Wohnraum ist auch auf der Trauminsel Sylt knapp und teuer. Zwei Bauherren sahen in einem heruntergerockten Haus Potenzial. Sie ließen das denkmalgeschützte Gebäude behutsam sanieren und in zwei Wohneinheiten teilen.
Schaut man sich bei einer Wanderung auf der Insel Sylt um, staunt man über die schönen alten Reetdachhäuser und wundert sich, wie wenig die Neubauten darauf reagieren. Neben der grasigen, grüngraublauen Landschaft machen ja gerade die gut erhaltenen Reetdachsiedlungen von List bis Hörnum den architektonisch ästhetischen Charme der Insel aus.
Gesichtslose neue Klinkervillen mit mächtigen Balkonen, die man da und dort sieht, mit ihrer gewollt pompösen Anmutung, die sind verkraftbar, aber keine Ausweise guten Bauens. Zumal viele Anwesen nur von Feriengästen genutzt werden, Wohnen für Menschen, die auf der Insel arbeiten, wird immer teurer, ist kaum mehr bezahlbar, ähnlich wie in Metropolen wie Paris, Zürich oder München und auch Stuttgart, wo die Menschen aufs Land ziehen und in die Stadt pendeln.
Umso bemerkenswerter, wenn Menschen alte Gebäude im Dorfzentrum, die es ja auch noch immer gibt, retten und in neuem Glanz erstrahlen lassen. So wie die Bauherren, die ein heruntergerocktes Seemannshaus mitten in Keitum auf Sylt gekauft haben. Das Objekt hatten sie ganz klassisch über einen Immobilienhändler gefunden. „Das Besondere war“, sagt der Architekt Patrick Batek, der die Sanierung konzipiert, „dass die Bauherren im hässlichen Entlein etwas gesehen haben. Das Haus ist ja auch nicht am Meer oder einer ruhigen Seitenstraße gelegen, sondern mittendrin, dazu muss man erst einmal eine Vision haben.“
Denkmalgeschütztes Haus von 1691
Als der Architekt das Projekt übernahm, hatte es schon eine Planung, gegeben, „die Bauherren suchten aber jemanden, der das Denkmal sensibler behandelt und die Ausstattung übernimmt. Wir haben bis zum Buttermesser und Eierlöffel, Möbeln und Büchern, die sie ausgewählt haben, alles mitgebracht.“
Kulturgeschichtlich Wertvolles zu schützen bedeutet zudem, in die eigene Geschichte zu investieren. Das ist durchaus angesehener als früher – als man seine Fortschrittlichkeit durch zukunftsgerichtetes Neu-Bauen, die Verwendung neuer Materialien und technische Spielereien demonstrierte.
„Was wir gemacht haben, ist mehr, als schöne neue Möbel und Leuchten in dem Haus zu verteilen“, sagt denn auch Architekt Patrick Batek, der das heruntergerockte Seemannshaus von 1691 mit Reetdach saniert und in zwei Wohneinheiten umgebaut hat. Als wäre es immer schon da gewesen und immer schön geblieben, so steht das ehemalige Seemannshäuschen in der Dorfstraße von Keitum da. „Sylt ist ja erst seit den 60ern mit dem Jetset assoziiert. Zuvor gab es Seeleute, Bauern mit Schafen“, sagt Patrick Batek. Es stehen nun nach der mehrjährigen Sanierung Erlen vor dem Haus, der Passant geht an schlichten Holzfenstern vorüber.
