Im WM-Viertelfinale gegen Brasilien geht es für Kolumbien nicht nur um Fußball. Den größten Erfolg ihrer Geschichte nutzen die lange gebeutelten Südamerikaner als Imagekorrektur und Bewältigung der Vergangenheit. Ein Duell der großen Gefühle.
Cotia - Kolumbien steckt im emotionalen Ausnahmezustand. Nach der tiefen Trauer zum 20. Todestag von Ex-Kapitän Andrés Escobar ist das erste WM-Viertelfinale der Verbandsgeschichte mehr als nur ein Fußballspiel. Mit dem „Geist von Andrés“ will das Überraschungsteam um Shooting-Star James Rodríguez Brasiliens Traum vom sechsten Weltmeistertitel am Freitag (22.00 Uhr MESZ Uhr/ARD) jäh beenden. Mit dabei in Fortaleza: die Geschwister des 1994 getöteten Escobar. „Für immer im Herzen von ganz Kolumbien!!!!“, schrieb Keeper Faryd Mondragon vor der Partie in Erinnerung an seinen früheren Teamkollegen, dessen Todestag sich am Mittwoch zum 20. Mal jährte.
Kolumbien hat viel mehr zu bieten als James Rodríguez
Dazu zählt vor allem Rodríguez - aber Kolumbien hat viel mehr zu bieten als seine Nummer Zehn. Der auch beim FC Bayern gehandelte Antreiber Juan Cuadrado ist bester Assistgeber des Turniers, zudem hat kein WM-Teilnehmer weniger Gegentore kassiert als die Defensive um den reflexstarken Torwart David Ospina. „Auch wenn sie noch viele Jahre vor sich haben und viel passieren kann, werden die Spieler mit Sicherheit in die Ruhmeshalle einziehen“, prophezeite die Zeitung „El Mundo“.
Auf dem Weg in die ewige WM-Ehrengalerie soll nach dem 2:0 im Achtelfinale gegen Uruguay nun der nächste Rivale aus Südamerika gestoppt werden. „Sie spielen gut, aber das müssen sie auch, weil wir gefährlich sein können“, erklärte Rodríguez wenig ehrfurchtsvoll. „Wir sind dabei, Geschichte zu schreiben.“
Schon einmal schickte sich eine goldene Generation an, Kolumbien ganz nach oben in der Rangfolge des Weltfußballs zu katapultieren. Doch anders als Carlos Valderrama, Escobar & Co., die es 1990 nur ins Achtelfinale schafften, agiert das Pékerman-Team bei mehr Tempo weniger verspielt und hat mit 31 Prozent die höchste Chancenverwertung aller WM-Teilnehmer aufzuweisen. „Es wird eine Partie auf gutem technischen Niveau, mit schönen Toren“, versprach der Coach den Fußball-Feinschmeckern. „Die Leute werden es genießen.“
Auch der ehemalige Bayern-Profi Adolfo „El Tren“ Valencia rechnet seinem früheren Team „alle Chancen“ aus: „Ich sehe ein brasilianisches Gespenst - mit allem Respekt, den die Spieler verdienen - aber ich sage es so, weil man früher ein Brasilien sah, das die anderen Teams hinter sich ließ, und jetzt ist es wie irgendeine der anderen Mannschaften mit einer oder zwei Figuren.“
Einer aus dem heimischen Trio ist der frühere Kölner Mondragon - als Einziger stand er bereits vor 20 Jahren mit dem tragischen Anführer Escobar im WM-Team, auch Kapitän Mario Yepes spielte noch mit diesem. In Brasilien sind nun Escobars Schwester María Ester und Bruder Jose auf FIFA-Einladung zu Gast. Vor dem Viertelfinale wandten sie sich mit bewegenden Worten an die Öffentlichkeit und die beiden Weggefährten: „In ihnen und in der Mannschaft lebt der Geist von Andrés weiter“, schrieben sie und hoffen wie manche Beobachter auf eine Beschleunigung der Friedensgespräche in Kolumbien. „Der Fußball muss dazu dienen, das Land rund um eine Botschaft des Friedens und der Liebe zu vereinen.“