Valentin Saile hält das Original, Christoph Kurz die Fälschung Foto: red

Egal, wer was verkauft: Ein Reklameschild wirbt für den Bäcker Walz – womöglich weitere 150 Jahre.

S-Mitte - Zu verraten, was eine solche kunsthandwerkliche Kopie kostet, hält Valentin Saile für unziemlich. „Es war nicht ganz billig“, sagt er, obwohl „für uns nicht viel dran verdient ist“. Was vor ihm liegt, ist ein Einzelstück, Handarbeit, Malerei auf Glas. Für gleich welchen geheim gehaltenen Preis verspricht er seinen Auftraggebern, dass dieses Stück sie überdauern wird. Vielleicht 150, auf jeden Fall 100 Jahre kann es hängen. „Wenn es nicht kaputt geschlagen wird“, sagt Saile.

Eine derartige Dauerhaftigkeit ist dem Glasmaler Balschunat nicht gelungen, der das verblasste Original fertigte, das neben der Kopie auf einer Werkbank liegt. Allerdings hatte der Maler Balschunat damals auch keine keramischen Glasfarben zur Verfügung. Er arbeitete in Öl.

Mitte, Ende der 1930er Jahre muss es gewesen sein, als der Bäckermeister Wilhelm Walz bei seinem Freund Balschunat die Arbeit in Auftrag gab. Schnöde betrachtet, ist die hüfthohe Glastafel in ihrer schmiedeeisernen Fassung ein banales Reklameschild für den „Bäckermeister Wilh. Walz“, wie es in goldgelb auf schwarzem Grund zu lesen ist. Auf der Werkbank nebenan liegt eine gläserne Tischplatte, die schlicht weiß bemalt werden soll. „Das ist Schwarzbrot“, sagt Saile. Die historische Bäckerreklame, „die ist Butter“.

Die Reklametafel hat ein dreiviertel Jahrhundert überstanden

Das ist eher schwäbisch-bescheiden formuliert, denn geschichtsträchtige Arbeiten sind der kleinen Werkstatt an der Moserstraße keine Seltenheit. In der Liste der Auftraggeber stehen etliche Kirchen und Museen, die sich hier Historisches restaurieren oder kopieren lassen. Die Werkstatt selbst ist Teil zumindest der Geschichte des Stuttgarter Kunsthandwerks. Sailes Urgroßvater, der mit Vornamen ebenfalls Valentin hieß, gründete sie 1868. Sailes Vater lernte Kunst und Architektur bei Adolf Hölzel und Heinrich Altherr. Eröffnet wurde die Werkstatt an der Augustenstraße, sie zog freiwillig in einen Neubau an der Urbanstraße um. Dort musste sie , weil die Enteignung drohte, der nie fertig gebauten zweiten Röhre des Wagenburgtunnels weichen.

Ungeachtet all dessen „hat der Auftrag Spaß gemacht“, sagt Saile. Abgesehen von der Bäckerei selbst hat diese Reklametafel fast ein dreiviertel Jahrhundert überstanden, den Zweiten Weltkrieg eingeschlossen. Anders als das Haus an der Hauptstätter Straße, an dem es hing. Der Bäcker Walz zog das Schild nach einem Bombenangriff aus den Trümmern und ließ es an der Olgastraße wieder aufhängen, wo er fortan seine Brezeln verkaufte. 1958 schloss die Bäckerei Walz endgültig. Das Schild blieb hängen, ganz gleich, wer hinter der Ladentür unter ihm was verkaufte. Derzeit ist dort Wein und Käse aus Frankreich im Angebot. Die Kopie der alten Reklame soll weiterhin hängen, als Zeuge, dass dieses Haus und seine Besitzer eine Geschichte haben. „Die Erben finden, es gehört dazu“, sagt Saile. So kam das völlig verwitterte Original in seine Werkstatt, als Vorlage für die Fälschung.

Mehrere Wochen dauerte es, bis die beiden Scheiben der Vorder- und Rückseite fertig waren. Um die Farbtöne zu rekonstruieren, „mussten wir die Farben aus abgeblätterten Flocken rekonstruieren“, sagt der Glastechniker Christoph Kurz. Die neu gemischten Töne mussten probehalber gebrannt werden, weil die Hitze sie verändert. Außerdem musste die Schrift selbst rekonstruiert werden, denn den Schrifttyp hat entweder der Maler Balschunat selbst erdacht oder er ist in Vergessenheit geraten. Akribisches Abmalen oder durchpausen sei aber nicht das Wichtige, sagt Kurz. „Man muss den Schwung aufnehmen, den Duktus, damit das Ganze Charakter und Lebendigkeit hat.“