Nach jahrzehntelangen Diskussionen hat das Land grünes Licht gegeben – im Südwesten soll wieder eine eigene Luchs-Population entstehen. Die ersten Tiere werden vermutlich im nächsten Jahr freigelassen.
Bis zuletzt hat das Projekt kaum „das Schnaufen vertragen“, wie man im Schwäbischen sagt, so sensibel ist es, so sehr stand es noch auf der Kippe. Doch seit der jüngsten Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Luchs am Dienstag ist es ganz offiziell: Das Land will in den nächsten fünf Jahren sechs bis zehn weibliche Luchse auswildern, damit sich in Baden-Württemberg wieder eine eigene Population aufbauen kann.
Derzeit leben im Südwesten drei männliche Luchse: Lias im Donautal, Toni im Nord- und Wilhelm im Südschwarzwald – die Namen stammen von den Jägern, die die Patenschaft übernommen haben. Weibliche Tiere sind dagegen, bis auf den Kurzausflug einer Lüchsin vor einem Jahr bei Konstanz, nicht in Baden-Württemberg gesichtet worden. Sie wandern eher selten, was der Hauptgrund dafür ist, dass sich von selbst kaum Nachwuchs im Südwesten einstellen würde.
Die Vorarbeiten laufen schon
Dabei könnte der Südwesten ein wichtiger Gen-Umschlagplatz sein: Denn hier könnten sich Luchse aus den bestehenden Populationen in der Schweiz, den Vogesen und der Pfalz treffen. Baden-Württemberg habe dafür eine „internationale Verantwortung für den Artenschutz“, sagt Andreas Schwarz, der Fraktionschef der Grünen im Landtag.
Bereits im laufenden Haushalt des Landes wurden deshalb 200 000 Euro eingestellt, um die Vorarbeiten zu finanzieren, die vor allem von der Forstlichen Versuchs- und Lehranstalt (FVA) in Freiburg geleistet werden. Deren Mitarbeiter Michael Hertfelder hat über den Luchs promoviert und leitet die Luchs- und Wolfs-Monitoringstelle der FVA.
Tiere kommen vermutlich aus dem Karlsruher Zoo
Die eigentliche Auswilderung der ersten Tiere war ursprünglich sogar noch für dieses Jahr geplant, aber das ist nicht mehr zu schaffen. Vermutlich werden die ersten Weibchen 2023 oder womöglich sogar erst 2024 in der Ranzzeit zwischen Februar und Juni in die Freiheit entlassen. Deren Zahl sei nicht begrenzt, heißt es aus dem Forstministerium, das die Federführung übernommen hat. Aber am Ende sollen sechs weibliche Tiere im Südwesten leben, auch wenn Tiere beispielsweise bei einem Verkehrsunfall getötet würden oder abwandern.
Eine zentrale Frage ist, woher die Tiere kommen. Wildfänge, etwa aus den Karpaten, gelten mittlerweile als problematisch. Höchstwahrscheinlich wird der Zoo in Karlsruhe eine wichtige Rolle spielen, denn dort haben Luchse schon heute regelmäßig Nachwuchs. Dieser darf aber keinen Kontakt zu Menschen haben vor der Auswilderung – das Projekt ist nicht nur deshalb alles andere als profan. Auch Luchswaisen, die etwa in der Schweiz gemeldet werden und bisher nicht aufgezogen werden, kämen in Frage.
Im Südwesten nur ein kleines Auswilderungsprogramm
Rund 1,8 Millionen Euro, so wird derzeit geschätzt, kostet das Land diese Auswilderungsphase. Ein Monitoring wird dauerhaft eingeführt. Wert legt das Land übrigens darauf, dass es sich nicht um ein „Auswilderungsprojekt“, sondern um ein „Bestandsstützungsprojekt“ handele. Tatsächlich werden eben nicht, wie es in der Pfalz oder im Bayerischen Wald der Fall war, 20 Tiere und mehr freigelassen; vielmehr geht es darum, wenige weibliche Tiere gezielt auszusetzen.
