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Der Wirtschaftsweise Lars Feld über erneuerbare Energien, die Niedrigzinsphase und eine weitere Umschuldung in Griechenland.

Stuttgart - Wenn er die Steuererhöhungspläne der Parteien ansieht, wird ihm „ganz schwindelig“, sagt der Ökonom und Wirtschaftsweise Lars Feld. Die Bundesregierung müsste Ausgaben kürzen, tue aber das Gegenteil. „Im Moment geht es Deutschland für eine echte Konsolidierung zu gut“, sagt Feld.


Herr Professor Feld, zu den Verlierern der Finanzkrise gehören aus deutscher Sicht die Sparer und die Lebensversicherer wegen der niedrigen Zinsen. Bezahlen die einfachen Menschen für die Fehler der Bankmanager und Politiker?
Das zu sagen ist es noch zu früh. Man sieht zwar, dass bei Neuanlagen seit einiger Zeit nur noch relativ geringe Renditen erzielbar sind. Aber bis sich die durch das Vermögen gefressen hat, dauert doch einige Zeit. Den Lebensversicherern bleibt wegen ihrer strengen, auf Sicherheit bedachten Anlagevorschriften kaum etwas anderes übrig, als in deutsche Staatsanleihen zu investieren. Aber wir befinden uns noch nicht in einer finanziellen Repression, also in einer Zeit niedriger Zinsen bei hoher Inflation. Die Unternehmen sind bereits nach ein, zwei Jahren in heller Aufregung und haben Angst um ihre Gewinne. Aber große Sorgen mache ich mir derzeit noch nicht.

Ist absehbar, dass sich die Lage ändert?
Schwer zu sagen. Es gibt die Meinung, dass es so viele Ersparnisse in der Welt gibt – auch aus den Schwellenländern –, dass wir längerfristig mit niedrigen Zinsen rechnen müssen. Doch bei solchen Langfristprognosen, die Schwellenländer betreffen, bin ich vorsichtig. Zu viel kann dort passieren. Was uns aber noch ein paar Jahre beschäftigen wird, ist die schlechte Wirtschaftslage in Europa. Und solange diese anhält, haben wir eine Tendenz zu niedrigen Zinsen.

Vom schleichenden Tod der Lebensversicherung würden Sie aber nicht sprechen?
Das ist übertrieben. Wir müssen sehen, dass die Lebensversicherer genauso wie andere Anbieter von Altersvorsorge im letzten Jahrzehnt ganz schön gepäppelt worden sind: mit Riester-Förderung, mit Rürup-Förderung und einer fortdauernden Privilegierung trotz der nachgelagerten Besteuerung. Sie können durchaus eine Niedrigzinsphase durchstehen.

Wenn die Niedrigzinsphase anhält, wird der Sparer am Ende seines Arbeitslebens deutlich weniger haben als erwartet. Wird es eine neue Diskussion um die Lebensarbeitszeit geben?
Ganz sicher. Die Prognosen zur Lebenserwartung mussten immer wieder nach oben korrigiert werden. Das bedeutet, dass die Weichenstellungen in der Rentenversicherung, die das System die nächsten 15 Jahre stabilisiert hätten, nicht ausreichen. Man wird zur Finanzierung der gesetzlichen Rente ab 2030 bis 2060 darüber hinaus weitere Schritte unternehmen müssen. Da das Rentenniveau deutlich sinken wird, verbietet es sich, an dieser Schraube weiter zu drehen. Für eine Beitragserhöhung sehe ich ebenfalls kaum Spielraum. Da bleibt nur die Lebensarbeitszeit. Seit den 50er Jahren kam jedes hinzugewonnene Jahr an Lebenserwartung voll der Freizeit zugute. Der Sachverständigenrat schlägt daher vor, zukünftig von jedem gewonnenen Lebensjahr zwei Drittel in Arbeitszeit und ein Drittel in Freizeit zu stecken.

Wie lange müsste man dann arbeiten?
Das gesetzliche Renteneintrittsalter würde, wenn die Prognosen zutreffen, im Jahr 2060 bei 69 Jahren landen.

Von den niedrigen Zinsen profitiert der deutsche Staat, für den das Schuldenmachen deutlich billiger geworden ist. Gleichzeitig sprudeln die Steuereinnahmen. Tut der deutsche Staat genug, um seinen Haushalt zu sanieren?
Nein, er tut eindeutig zu wenig. Insbesondere der Bund müsste die Ausgaben kürzen und tut das Gegenteil. In der Familienpolitik werden die Ausgaben ausgeweitet, obwohl Deutschland schon mit am meisten dafür ausgibt und von den gesteckten Zielen am wenigsten erreicht. Die versprochene Bundeswehrreform führt zu Mehrausgaben statt zu Minderausgaben. Man könnte diese Liste endlos verlängern. Das alles läuft dem Ziel entgegen, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Es gibt zudem noch eine große Subvention außerhalb des Budgets: die Förderung der erneuerbaren Energien über den Strompreis.

Wie schätzen Sie die Reformkraft der deutschen Regierung ein?
Ökonomische Vernunft enthält das alte Sprichwort: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Die Politik funktioniert aber anders, sie kann immer nur sparen, wenn eine Krise da ist. Im Moment geht es Deutschland zu gut für eine echte Konsolidierung.

Die Lage müsste sich also verschlechtern, damit mehr gespart wird?
Ja. Wenn nächstes Jahr die Konjunktur erlahmt, gibt es vielleicht nach der Bundestagswahl erste Anzeichen von Vernunft. Zur Konsolidierung muss man übrigens keine Steuern erhöhen. Wir haben eine so hohe Steuerquote wie seit langem nicht mehr. Die Einnahmen sprudeln förmlich. Wenn ich die Steuererhöhungspläne der Parteien sehe, wird mir ganz schwindelig.

