In den 80ern haben sich Kinder per Kassettenrekorder aufgenommen – heute laden sie ihre Audios öffentlich im Internet hoch. Bei Spotify gibt es viele Podcasts von Kindern für Kinder. Worauf sollten Eltern achten?
Wenn kein Freund verfügbar ist und auch sonst nichts ansteht, dauert es meist nicht lange: „Ich mache mir mal einen Podcast an“, ruft dann der Zwölfjährige. Hörspiele wie „Die drei ???“ sind bei ihm schon länger nicht mehr angesagt. Seine Helden heißen unter anderen Kilian, David oder Leonidas – und anders als Justus Jonas gibt es sie wirklich. Früher haben Kinder sich auf Kassette aufgenommen, heute laden sie ihre Stimme beim Streamingdienst Spotify hoch und abonnieren sich gegenseitig. Einen eigenen Spotify-Account können zwar erst 16-Jährige mit Einverständnis der Eltern abschließen, dennoch sind massenhaft dieser Kinderpodcasts auf dem Dienst verfügbar. Die Accounts von Mama und Papa oder der älteren Geschwister machen es möglich.
Podcasts von Jungen drehen sich meistens um Computerspiele wie Minecraft oder Pokémon und heißen zum Beispiel „Meine top 10 Lieblings Pokebälle“, „Villagerverse“ oder „Kleiner Minecraft Podcast“. Letzterer ist ein Sonderfall, weil er ein Gemeinschaftsprodukt von einem Vater und seinem Sohn und ziemlich professionell gemacht ist.
Erwachsene verstehen im Regelfall nichts
In diesen Podcasts werden vermeintliche Insidertipps geteilt, jede Menge Hitlisten der angeblich „zehn besten Pokémon“ vorgestellt oder „Gameplays“ beziehungsweise „Let’s Plays“ hochgeladen, bei denen die Kinder das eigene Computerspielen mal mehr, mal weniger eloquent kommentieren. Das gibt es nicht nur bei Youtube, sondern auch als Hör- und Videoversionen bei Spotify. Und meist geht es leidenschaftlich zur Sache – wobei Erwachsene Schwierigkeiten haben dürften, nicht nur die Dramatik, sondern überhaupt etwas zu verstehen. Kleine Kostprobe aus „Villagerverse“: „Oh, nein, uns fehlen zwei Wolle! Wir werden immer gerushed!“ Aber das Ganze ist ja auch für Kinderohren bestimmt.
„Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von meinem Podcast“, schallt es also mal wieder aus dem Kinderzimmer – das ist der typische Einstieg. Manchen Podcasts merkt man an, dass Stunden an Arbeit reingeflossen sind. Es gibt aber auch jede Menge Beiträge, bei denen die Kinder einfach drauflosreden und die Datei ungeschnitten und voller „Ähs“ hochladen. Die meisten Folgen enden mit der Bitte, dem Podcast fünf Sterne zu vergeben und ihn zu abonnieren, um ja keine weitere Folge zu verpassen.
Spotify hält sich in Bezug auf Zahlen bedeckt
Wie viele Kinderpodcasts auf Spotify verfügbar sind, ist unklar. Die schwedische Firma macht dazu auf Anfrage keine Angaben – auch nicht, welche am erfolgreichsten sind und wie viele Abrufe diese so erzielen. „Leider können wir die angefragten Daten nicht herausgeben“, antwortet eine PR-Agentur dazu per E-Mail. Klar ist, dass es noch nie so einfach war, selbst Podcasts zu machen, wie heute. Zumal Spotify den Dienst zur Produktion kostenlos zur Verfügung stellt. Weil das Unternehmen ein Interesse daran hat, möglichst viele Beiträge zu sich zu ziehen, hatte es 2019 die Podcast-Plattform Anchor gekauft, die heute Spotify for Podcasters heißt. Praktisch für Spotify: Anders als bei Musikalben fallen für Podcasts keine Lizenzgebühren, also keine Kosten, an.
Und noch ein Aspekt kommt hinzu, auf den der Ludwigsburger Gymnasiallehrer Thomas Schweizer hinweist: „Spotify versucht natürlich, darüber Kundschaft an sich zu binden und die eigenen Marktanteile zu behaupten.“ Schweizer ist nicht nur Lehrer, sondern auch Medienreferent bei der Landesmedienzentrale, schult in dieser Funktion Lehrkräfte. An seiner eigenen Schule leitet er zudem eine Medien-AG, in der auch bereits Podcasts produziert wurden.
Beim Podcastmachen würden „sehr viele Kompetenzen“ abgerufen
Bei solchen Angeboten könnten auch mal ganz andere Schüler mit ihren Fähigkeiten glänzen – wie der Nerd, der viel Zeit vor dem Computer verbringt und der auch ihm als Lehrer so einiges erklären könne. Die Schüler seien mit großem Einsatz dabei, investierten viel Freizeit in die Produktionen und den Schnitt. Sie haben schon den eigenen Schulleiter interviewt und das bilinguale Angebot der Schule präsentiert. Es sei dabei nicht „um Klickzahlen“ gegangen oder darum, „berühmt zu werden“, sondern um die Sache, sagt Schweizer. Er schätzt das Medium Podcast. Beim Podcastmachen würden „sehr viele Kompetenzen abgerufen“.
