abzulehnen. Es sei unverhältnismäßig und auch sachlich ungerechtfertigt. Nach der Entscheidung bereitet der Interessenverband mit über 20 000 Mitglieder mit rund 70 000 Wohnungen in Stuttgart schon die nächste Erklärung vor.