René Weller genießt die Nähe zu seiner Frau. „Er will ständig geküsst und gestreichelt werden“, sagt Maria Weller. Foto: Andreas Reiner

Die Rollenverteilung war lange klar: Der Ex-Boxchampion René Weller liefert die Show, seine Frau Maria kümmert sich um die Finanzen. Heute ist er dement – und sie sein letzter Halt.

Früher wollte keiner etwas von ihr wissen, alles drehte sich um ihren Mann. René Weller war ein Boxchampion: 55 Profikämpfe, 52 Siege. Der „Spiegel“ nannte ihn „Pforzheims Antwort auf Muhammad Ali“. Noch Jahrzehnte nach seiner sportlichen Karriere zehrte er von diesem Ruhm. Zu PR-Terminen erschien er in einer roten Corvette – acht Zylinder, 350 PS. Während er seinen Fans Autogramme gab, erzählte René Weller wortreich von seinem legendären K. o.-Sieg im WM-Titelkampf gegen den Amerikaner James Ortega. Maria, die Blondine an seiner Seite, wurde als schmückendes Anhängsel wahrgenommen, so wie die daumendicke Goldkette um seinen Hals und die Rolex an seinem Handgelenk.

 

Heute ist René Weller 68 Jahre alt und ein schwerer Pflegefall. „Er kann nichts mehr allein“, sagt seine Ehefrau Maria. Morgens begleitet sie ihn zur Toilette, putzt ihm die Zähne, rasiert ihn, setzt ihn auf einen Hocker unter die Dusche und füttert ihn. Immer dasselbe Programm, Tag für Tag, Monat für Monat, im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Die Pflege gibt den Takt ihres Lebens vor. „Ich muss rund um die Uhr auf ihn aufpassen, damit ihm nichts zustößt“, sagt sie.

Maria Weller hält sich an ihren schönen Erinnerungen fest. Sie zeigt ein Foto von ihrem letzten gemeinsamen Urlaub auf Gran Canaria: Ihr Mann sonnt sich in einer knapp geschnittenen Badehose am Pool – muskulös, braun gebrannt, seine hellen Augen stechen hervor. Sieht man René Weller heute im Jogginganzug auf dem Sofa liegen, könnte man meinen, dass zwischen dem Urlaubsfoto und der Gegenwart sein halbes Leben liegt, in Wahrheit sind es bloß zwölf Jahre. Der Boxchampion ist im Zeitraffertempo gealtert: die Mimik wie eingefroren, die Haare dünn und grau. „Ich sehe ihn bis heute teilweise so, wie ich ihn von früher kannte“, sagt seine Frau.

Nur wenige Freunde sind ihnen treu geblieben

Das Ferienhaus auf Gran Canaria und die Corvette sind längst verkauft. Das Ehepaar Weller lebt in einer Mietwohnung von Erspartem, 728 Euro Pflegegeld im Monat und der kargen Rente. Von Renés Bekannten melden sich die meisten nicht mehr. Sie wandten sich ab, weil sie den Anblick seines schleichenden Verfalls nicht ertrugen und weil sie befürchteten, in etwas verwickelt zu werden, dem sie sich nicht gewachsen fühlten. Nur zwei alte Freunde sind ihm treu geblieben: Sie schauen nach ihm, wenn seine Frau zum Arzt, zum Friseur oder zu Edeka muss.

Maria Weller hat eine dramatische Lebensgeschichte, doch erst jetzt, wo ihr Mann in sich selbst versunken schweigt, spricht sie über sich selbst. Sie wird am 12. September 1952 als Maria Dörk im niedersächsischen Stadthagen geboren. Ihr Vater hat sich vor ihrer Geburt aus dem Staub gemacht, ihre Mutter ist als Alleinerziehende überfordert. Als Säugling landet Maria in einem Kinderheim. Während ihrer Grundschuljahre darf sie die Sommerferien bei ihrer Tante und ihrem Onkel in Köthen verbringen, einem Städtchen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Ende August 61, kurz vor Marias neuntem Geburtstag, passiert etwas Unerwartetes: Die DDR schließt die innerdeutsche Grenze. Maria bleibt als Pflegekind im Osten.

Ihre Jugendzeit beschreibt Maria Weller als Spießrutenlauf: „Ich wurde gemobbt, war eine Außenseiterin.“ Sie macht eine Lehre als Friseurin, bekommt anschließend aber eine Stelle im Rechenzentrum der Reichsbahn zugewiesen. 1974 stellt sie einen Ausreiseantrag, wenige Tage später holen sie zwei Stasi-Mitarbeiter in ihrem Büro ab: Aufgrund ihrer „Untreue zum sozialistischen Staat“ werde sie ins Buna-Chemiewerk nach Schkopau strafversetzt. Ihren Personalausweis muss sie abgeben, sie darf den Landkreis nicht verlassen und muss sich regelmäßig auf dem Revier der Volkspolizei melden.

Neues Leben in Hannover

Im August 75 unterzeichnen Vertreter des West- und Ostblocks die Schlussakte von Helsinki, in der unter anderem die Familienzusammenführung aus beiden deutschen Staaten geregelt ist. Auch Maria Dörk darf nun die DDR verlassen, mit 23 Jahren beginnt für sie ein neues Leben. Sie zieht nach Hannover, lässt sich zur PR-Fachfrau umschulen und bekommt einen Job bei einem Schallplattenlabel – ihr Sprungbrett ins Showbusiness. Sie verkehrt nun mit Stars wie Klaus Meine, dem Sänger der Rockband Scorpions.

