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In der deutschen Fußball-Geschichte gibt es diverse Tiefpunkte – ein Mal wurde gar vom Tiefpunkt des Tiefpunkts gesprochen. Auffällig: Fast immer wenn die DFB-Auswahl maßlos enttäuschte, hatte es atmosphärische Störungen innerhalb des Teams gegeben.

Stuttgart - WM 1962 in Chile Kein Bundestrainer nach ihm war länger im Amt (20 Jahre), keinem gelang eine ähnliche Sensation wie der WM-Triumph 1954, aber vermutlich war auch keiner so starrköpfig wie der unnachahmliche Sepp Herberger. Alle großen Fußballnationen hatten bis 1962 erkannt, wie wichtig Athletik, Tempo und das darauf ausgerichtete Training sind – nur der „Chef“ in Deutschland sagte: „Fußball lernt man nur durch Fußball.“ Dass er zudem einen Tag vor WM-Beginn Stammtorwart Hans Tilkowski durch den 21-jährigen Ulmer Wolfgang Fahrian ersetzte, Uwe Seelers Hamburger Mitspieler nicht berücksichtigte und noch defensiver spielen ließ als die meisten Kontrahenten, stieß nicht nur in der Heimat sauer auf. Tilkowski tobte, Uwe Seeler meckerte via „Bild“, die Stimmung in der Mannschaft war dahin und im Viertelfinale unterlag man Jugoslawien 0:1. Aber Herberger war sich trotz diverser Rücktrittsforderungen keiner Schuld bewusst – erst zwei Jahre später übergab er widerwillig an seinen Assistenten Helmut Schön.

Zu unserem WM-Special WM 1978 in Argentinien „Die Schmach von Cordoba“ – keine andere WM wird so sehr an einem Spiel festgemacht wie das Aus in der Zwischenrunde 1978. Ein Unentschieden gegen Österreich hätte für das Spiel um Platz drei, ein Sieg eventuell sogar für das Finale gereicht – aber der amtierende Weltmeister Deutschland unterlag Österreich in Cordoba mit 2:3. Es war das letzte Spiel des Erfolgstrainers Helmut Schön, der als einziger Coach der DFB-Geschichte den Welt- und Europameistertitel erringen konnte. Querelen rund um die Nominierung (Paul Breitner, Franz Beckenbauer und Uli Stielike waren nicht dabei) sowie die unglückliche Rolle des DFB im Fall der ein Jahr zuvor ermordeten Studentin Elisabeth Käsemann ließen die WM nie in einem guten Licht erscheinen. Berti Vogts damalige Worte („Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen“) stehen bis heute stellvertretend dafür, wie ignorant man in Deutschland mit der Diktatur in Argentinien und der Ermordung von Käsemann umging. EM 1984 in Frankreich Als amtierender Europameister schied die Mannschaft von Coach Jupp Derwall bei den „Michel-Platini-Festspielen“ (neun Tore) bereits in der Vorrunde aus. Das Last-Minute-Gegentor im abschließenden Gruppenspiel gegen Spanien (0:1) kostete die DFB-Elf das Weiterkommen und Derwall seinen Job. „Steinzeitfußball“ warf man dem Bundestrainer vor. Da halfen auch die aufgehenden Sterne von Lothar Matthäus und Rudi Völler wenig. WM 1994 in den USA und 1998 in Frankreich Die Mannschaften von Trainer Berti Vogts scheiden jeweils im Viertelfinale aus. Während 1994 insbesondere die Torwartfrage (Bodo Illgner erhielt nochmals den Vorzug vor Andreas Köpke) sowie der Stinkefinger von Stefan Effenberg die Gemüter bewegt hatten, zog Vogts 1998 den Unmut auf sich. Anstatt den biederen Fußball seiner überalterten Elf zu kommentieren, suchte er nach der 0:3-Viertelfinalniederlage gegen Kroatien die Schuld beim Schiedsrichter und der Fifa: „Wir müssen nach Hause. Warum auch immer!? Das haben andere Leute zu verantworten. Vielleicht ist der deutsche Fußball zu erfolgreich.“ Pelé brachte es hingegen auf den Punkt: „Die Deutschen hatten niemanden im Mittelfeld mit Gehirn. Sie konnten nur kämpfen.“ Vogts wollte zunächst – trotz aller Kritik aus dem Team und der Öffentlichkeit – nicht zurücktreten. Drei Monate später hatte er ein Einsehen, allein die Probleme des deutschen Fußballs blieben. EM 2000 in Belgien/Niederlande Wer nach der WM 1998 dachte, der Tiefpunkt für Fußball-Deutschland sei erreicht gewesen, wurde bei der EM 2000 eines besseren belehrt. Drei Spiele, zwei Niederlagen, ein Remis und ein mickriges Weitschusstor – das ist die Gesamtbilanz des Teams von Trainer Erich Ribbeck, in dem noch der 39-jährige Lothar Matthäus als Führungsspieler dienen sollte. Dazu kam die geradezu historische 0:3-Pleite zum Abschluss gegen eine portugiesische B-Elf. „Ich schäme mich“, bekannte Oliver Kahn im Anschluss. Matthäus trat endgültig ab, Ribbeck musste gehen und übergab an den neuen Teamchef Rudi Völler.

EM 2004 in Portugal Das Erreichen des WM-Finals 2002 hatte Erwartungen geweckt, die die Völler-Elf in Portugal nicht erfüllen konnte. Das 1:1 gegen die Niederlande zum Auftakt schien noch in Ordnung – es folgten allerdings ein 0:0 gegen Tschechien und ein ganz schwaches 1:2 gegen Lettland. Zum zweiten Mal in Folge war in der EM-Vorrunde Endstation. Völler musste gehen, es übernahm Jürgen Klinsmann – und seither ritt die deutsche Mannschaft auf einer beispiellosen Erfolgswelle. Bis, ja bis zur WM 2018.