Der zweite Winterbach-Prozess neigt sich zum Ende. Foto: dpa

Je häufiger die Zeugen gehört werden, desto chimärenhafter erweist sich die Wahrheit. Der Prozess um den Winterbach Brandanschlag neigt sich zum Ende.

Je häufiger die Zeugen gehört werden, desto chimärenhafter erweist sich die Wahrheit. Gegen Ende des zweiten Prozesses um den Brandanschlag von Winterbach am Stuttgarter Landgericht ist unklarer denn je, was in der Nacht zum 10. April 2011 auf dem Engelberg geschah. Gewiss ist, dass ein rechtsextremer Mob von rund 70 Personen nach einer Party Jagd auf Männer türkischer und italienischer Herkunft machten, die auf einem Nachbargrundstück gegrillt hatten. Dabei ging eine Gartenhütte in Flammen auf, in die sich fünf Opfer geflüchtet hatten. In einem ersten Verfahren wurden im Frühjahr zwei Männer wegen gefährlicher Körperverletzung zu je zwei Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt. Die eigentlichen Brandstifter wurden nicht ermittelt.

Seit Anfang September müssen sich elf Männer und eine Frau verantworten. Ihnen wird gefährliche Körperverletzung und Strafvereitelung vorgeworfen. Am Donnerstag wurde eines der Opfer gehört. Der 20-Jährige war nicht in der brennenden Hütte gewesen. Er habe sich für einige Zeit entfernt und als er zu der Runde zurückgekehrt sei, habe die Hütte bereits gebrannt. Anders als noch bei der Polizei sagte er, zu diesem Zeitpunkt habe er auf dem Grundstück keine Nazis gesehen, es sei verlassen gewesen. Er habe zwar angenommen, dass seine Kumpels in der brennenden Hütte seien, doch habe er sich nicht getraut, nachzusehen: „An erster Stelle wollte ich mich selber retten“, und von einem sicheren Ort aus die Polizei anrufen. Er sei den Berg hinabgerannt, dabei von mehren Rechten erwischt und verprügelt worden. Dem Arztbericht zufolge hatten ihn die Schläger übel zugerichtet. Danach habe er sich den Engelberg hinabgeschleppt.

Am Verhandlungstag zuvor hatten einige der Opfer aus der Hütte ebenfalls plötzlich ausgesagt, sie hätten keine Rechten auf dem Grundstück gesehen, so dass sich die Frage stellte, weshalb sie sich dann in die brennende Hütte flüchteten. Bei der Polizei hatten sie noch von einem grölenden Mob berichtet, der das Häuschen umzingelt habe. Die Anwälte der Nebenklage machen sich auf das paradoxe Aussageverhalten folgenden Reim: Die Vernehmungen bei der Polizei seien chaotisch verlaufen. Die Opfer hätten noch unter dem schockierenden Eindruck der Ereignisse Erlebtes und Gehörtes miteinander vermengt, und die Polizei habe es versäumt, dieses auseinander zu dröseln. Des weiteren seien die Opfer wegen der Ermittlungen gegen sie empört und eingeschüchtert. Sie sollen kurz vor dem Brandanschlag einen Mann aus der Gruppe der Rechten geschlagen haben. Beobachtet hat das niemand. Auch das Veilchen, das der Verprügelte gehabt haben will, hat niemand bemerkt.

Ebenfalls nichts und niemanden gesehen hat einer der im ersten Prozess verurteilten Männer. Auch er sei erst am Tatort gewesen, als die Hütte schon brannte und zwar allein. Dass Leute in der Hütte sind, habe er nicht gewusst. Plötzlich sei seine Freundin aufgetaucht, habe ihn misstrauisch beäugt: „Ich sagte: ‚Schatz, das ist nicht dein Ernst, ich habe damit nichts zu tun!’ Ich wollte so schnell wie möglich da weg. Ich wusste, so was kommt nicht gut.“ Die Verhandlung wird fortgesetzt.