William Forsythe in der Ausstellung „Black Flags“ im Lipsiusbau in Dresden Foto: dpa

Der Choregraf William Forsythe hat das Ballett in seine Einzelteile zerlegt und neu zusammengesetzt; in Stuttgart gestaltete der New Yorker seine ersten Tanzschritte. An diesem Dienstag wird er 65 Jahre alt.

Stuttgart – William Forsythe? Hier in Stuttgart, wo der Mann aus New York seine ersten Tanzschritte gestaltete, sind der für die aktuelle Geschichte des Balletts so wichtige Choreograf und sein Werk derzeit leider wenig präsent. Dabei wäre die Gala, mit der das Stuttgarter Ballett am Silvesterabend das alte Jahr und seinen Solisten Marijn Rademaker verabschiedet, ein perfekter Anlass gewesen, um dem einstigen Weggefährten zum Geburtstag zu gratulieren: 65 Jahre alt wird der 1949 in New York geborene Ballettrebell an diesem Dienstag. Sein erstes Stück, den 1976 entstandenen Pas de deux „Urlicht“, haben die Stuttgarter bis heute im Repertoire.

„Ich danke Bill Forsythe, bevor er vergessen wird.“ Das ließ Antony Rizzi einen Tänzer vor einiger Zeit in einem Stück fürs Gärtnerplatztheater sagen. Nicht ohne Grund: Rizzy, der 1985 Mitglied des Frankfurter Balletts wurde und später auch als Assistent von William Forsythe die große Zeit dieser Kompanie mitprägte, sorgt sich nicht als Einziger um deren Erbe. Denn vor einem Jahr ließ Forsythe mitteilen, dass er als Leiter seiner Kompanie zurücktrete.

Gesundheitliche Gründe haben den Choreografen zum Kürzertreten bewogen. In einem Interview im Juni mit der „New York Times“ sprach er offen über das Burn-out-Syndrom, das ihn zur Notbremse greifen ließ. Der internationale Erfolg seiner Arbeit mit dem Frankfurter Ballett und nach dessen Auflösung 2004 mit der Forsythe Company, die einen zweiten Standort im Festspielhaus in Hellerau bei Dresden bespielt, hat den Choreografen ausgelaugt. „Im Augenblick laboriere ich selbst noch an den Verletzungen und versuche, wieder dahin zu kommen, tanzen zu können“, sagte er im Juni.

Als Tänzer ist Forsythe auch manchem Stuttgarter noch in Erinnerung. 1973 verpflichtete John Cranko den New Yorker bei einem Gastspiel, kurz darauf starb der Stuttgarter Ballettdirektor auf der Rückreise aus Amerika. Forsythe kam trotzdem, tanzte und begann 1976 mit dem Choreografieren. Stücke wie „Urlicht“ „Love Songs“ und „Gänge“ machten auf ihn aufmerksam. Schon während seiner Stuttgarter Zeit choreografierte er in München, Den Haag, London, Basel, Berlin, Paris, New York und San Francisco. 1984 holte ihn Klaus Zehelein, damals Chefdramaturg in Frankfurt, als Ballettdirektor an den Main.

In seiner Frankfurter Zeit schuf Forsythe mit „Artifact“ (1984), „Impressing the Czar“ (1988) oder „Limb’s Theorem“ (1990) Stücke, die das klassische Bewegungsvokabular analysieren. Wie er dessen Abläufe in Strukturen zerlegt und neu zusammensetzt, zeigt das Bravourstück „The Vertiginous Thrill of Exactitude“, das auch die Stuttgarter tanzen – mit eben der Präzision und technischen Virtuosität, die der Titel einfordert. Auch das wäre ein schönes Gala-Stück – mit einem Marijn Rademaker in Bestform. Über Forsythe sagte der einmal: „Seine Bewegungen sind schwierig, weil man als Tänzer immer forschen muss, woher sie kommen. Sie beginnen in einem bestimmten Teil des Körpers und laufen wie eine Welle durch den Rest.“ So schön wie kein anderer bringt Forsythe den Intellekt des Körpers ins Spiel.

Wer Lust auf mehr von Forsythe hat, kann seine Kompanie im März und April in Frankfurt sehen, unter anderem gibt es „Kammer/Kammer“. Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst widmet dem Choreografen vom 17. Oktober 2015 an eine Ausstellung, die neben Video-Installationen auch Tanz-Performances zeigen soll.