Die gebürtige Venezolanerin Muguruza steht in ihrem ersten Grand-Slam-Finale Foto: Getty

Spanien feiert seine neue Tennisheldin. So unerschrocken, wie Garbiñe Muguruza ins Wimbledon-Finale einzog, ist ihr am Samstag auch der ganz große Coup zuzutrauen.

London - Sie weiß, dass halb Spanien die Daumen drückt. Rafael Nadal schickte gute Wünsche aus Mallorca, die Kollegen David Ferrer und Feliciano Lopez schlossen sich an, Torwart-Legende Iker Casillas gratulierte, und vielleicht meldete sich auch Hollywoodstar Antonio Banderas noch mal, den sie vor ein paar Tagen zu ihrer großen Freude im Spielerrestaurant in Wimbledon kennengelernt hatte. Und wer weiß, womöglich kommt sogar der König der Spanier zum Finale. So wie 2008, als Felipe VI., damals noch Kronprinz, Nadal beim Sieg im unvergessenen Finale gegen Roger Federer zusah.

Garbiñe Muguruza (21) hat eine Menge Fans dieser Tage, und das ist nicht schwer zu verstehen. Das Spiel der jungen Spanierin fällt unter die Rubrik anmutige Aggression, von der gleichermaßen harmonischen wie dynamischen Aufschlagbewegung bis zum Rückhandschuss die Linie runter. Sie nimmt kritische Situationen mit Freude an – wie zuletzt beim Sieg im Halbfinale gegen Agnieszka Radwanska. Und selbst in ihren Träumen kommen Herausforderungen vor. Gefragt, wie schwer die Aufgabe für sie sei, im ersten Grand-Slam-Finale ihres Lebens ausgerechnet Serena Williams zu begegnen, die in diesem Jahr nur ein einziges Spiel verlor, meinte Muguruza: „Wenn du davon träumst, einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen, dann willst du gegen Serena im Finale spielen. Eine bessere Herausforderung als sie kann es doch nicht geben.“ Ein Traum mit Mut – oder nicht?

Natürlich wird die große, mächtige, schillernde, wie eine Löwin kämpfende Serena Williams (33) Favoritin im Finale an diesem Samstag (15 Uhr MESZ/Sky) sein. Aber so eindeutig, wie man glauben könnte, ist die Sache nicht. Dazu genügt die Erinnerung an die Ereignisse bei den French Open im vergangenen Jahr. Muguruza, damals 20 Jahre alt, zeigte im Spiel gegen Williams nicht einen Hauch von Nervosität oder Respekt und gewann in zwei verblüffend klaren Sätzen. Diesen Tag haben beide nicht vergessen; die Siegerin bezieht aus der Erinnerung Zuversicht, die Besiegte Motivation. „Ich bin auf dem Sprung“, sagt Williams, und was das bedeutet, kann man sich vorstellen.

Deren Erfolgsquote in Grand-Slam-Finals ist eindrucksvoll; von 24 verlor sie nur vier, drei davon in Wimbledon, zwei gegen ihre Schwester Venus und jenes berühmte anno 2004 gegen Maria Scharapowa.

Garbiñe Muguruza dachte noch vor zwei Wochen, nein, Rasentennis, das ist nun überhaupt nicht mein Ding, aber sie weiß längst, dass das nicht stimmt. Gewissen Anteil an der neuen Erkenntnis hat eine Frau, die jeden Tag aus Spanien aufmunternde Botschaften schickt: Conchita Martinez, Wimbledon-Siegerin des Jahres 1994. In einer der ersten stand: „Natürlich kannst du gut auf Rasen spielen!“

Muguruza sagt, diese kleinen Botschaften hätten ihr Kraft und Zuversicht gegeben, und man kann davon ausgehen, dass Conchita Martínez auch die passenden Worte zum letzten Spiel finden wird. Denn sie hat eine Geschichte zu erzählen, in der eine junge spanische Außenseiterin im Finale des wichtigsten Tennisturniers der Welt eine Legende besiegt.

Wimbledon 1994 stand ganz im Zeichen des angekündigten Abschieds von Martina Navratilova. Neun Titel hatte sie bis dahin schon gewonnen, und sie schien auf ein perfektes Ende der großen Zeit zuzulaufen, als ihr im Finale die relativ unerfahrene Spanierin gegenüberstand. Die Schlagzeilen waren schon formuliert, aber dann lief die große Favoritin ein ums andere Mal in die trockenen Konter von Conchita Martínez, und die gewann schließlich in drei Sätzen.

Tempi passati; aber Conchita Martínez kann sich als bestes Beispiel dafür präsentieren, dass da auf diesem grünen Teppich die unglaublichsten Dinge passieren können. Garbiñe Muguruza, die mit ihrem Charme nicht nur Spanien erobert hat, ist stolz und glücklich, so weit gekommen zu sein. Aber natürlich genügt ihr das nicht. „Ich will sehen, was ich erreichen kann, will rausfinden, wo mein Limit ist.“ Gäbe es dafür eine bessere Testperson als die derzeit erfolgreichste Tennisspielerin der Welt?