Den Boxer René Weller lernt sie 1979 in der Promi-Disco Joy kennen. In einem bordeauxfarbenen Lederanzug sitzt er an der Bar und spricht sie an: „Was bist du denn für eine Süße?“ Sein schelmisches Grinsen gefällt ihr, bei einem Glas Sekt lässt sie sich von seinem Charme einfangen. Erst Monate später erfährt sie, dass René Weller ein Familienvater ist – und sie nur eine von mehreren Gespielinnen. „Das war erniedrigend. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.“

24 Jahre später steht er wieder vor ihrer Haustür in Hannover, sie öffnet im Nachthemd, es ist noch früh am Morgen. René Weller ist jetzt alleinstehend und wegen Drogenhandels und Hehlerei vorbestraft – viereinhalb Jahre saß er im Knast, der Kontakt zu seiner Familie ist abgerissen. „Er kam damals wie ein Sturm in mein Leben. Und ich habe schnell gemerkt, dass er sich im Gefängnis verändert hatte: Er war nicht mehr der Macho von einst, sondern sehr lieb.“ Maria Dörk hat seinerzeit bereits zwei Ehen hinter sich und arbeitet als Journalistin für das Luxusmagazin „Feine Adressen“. Sie braucht keinen Mann und brennt für ihren Job – dennoch schmeißt sie alles hin und folgt René Weller nach Pforzheim: „Mir imponierte seine Hartnäckigkeit. René ist Skorpion, und Skorpione sind dafür bekannt, dass die nicht aufgeben, bis sie das haben, was sie haben wollen.“

Nach der Hochzeit bröckelt das Glück

Maria Dörk wird nicht nur die neue Frau an seiner Seite, sondern auch seine Managerin, die ihm diverse lukrative Fernsehauftritte verschafft: René Weller bei „Big Brother“, René Weller beim „Perfekten Promi-Dinner“, René Weller bei Frank Plasberg und Johannes B. Kerner. Der ehemalige Boxweltmeister kann wieder gut von seinem Namen leben. Zu verdanken hat er das Comeback seiner Lebenspartnerin Maria, die er am 21. November 2013 standesamtlich heiratet.

Ein Jahr später bemerkt sie die ersten Aussetzer. Ihr Mann weiß nicht, wo er seinen Schlüsselbund hingelegt, sein Auto geparkt oder fürs Abendessen reserviert hat. Ein Gehirn-CT ergibt: René Weller leidet unter Mischdemenz, genetisch bedingt, vermutlich beschleunigt durch die Kopftreffer, die er als Kampfsportler einstecken musste. Die Krankheit ist irreversibel und fortschreitend, allmählich sterben die Nervenzellen ab.

Nach außen tun die Eheleute Weller zunächst so, als wäre nichts geschehen. Im August 2016 treten sie gemeinsam in der RTL-Realityshow „Sommerhaus der Stars“ auf. Eines Nachts geistert René Weller orientierungslos durch den Flur und landet schließlich im Schlafzimmer des früheren Profifußballers Thorsten Legat und dessen Gattin Alexandra. „Ey Alter, bist du dement oder was?“, schreit der Ex-Kicker Legat den Ex-Boxer Weller an. Im Nachhinein bestürzt diese Szene. Warum hat es Maria Weller zugelassen, dass sich ihr kranker Mann zum Gespött macht? „Vor der RTL-Produktion ging es ihm noch viel besser“, sagt sie. „Der Stress und der Druck, dem wir im Sommerhaus ausgesetzt waren, hat seine Demenz verstärkt.“ Es war der letzte Fernsehauftritt von René Weller.

Wann ist die Grenze des Erträglichen überschritten?

Er sei „ein lieber Dementer“, sagt Maria Weller. Niemals aggressiv, sondern zärtlichkeitsbedürftig wie ein kleines Kind. „Er möchte ständig von mir geküsst und gestreichelt werden.“ Sie liebt ihn immer noch, obwohl er nichts mehr von dem lässigen Typen hat, an den sie einst ihr Herz verloren hat. „René schaut mich nicht an, sondern durch mich hindurch. Er ist nicht mehr bei mir.“

Kürzlich ist sie 70 geworden. Maria Weller tut einiges dafür, dass man ihr das Alter nicht ansieht. Sie schminkt sich und zieht sich schön an, selbst wenn sie weiß, dass sie das Haus nicht verlassen wird. „Die äußere Erscheinung wirkt sich auf den seelischen Zustand aus.“ Wenn sie allein ist, weint sie manchmal, aber in Gegenwart anderer reißt sie sich zusammen. „Jammern bringt ja nichts.“

Vor einem Jahr hat sie die Grenze des Erträglichen überschritten. Mitten in der Nacht musste Maria Weller ihre Malteser-Hündin einschläfern lassen – Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sie fuhr mit Bella, die 14 Jahre treu an ihrer Seite gewesen war, in die Tierklinik und kam mit einer Leine und einem Halsband in der Hand heim. Doch da war kein Mensch, der sie trösten konnte, nur René, der im Bett lag und teilnahmslos an die Zimmerdecke starrte. Sie rief die Seelsorge an, aber niemand nahm ab. Sie öffnete den Kühlschrank, nahm den Limoncello, den sie eigentlich nur für Gäste bereithält, und trank gegen ihre Einsamkeit an.

Morgen früh wird Maria Weller wieder aufstehen und für ihren Ehemann sorgen. „Es ist ein täglicher Kampf“, sagt sie. „Ich habe mich damit abgefunden, dass ich ihn verlieren werde.“