Der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, ist kein Hoffnungsträger?
Ich bin immer froh, wenn aus dem linken Lager jemand mit wirtschaftlichem Sachverstand ins Rennen geht. Wir haben unter der rot-grünen Bundesregierung mit Herrn Schröder, dem Kanzler der Bosse, erlebt, dass echte Reformen gestartet wurden, die vorher in der Ära Kohl verschleppt wurden. Für mich ist das keine Frage der Parteipolitik, sondern der Reformnotwendigkeit. Wenn der Druck groß genug ist, wird auch etwas gemacht.

Sie haben die erneuerbaren Energien als Belastungsfaktor erwähnt. Werden diese zu stark gefördert?
Klar. Wir geben zurzeit 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die erneuerbaren Energien aus. Selten wendete der Staat solche Beträge für Subventionen auf. Alle, die in erneuerbare Energien investiert haben, genießen in der Regel Rechtssicherheit über 20 Jahre. Man muss die Förderung daher rasch kappen, damit sie nicht zu teuer wird.

Sind diese Zahlungsversprechen für Energie, die Förderung auf 20 Jahre, auch eine Art Staatsverschuldung – künftige Belastungen, die nicht gedeckt sind?
Im Grunde ja. Wenn Subventionen festgelegt werden, die 20 Jahre lang laufen, ist das ein Wechsel auf die Zukunft und damit eine Belastung; nur, dass die Förderung über die Energieversorger und nicht über den Bundeshaushalt läuft.

Große Kapitalanleger haben angekündigt, bei der Neuanlage ihrer Gelder Staatsanleihen weitgehend zu meiden, weil diese nicht mehr ausfallsicher sind. War der Schuldenschnitt für Griechenland ein Fehler?
Angesichts der Überschuldung in Griechenland war eine Umschuldung unvermeidlich. Bisher hat man aber nur die privaten Gläubiger herangezogen. Um wieder auf die Beine zu kommen, braucht Griechenland vermutlich eine Umschuldung mit allen Gläubigern. Ich weiß, dass die Bundesregierung nicht gern auf Kapital verzichtet, schon gar nicht im nächsten Jahr, wenn Bundestagswahl ist. Aber es wird in Griechenland zusehends schwieriger, aus der Situation ohne erneute Umschuldung herauszukommen.

Die Reformen in Griechenland kommen nicht wie gewünscht voran. Sind die Geldgeber nicht in einer schlechten Position, weil ein Scheitern Griechenlands auch negative Folgen für die starken Länder hätte?
Griechenland ist ein Sonderfall. Alle anderen Staaten sind weit davon entfernt, solche Probleme zu haben. In Griechenland ist es in allen Einkommensschichten sehr schwierig, Steuern einzutreiben, um die öffentlichen Finanzen zu sanieren. Das sehe ich als grundlegendes Misstrauensvotum der Bürger gegenüber dem Staat. Griechenland hat jetzt um die Hilfe der Weltbank ersucht, die Erfahrung darin hat, Verwaltungsstrukturen in Staaten mit solchen Schwierigkeiten aufzubauen. Das ist ein richtiger Schritt. Die Europäische Union kann dies nicht gewährleisten. Es würde enorme Ressentiments wecken, wenn deutsche Beamte versuchen würden, in Griechenland Steuern einzutreiben.

Wenn Griechenland ein Sonderfall ist, über welche Länder müsste man stattdessen reden?
Man muss die Erfolge und den weiteren Handlungsbedarf sehen. In Spanien sind immer noch Banken in Schieflage, aber das Land unternimmt unglaublich viel, um Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Portugal strengt sich wahnsinnig an. Irland ist ein Lichtblick, was man von einer kleinen offenen Volkswirtschaft auch erwarten kann. In Italien kommt die Haushaltskonsolidierung voran. Das große Problem sind dort die fehlenden Reformen auf dem Arbeitsmarkt, die das Wachstum lähmen. Schließlich muss man sich Frankreich anschauen. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage läuft dort im Moment alles in die falsche Richtung. Weil es nicht gelingt, Reformen des Arbeitsmarkts anzupacken, sollen die Unternehmen Steuererleichterungen erhalten. Das führt am Ende zu einer noch höheren Staatsverschuldung. Das ist ein großes Problem für die Euro-Zone und für Deutschland.

In welcher Hinsicht?
Die Euro-Zone könnte viel schneller bei den Reformen vorankommen, wenn sich Deutschland und Frankreich im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik einig wären. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich im Moment nur sehr schwer finden.

Wird die Euro-Zone ihre Probleme in den Griff bekommen?
Ich bin zuversichtlich, dass das gelingt. Ich mache mir gleichwohl Sorgen, je länger es dauert. Als man diesen Sommer sah, wie viel Kapital aus der Euro-Zone abwanderte, hatte ich schon Befürchtungen, ob überhaupt noch jemand bereit ist, die Euro-Zone aufzufangen. Wenn in so einer Situation etwa in Griechenland ein Sturm der Anleger auf die Banken losgehen würde, wäre das Finanzsystem in höchster Gefahr. Trotzdem hat es etwas für sich, mit einer Politik der Trippelschritte voranzuschreiten. Die Risiken scheinen überschaubar. Aber: Wenn man fortwährend knapp am Abgrund vorbeischlittert, kann man auch mal ausrutschen und runterfallen.