Nach dem verzagten Auftritt gegen Liechtenstein hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Armenien begeistert – und das hat viel mit dem neuen Bundestrainer zu tun.
Stuttgart - Zum Schluss wurde es fast kitschig. Die laue Stuttgarter Spätsommernacht bot ein kleines Heimatkonzert. Der Stadion-DJ spielte unten in Cannstatt ein paar Hits der Fantastischen Vier ab, und die ohnehin schon begeisterten Fans in der Arena wippten, sangen und ja, sorry, liebe Fantas und andere Hip-Hopper, sie schunkelten auch zu den vertrauten Klängen mit. Irgendwie also waren die 18 000 Zuschauer im Stadion kurz nach dem Schlusspfiff passend zum eingespielten Song der Fantas „zusammen groß“ mit den Jungs auf dem Rasen, die fröhlich winkten auf ihrer Ehrenrunde. Es war ein echtes Heimspiel: bei der Partie selbst und danach, akustisch, aus den dröhnenden Stadionboxen.
Und ja, diese Erkenntnis machte sich breit im weiten Rund: Wenn die DFB-Elf so weitermacht wie bei diesem teils famos herausgespielten 6:0-Sieg am Sonntagabend in der WM-Qualifikation gegen Armenien, dann wird nicht nur das Stuttgarter Publikum nach langer Entfremdung künftig wieder frei nach den Fantas vom Sonntagabend „Troy“ bleiben, wenn Länderspiele anstehen.
Hansi Flick findet die passenden Worte
Passend zu den Heimatklängen spielte der neue Bundestrainer Hansi Flick am Ende des Fußballabends noch einen letzten Doppelpass mit den Zuschauern, die während der Partie die Welle gemacht und einen alten Gassenhauer wiederbelebt hatten, den es schon gab, als es die Fantas noch nicht gab: „Oh wie ist das schön!“ – fand auch Flick, der schöne Worte ans Fußballvolk richtete. „Ich habe schon vorher gute Erinnerungen ans Stuttgarter Publikum gehabt“, sagte der Coach, der das „Miteinander“ zwischen Fans und Spielern hervorhob: „Die Mannschaft hat eine tolle Leistung gezeigt, und die Zuschauer haben eine begeisternde Atmosphäre geschaffen. Da hat man Gänsehaut bekommen, weil wir das lange nicht mehr so erlebt haben.“
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Das kann man wohl so sagen – fußballerisch und atmosphärisch hat es so etwas lange nicht mehr gegeben bei einem Länderspiel der deutschen Elf. Was zutiefst mit der neuen Spielweise unter Flick zu tun hatte. Aggressiv und beweglich ging es nach vorne, mit Geschwindigkeit und schnellen Ballstafetten, mit ständigen Rochaden und dem Gespür für die freien Räume. Und wenn die Kugel mal verloren wurde, griff das Flick-Prinzip, das auch beim FC Bayern unter dem Triple-Coach des Jahres 2020 funktioniert hatte: Dann eroberten seine Spieler mit ihrem Anlaufen und dem Gegenpressing den Ball eben wieder zurück.
So stellt sich Flick das vor mit Blick auf die WM 2022 in Katar, so soll das sein, so soll das weitergehen. Man habe sich vorgenommen, erklärte Flick weiter, „einen Fußball zu spielen, der die Leute begeistert, der Freude macht“. Und, so sagte es Flick, das sei der Fall gewesen. Aber, auch das betonte der Coach noch: „Nicht mehr und nicht weniger.“
Flick war es also an diesem stimmungsvollen Fußballabend, der die Euphorie nicht zu groß werden ließ, und dafür gab es triftige Gründe. Denn ein paar Tage zuvor hatte es dieses mühsame 2:0 gegen den Fußballzwerg Liechtenstein gegeben. Da geriet Flick noch in Erklärungsnöte, er musste diese seltsam uninspirierte Leistung seiner Mannschaft in seinem ersten Spiel als Bundestrainer moderieren – und tat es, zumindest öffentlich, indem er seine Jungs in Schutz nahm. Am Samstag, einen Tag vor der Gala gegen Armenien, betonte Flick obendrein, dass „wir Trainer auch nicht blind sind“. Da war also jemand gereizt – jetzt, nach dem 6:0 von Stuttgart, zeigte sich Flick gelöst. So schnell kann das gehen im Tagesgeschäft namens Profifußball.
Die alten Fesseln werden gelöst
Die Wahrheit über diese deutsche Elf, sie scheint denn auch irgendwo in der Mitte zwischen Liechtenstein und Armenien zu liegen. Die Verzagtheit gegen den krassen Außenseiter offenbarte, dass es noch ein weiter Weg für Flick ist. Denn es gibt sie, die alten Fesseln bei seinen Spielern, die zuletzt oft nicht mehr mit dem größten Zutrauen in die eigenen Stärken zur Nationalelf gereist waren unter Vorgänger Joachim Löw, die zauderten, zögerlich und mutlos agierten.
Der Fakt, dass seine Jungs diese alten Fesseln nun schon ein paar Tage später gegen Armenien lösten, dürfte Flick etwas ruhiger schlafen lassen. Auch weil die Spieler in der zweiten Partie unter ihm die ersten Trainingsinhalte aus der Woche in Stuttgart-Degerloch auf den Platz brachten. Die Einheiten waren geprägt von klassischen Flick-Inhalten: Gegenpressing, Balljagen und dann ab die Post nach vorne – das war zu sehen.
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Flicks erste kleine Bilanz in seinem ersten Länderspielblock steht und fällt nun aber mit dem Abschluss an diesem Mittwoch auf Island (20.45 Uhr/RTL). Spielt seine Elf da ähnlich begeisternd wie am Sonntag, wird der Neue in der Rückschau kräftig gepunktet haben, und das nicht nur in der Tabelle der WM-Qualifikation. Tritt sie aber ähnlich verzagt auf wie vorher gegen Liechtenstein, wird der Start des neuen Bundestrainers eher als mau in die Geschichte eingehen.
Der Weg von Hansi Flick ist weit. Und er hat gerade erst begonnen.