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„Im Inneren des Hauses haben wir eine grausam verschandelte Substanz vorgefunden“, berichtet der Architekt. „Kunststofffenster, Wandverkleidungen, eingezogene Holzdecken, ockerfarbene PVC-Fußbodenbeläge, die aussahen wie Fliesen. Die große Aufgabe bestand darin, dem Haus seine Würde zurückzugeben.“
Sprich: die Verschandelungen zurückzubauen und Erhaltenswertes zu bewahren. In früher, enger Abstimmung mit dem Denkmalschutzbeauftragten informierten sich das Architektenteam, Projektleiter Bernd Driessen und Bauleiter Waldemar Hübner darüber, wie einst auf Sylt gebaut wurde. „Es gab ein Gutachten, in dem festgehalten ist, was aufgearbeitet werden musste, die Farben von Fenstern, das Reetdach, die Haustür.“ Es kam einiges Unerwartetes, berichte der Architekt: „der Dachstuhl sollte im alten Teil beibehalten werden, musste aber wegen der Statik verstärkt, ertüchtigt werden.“
Aus dem Haus wurden zwei Wohneinheiten
Die Bauherren, die sich das Haus teilen, zeigten zudem eine außergewöhnliche Liebe zur Handwerksarbeit und zum Detail. „Auf der Suche nach einem passenden Boden haben wir bei einem Händler in Rosenheim alte Schlossdielen gefunden“, berichtet Patrick Batek, „die wir eins zu eins in einer eigens angemieteten Halle so ausgelegt haben, wie sie dann im Haus verlegt werden sollten.“
Bei den Um- und Einbauten konnte der Architekt zwei Stile ausprobieren. Patrick Batek: „Der vordere Teil ist eher als Wochenendhaus gedacht. Der Bauherr lebt in Städten und wollte es hier im Landhausstil gemütlich haben, keinesfalls aber in dem sehr verbreiteten opulenten Hampton Style mit Holzvertäfelung in hellem Grau.“
Der andere Teil inklusive Hof und Garage gehört zu dem Bauherren, der dort ständig lebt. Er wollte es moderner, urbaner, jünger, aber würdevoll dem Haus gegenüber. Das Ergebnis ist ein warmer Minimalismus, Mooreiche mit Muschelkalk, altes Material in einer modernen Form.“
Landschaft der Insel als Inspiration
Die Stile vertragen sich miteinander, da die Wohnteile jeweils für sich funktionieren. Patrick Batek: „Es gibt nur einen Verbindungsraum, und die Gästezimmer samt Badezimmer teilen sie sich. Ebenso im Souterrain Sauna und Spa, Hauswirtschaftsraum und Technikräume. Dann gibt es noch als drittes Teil ein Studio, eine kleine Wohnung mit Pantryküche, diese gehört auch beiden.“
Bei der Gestaltung ließ sich der in Berlin lebende Architekt von der Insel inspirieren: „Ich war nie so ein Syltfan, wir sind im Februar zum ersten Mal hingefahren, da war es relativ leer, kalt, windig, nieselig, wir saßen in den Teestuben und draußen windete es, es war wirklich toll.“ Man sieht gut, wie Alt und Neu harmonisch ineinander übergehen, bei den Terrassen kommt roter Backstein zum Einsatz, auch alte Backsteine sind darunter. Schilfiges Grün wurde bei der Innenraumgestaltung verwendet, das die Landschaft der Insel zitiert. Und Petrolfarbe, „weil wir im Syltmuseum petrolfarbene Wandverkleidungen entdeckt hatten“, sagt Patrick Batek.
Ein Hühnerstall in Ochsenblutrot
Auch die Gebäude im Garten wurden von Kunststofffenstern und Linoleum befreit, schließlich wollen die Bewohner auch beim Blick aus den Fenstern auf Schönes schauen. „Im Teehaus waren Plastiksprossenfenster. Jetzt ist es neu rundum verglast auf Gürtelhöhe und unten geschlossen, im Inneren gibt es eine umlaufende Bank“, sagt Patrick Batek. Und den alten Hühnerstall haben wir in Ochsenblutrot gestrichen, eine Art Schwedenrot, um den Bezug zum Norden zu schaffen.“
Ein Projekt, das innen wie außen zeigt, Umbauen im Denkmal lohnt sich. Und wer ein altes Haus rettet, schützt kulturelle Werte. Bauherrinnen und Bauherren verpflichten sich, Altes zu bewahren und für die Nachkommen erlebbar zu machen; seien es die Menschen, die darin wohnen, seien es die Passanten, die an einem gelungen sanierten Haus vorbei gehen.
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Umbauen im Denkmal
Die Politik hat den Wert solcher Häuserrettungen erkannt. Das Ziel der Bundesregierung – der Bau von 400 000 Wohnungen jährlich – ist nur auf vielen Wegen erreichbar. Für die Bauherren gibt es steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für die Umbauarbeiten, die müssen aber vorher vom jeweiligen Amt für Denkmalschutz genehmigt werden.
Weitere Fördermöglichkeiten variieren von Land zu Land. Das Amt für Landesentwicklung und Wohnen in Baden-Württemberg zum Beispiel fördert das Umbauen im Denkmal, da ja dort spezielle, teurere Materialien gefordert sind, auch sind die Handwerksarbeiten aufwendig. Die Hälfte der Mehrausgaben, die durch die Denkmalschutzauflagen entstehen, wird erstattet. Also wenn ein Material 1200 Euro kostet statt 500 Euro in günstiger, aber eben nicht denkmalgerechter Ausführung, gibt’s die Hälfte der Differenz/Mehrkosten von 700 Euro retour, also 350 Euro vom Staat.
Künftig, so heißt es aus dem Ministerium, soll es zusätzlich Förderungen für gute Konzepte der Umnutzung geben. Wenn etwa aus einer ungenutzten Scheune, einem alten Hof, einem Schloss, neuer Wohnraum entsteht. Was für die Sanierung alter Böden, Fenster und Türen zutrifft, gilt aber auch für die Durchdringung der Paragrafen und Fördermöglichkeiten – Expertenwissen und Geduld sind von Vorteil.