Pelé ist ein großes Idol für seine Landsleute Foto: Getty Images Europe

An guten Tagen ist Pelé noch immer so auf den Beinen wie er spielte: Leicht, federnd, beseelt von kindlicher Freude. Doch aus dem Straßenjungen von einst ist ein Geschäftsmann mit hoher Gewinnerwartung geworden. Und daran trägt er manchmal schwer.

Rio de Janeiro - Es gibt Dimensionen, die für einen Menschen nur schwer zu begreifen sind. Und Pelé (73), so behaupten seine Kritiker, ist sich seiner öffentlichen Wirkung bis heute nicht bewusst. Vielleicht auch deshalb, weil es im Regelwerk des Fußballs keinen Paragrafen gibt, der Hinweise darauf liefern könnte, was richtig ist und was falsch, wenn die Wucht des Ruhms ein junges Genie erfasst. Spielzüge lassen sich trainieren, Schusstechniken verbessern, aber nach der Taktik abseits des grünen Rechtecks sucht jeder für sich allein.

So traumhaft sicher und elegant Edson Arantes do Nascimento den Ball führte, so ungeschickt und stolpernd betrieb er anfangs seine Geschäfte. Der dicke Pepe, ein Freund aus Jugendtagen, brachte ihn mit windigen Immobiliengeschäften um Millionen. Einen Baustoffhandel setzten sie in den Sand, ein Molkereigeschäft floppte. Kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft 1970 summierten die Gläubiger ihre Forderungen auf 1,5 Millionen Euro.

Der beste Fußballer seiner Zeit steckte in akuten Geldnöten, als er 1975 nach 18 Jahren beim FC Santos zu Cosmos New York wechselte. Für 4,5 Millionen Euro. „Ich war kein guter Geschäftsmann“, sagt er heute, „ich habe zu sehr an das Gute in den Menschen geglaubt.“

Weshalb hätte der Bursche aus dem kleinen Städtchen Três Corações im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais auch daran zweifeln sollen, dass für ihn das Schicksal nur noch sonnige Tage bereithält? Steil und schnell hatte ihn der sportliche Erfolg auf die Umlaufbahn eines Superstars geschossen, der alle bis dahin bekannten Dimensionen sprengte. Als der vom Weltverband (Fifa) ausgezeichnete Fußballer des Jahrhunderts 1977 seine Karriere beendete, trat er als dreimaliger Weltmeister ab (1958, 1962, 1970), in 1363 Spielen hatte er 1281 Tore erzielt, davon 77 für Brasilien. Auf sein Konto gingen 92 Hattricks. Mit dem FC Santos, der besten südamerikanischen Vereinsmannschaft der 60er Jahre, brachte er es auf 26 Titel. Es war die bis heute erfolgreichste Zeit des brasilianischen Fußballs. 1967 unterbrachen die Konfliktparteien in Nigeria sogar den Bürgerkrieg, um sich von Pelé und dem FC Santos beim Gastspiel in Lagos verzaubern zu lassen.

Der WM-Sturm von 1958 mit Pelé, Didi, Garrincha, Vavá und Zagallo klingt für die Romantiker unter den Fans der Seleção, der Nationalelf, bis heute wie Beethovens Neunte. Mit überragender Technik, enormer Schnelligkeit und außergewöhnlicher Kreativität stieß die Elf um den 18-jährigen Nachwuchsspieler bis ins Endspiel vor, wo sie Gastgeber Schweden mit einem Orkan der Spielfreude aus dem Stadion fegte (5:2). Das Bild des hemmungslos schluchzenden Pelé an der Schulter von Torhüter Gilmar ging um die Welt – und rührte die Fans. Die Regierung in Brasilia deklarierte Pelé als „nationales Gut“, um den drohenden Wechsel zu Juventus Turin oder Real Madrid zu verhindern.