Wenn Kinder den Wunsch äußern, Podcaster zu werden, rät er Eltern, nicht gleich mit dem erhobenen Zeigefinger zu kommen. Wichtig sei, sich dafür zu interessieren, was das Kind tue. Man könne es bestärken, es auszuprobieren, nach dem Motto: „Mach doch mal.“ Das Ergebnis müsse ja nicht gleich veröffentlicht werden.
Das eigene Kind auf negative Kommentare vorbereiten
Wird der Podcast aber veröffentlicht, steht die Entscheidung an, ob man die Kommentarfunktion ausschaltet. Generell würde Schweizer das gar nicht unbedingt empfehlen. Das komme auf das Alter des Kindes an und darauf, wie resilient man dieses einschätze. Denn abwertende Kommentare könnten natürlich kommen: „Aus der Anonymität heraus wird man sehr mutig“, sagt Schweizer und zitiert einen Kommentar unter einer Folge vom „Kleinen Minecraft Podcast“: „ Ich finde Euren Podcast saublöd“.
„Da muss man auf jeden Fall das eigene Kind drauf vorbereiten“, sagt Schweizer. Am besten frage man den eigenen Sohn oder die eigene Tochter im Vorhinein: „Was kannst du dir vorstellen, was da an Kommentaren kommen könnte? Was hast du an Kommentaren bei anderen gesehen? Wie bewertest du das? Und: Weißt du, wie man jemanden meldet?“ Wenn man lerne, mit dem Feedback umzugehen, könne einen das auch selbstbewusster machen. Zudem könnten andere Kinder einen auch dann ärgern, selbst wenn die Kommentarfunktion deaktiviert sei, betont er, zum Beispiel über den Klassenchat. Entsprechend wichtig schätzt der Gymnasiallehrer Präventionsangebote in den Schulen ein.
Mutter war gegen einen Youtube-Kanal
Dass man beim Podcastmachen viel lernen kann, zeigt das Beispiel von Lena, einer 13-Jährigen aus dem Großraum Stuttgart. „LenaLive“ hat sie ihren Podcast genannt, der sich um alles dreht, was sie beschäftigt: Mal ist es ihr Frankreichaustausch, dann gibt sie Tipps gegen Langeweile oder für bessere Noten. Seit April lädt die eloquente Gymnasiastin etwa alle zwei Wochen eine Folge hoch. „Es ist schon ein sehr aufwendiges Hobby“, sagt Lena. Um die vier Stunden brauche sie pro Beitrag. Sie schreibt immer ein Script, gestaltet ein neues Cover, schneidet die Aufnahme. Als sie gemerkt habe, dass ihre Hörerzahl steige, sei das sehr aufregend gewesen. Sie habe schon Abrufe aus Italien, der Schweiz, Frankreich und Norwegen gehabt, freut sie sich.
Eigentlich, erzählt die Achtklässlerin, wollte sie einen eigenen Youtube-Kanal haben, doch das hatten ihre Eltern verboten. Die Anregung für den Podcast kam von ihrer Mutter, weil sie auf diese Art die eigenen Daten besser schützen könne. „Mit dem Podcast bin ich jetzt auch viel glücklicher“, sagt Lena. Ihr sei es wichtig, ihre Anonymität zu bewahren. Auch in ihrer Klasse habe sie nicht erzählt, dass sie einen Podcast mache.
Sie nutzt die Kommentare aktiv, um in den Austausch zu kommen
Unter Lenas Folgen kann man Kommentare schreiben. Sie nutzt die Funktion, um in den Austausch zu kommen mit ihren Hörerinnen und Hörern. Das Feedback ist fast durchweg positiv, aber sie hat auch schon Mobbingerfahrung gemacht. Kinder, die sie „privat“ kannte, fanden das mit dem Podcast heraus, schrieben negative Kommentare und gaben ihr schlechte Bewertungen. „Das kann einen runterziehen“, sagt sie. Inzwischen belastet es sie nicht mehr. „Man lernt mit der Zeit, damit umzugehen“, sagt die 13-Jährige.
Alternative Programme und Inhalte
Programme
Bei Spotify for Podcasters gibt man die Rechte an seinen Podcasts ab. Thomas Schweizer empfiehlt als Alternativen die Open-Source-Programme Audacity und Shortcut, letzteres eigne sich besonders für den Schnitt. Lena wiederum nutzt das Programm Ocenaudio für Aufnahme und Schnitt. Wer nicht bei Spotify veröffentlichen will, aber seinen Podcast sicher an Freunde und Familie schicken will, für den hat der Erzieher der Stuttgarter Marienschule, Maximilian Hetzel, einen Tipp: Auch an der Grundschule entstehen Podcasts. Die Schule nutzt den Musikdienst Soundcloud, um die Dateien sicher weiterzuschicken.
Audiothek
Jede Menge aufwendig gemachte Hörspielproduktionen und Wissenssendungen für Kinder zum Hören finden sich in der Audiothek der ARD, deren App man sich aufs Tablet oder Smartphone laden kann. Unter der Rubrik „Kinder“ finden sich jede Menge Podcasts für Kinder.