Wo die Tiere ausgesetzt werden, bleibt geheim. Man hat aber vor allem den Schwarzwald im Visier. Nach jetzigem Stand dürfte Lias im Donautal also leer ausgehen.
Schon seit fast 40 Jahren wird um dieses Naturschutzprojekt gerungen. Wolf Hockenjos, früher Förster im Schwarzwald und noch heute in dem Verein „Luchs-Initiative“ aktiv, kann sich an erste Vorstöße seit dem Jahr 1986 erinnern. Und auch die heutige Vorsitzende Verena Schiltenwolf weiß noch, wie bitter sich die vielen zahlreichen Niederlagen in dieser Debatte anfühlten. Heute sei sie aber sogar froh, dass es länger gedauert habe, sagt sie, denn nun habe man ein sehr gut durchdachtes Konzept und zudem eine gute Kooperation mit den Pfälzer Luchsexperten und dem Tierschutzverband WWF.
Fronten waren lange verhärtet – und alles andere als eindeutig
Die Fronten waren in dieser Debatte um den Luchs nicht immer eindeutig. So hatte sich der Naturschutzbund lange gegen eine Wiederansiedlung ausgesprochen, aus Furcht, dass zu viele Geldmittel dann für vermeintlich wichtigere Naturschutzprojekte fehlten. Auch der frühere Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) hatte aus seiner Ablehnung nie einen Hehl gemacht. Umgekehrt hat der Forstminister Peter Hauk (CDU) schon seit langem sein Herz an den Luchs verloren. Mit großem persönlichen Engagement hat er sich seit einigen Jahren für das Projekt eingesetzt – er ist der große Treiber in dieser Sache.
Der Luchs könne ein Sympathieträger für das ganze Land werden, sagt er. Zudem sei diese Art unproblematisch, weil sie im Gegensatz zum Wolf nur selten Nutztiere reiße und niemals Menschen angreife. Hauk setzt im Übrigen auf Sponsoren – angesichts der schwierigen Haushaltslage könne das Land die Kosten nicht alleine schultern. Sorgen, dass der Landtag das Projekt deswegen nochmals ganz kippt, hat er aber nicht.
Luchs ist für den Menschen nicht gefährlich
Die Nutztierhalter und die Jäger sind bis heute nicht begeistert davon, neben dem Wolf noch einen weiteren großen Beutegreifer dauerhaft im Land zu haben. Aber sie haben ihre Fundamentalopposition mittlerweile aufgegeben und zeigen sich offen. Für den grünen Landtagsabgeordneten Reinhold Pix erfüllt sich ein Traum, für den er seit seinem Studium 1977 gekämpft habe. „Jetzt ist endlich alles in trockenen Tüchern“, sagt er – und kann es selbst kaum glauben.
Ein großer Beutegreifer kehrt zurück
Letzter Luchs
Es war am 15. Februar 1846: Damals hat der Königliche Revierförster Marz aus Wiesensteig den letzten Luchs Baden-Württembergs in der Nähe der Ruine Reußenstein bei Neidlingen (Kreis Esslingen) geschossen.
Erster Luchs
Seit den 1980er Jahren scheinen immer wieder einzelne Luchse durch den Südwesten gestreift zu sein – sie blieben aber mehr Mythos als Tatsache. Am Silvestertag 1988 wurde dann bei Bad Krozingen das erste leibhaftige Tier entdeckt – es war aber tot, überfahren auf der Autobahn. Heute gibt es vermutlich drei männliche Tiere im Südwesten.
Weitere Luchse
Das erste Wiederansiedlungsprojekt in Deutschland wurde im Bayerischen Wald und später vor allem im tschechischen Teil des Nationalparks durchgeführt; zwischen 1970 und 1989 wurden dort zwei Dutzend Luchse ausgewildert. Im Harz ließ man zwischen 2000 und 2006 genau 24 Gehegeluchse frei. Im Pfälzer Wald wurden 20 Luchse im Zeitraum von 2016 bis 2020 ausgesetzt. fal