Es war ein Triumph, der die Brasilianer von ihrem Trauma erlöste: der 1:2-Niederlage gegen den Erzrivalen Uruguay im WM-Finale von 1950 – als 200 000 Enttäuschte im legendären Maracana-Stadion von Rio de Janeiro bittere Tränen vergossen. Und es war der vorläufige Höhepunkt eines Märchens, in dem ein gelernter Schumacher aus bettelarmen Verhältnissen auszog, um der Welt eine Art von Fußball zu präsentieren, die sie bis dahin nicht kannte. Es schien, als hätte Brasilien das Spiel neu erfunden – voller Finesse, voller Eleganz.

Es sind die vielen kleinen Legenden und Anekdoten um den sagenhaften Aufstieg eines Straßenjungen, die den Mythos Pelé bis heute nähren. Er bedient perfekt die brasilianische Sehnsucht nach Melancholie und die intensive Liebe zum Fußball. Sie sagen „Pelé ist Brasilien“ und überschütten ihren Helden mit Titeln, die Ehrfurcht, Bewunderung und Dankbarkeit dokumentieren: „O Rei“, der König, oder „Pérola Negra“, die schwarze Perle. Und sie sehen ihm meist augenzwinkernd nach, dass auch sein Leben nicht frei von Eigentoren ist.

Zwei Ehen gingen in die Brüche, seine sieben Kinder stammen von vier Frauen. Auch als „Staatsmann des Fußballs“ machte er nur zeitweilig eine gute Figur. Als Sportminister von 1995 bis 1998 unter Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso brachte er zwar das Pelé-Gesetz auf den Weg, das Zustände der Leibeigenschaft und des Sklavenhandels im brasilianischen Fußball abschaffte und den Profis eine größere Unabhängigkeit garantierte, gleichzeitig sprach er sich aber für die freie Vermarktung der Rechte am Fußball aus. Seine Marketing-Agentur Pelé Sports (Jahresumsatz 15 Millionen Euro) hätte einen guten Schnitt gemacht. Dass er erst die Korruption im brasilianischen Fußballverband (CBF) bekämpfen wollte, sich dann aber mit zwielichtigen und später der Bestechung überführten Funktionären wie João Havelange (CBF-Chef, ehemaliger Fifa-Präsident) und dessen Ex-Schwiegersohn Ricardo Texeira (CBF-Präsident) zusammentat, ist zwar verziehen, aber nicht vergessen. Es passt ins Bild, das aufmerksame Beobachter von ihm zeichnen: Im Bemühen, seinen Heldenstatus zu vermarkten, mangelt es dem Idol bisweilen am sicheren Instinkt dafür, was seinem Image schaden könnte.

Wohl auch deshalb lässt sich Pelé nur noch selten blicken, wenn die Zeremonienmeister des Weltfußballs zu einem ihrer kostspieligen Auftritte vor der WM bitten. Die Rolle als Glücksfee bei der Ziehung der WM-Gruppen verweigerte der König im Land der Träume hartnäckig. Angeblich aus Aberglaube. Viel eher wollte er aber keine Nähe zum umstrittenen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter und den Seinen demonstrieren.

Seine Rolle bleibt widersprüchlich. Die Story vom bettelarmen Pelé, der barfuß mit zusammengebundenen Stoffresten und verfaulten Grapefruits auf der Straße kickte, verkauft sich zwar immer noch prächtig, sie wirkt nur ein wenig abgestanden angesichts der rund 19 Millionen Euro, die Pelé mit der Vermarktung seiner Story jährlich erlöst. Er preist die Vorzüge von Viagra, er geht neuerdings für Procter & Gamble auf Werbetour, er trommelt für die arabische Fluglinie Emirates, für die Fast-Food-Kette Subway, für Coca-Cola, für den Schweizer Luxusuhren-Hersteller Hublot, und er ist gut dotierter Markenbotschafter von VW do Brasil.

Die Fußball-WM wird auch für den zum Geschäft, der ihre Geschichte maßgeblich bereichert hat. „Mit Gottes Hilfe sind etliche Generationen in meine Fußstapfen getreten“, sagt Pelé, „aber niemand ist perfekt. Ich versuche immer mein Bestes, um positive Botschaften weiterzugeben.“ Und dabei wirkt er, als hätte er das Ausmaß seines öffentlichen Wirkens endlich verstanden.