Damaszener Rosen verleihen der Naturkosmetik einen betörenden Duft. Foto: StN

Der Südwesten ist die Heimat der Naturkosmetik. Im Land, vor allem aber in der Region Stuttgart, sitzen die wichtigsten Unternehmen bis hin zum Weltmarktführer Weleda. Ihre Wurzeln gehen auf Rudolf Steiner zurück – den Begründer der Anthroposophie und Walddorfpädagogik.

Stuttgart - Dass die Anthroposophische Gesellschaft Deutschland ihren Sitz in Stuttgart hat, ist kein Zufall: Rudolf Steiners Weltanschauung hat hier viele Anhänger. Das zeigt sich etwa in der Gründung der ersten Waldorfschule 1919 in Stuttgart. Oder in der prosperierenden, nach dem zweiten Weltkrieg gegründeten Filderklinik, einer von drei großen anthroposophisch ausgerichteten Kliniken mit Grundversorgungsauftrag in Deutschland.

Auf Wachstumskurs:
Der Geist der Anthroposophie, aber einfach auch nur der Wunsch, sich chemischen Einflüssen zu entziehen, beschert der Naturkosmetik einen seit Jahren anhaltenden Boom. Die Weleda AG hat ihren größten Sitz in Schwäbisch Gmünd und verzeichnet seit 2002 eine fast jährliche Umsatzsteigerung von damals 88,7 Millionen Euro auf 131,2 Millionen Euro (2011). Zwei Drittel davon entfallen auf die Naturkosmetik (der Rest auf Arzneimittel).

Bei Wala/Dr. Hauschka Kosmetik in Bad Boll lag der Warenumsatz 2004 bei 64 Millionen Euro und kletterte bis 2012 (vorläufiges Ergebnis) auf 112 Millionen Euro. Wala investiert außerdem 23 Millionen Euro in einen Neubau. Bei Speick in Leinfelden-Echterdingen liegt das jährliche Wachstum seit 2003 im Schnitt bei sieben Prozent.

Inhaltsstoffe:
Allerdings haben längst auch Billiganbieter den Trend erkannt und bieten alles mögliche unter dem Begriff Naturkosmetik an. Der ist nicht geschützt. Es dürfen also völlig legal pflanzliche Inhaltsstoffe in synthetischen Fetten verarbeitet werden, in Paraffinen und Silikonen.

Das Verbrauchermagazin Öko-Test fand in Naturkosmetik auch Stoffe, die die Haut verkleben. „Wofür verwendet man normalerweise denn Silikon?“, fragt Gudrun Leibbrand, Unternehmenssprecherin von Speick. Und gibt gleich selbst die Antwort: Zum Abdichten. So wirke Silikon auch in Cremes und Shampoos: Glättend aber auch die Poren verschließend. In vielen Deos kommen Aluminiumsalze zum Einsatz: Auch die verschließen die Poren, so dass kein Schweiß mehr austritt. Sie stehen aber unter Verdacht, Brustkrebs auszulösen. Um nachzuweisen, dass solche Wirkstoffe nicht enthalten sind, benötigt die wahre Naturkosmetik Zertifikate.

Nachhaltigkeit:
Um die Zertifikate zu bekommen und eine Naturkosmetik herzustellen, wie der Käufer sie sich vorstellt, betreiben die Unternehmen einen enormen Aufwand. So unterhält Weleda in Schwäbisch Gmünd den mit 23 Hektar größten biologisch-dynamischen Heilpflanzengarten der Welt. Er wird jährlich von 20.000 Menschen besucht, sehr viele aus der Region. Dort wachsen 180 Heilpflanzen, die zu Extrakten verarbeitet werden. Heilpflanzen, die dort nicht gedeihen, werden im Ausland gezogen, Rosen in der Türkei, Arnika in Rumänien.

Wala unterhält ebenfalls einen eigenen Heilpflanzengarten am Firmengebäude und bezieht Pflanzen vom einen Kilometer entfernten Demeterhof. Wala bemüht sich um kurze Transportwege. So kommt auch der Honig aus der Region. Olivenöl allerdings und auch die betörend duftenden Damaszenerrosen stammen aus Spanien und Marokko sowie dem Nahmen Osten und Äthiopien.

Wichtigster Bestandteil der Produkte von Speick ist der Speick: Ein wild wachsendes Heilkraut, das oberhalb von 2400 Metern gedeiht. Es steht unter strengem Naturschutz, die Firma Speick darf weltweit als einzige Pflanzen im Schutzgebiet in Kärnten ernten. Sie lässt das von einheimische Bauern machen, um sie in den Prozess einzubeziehen. Dass der Speick geerntet werden darf liegt laut Gudrun Leibbrand daran, dass er nachweislich besser wachse, wenn er in einem bestimmten Maß entnommen wird.

Ursachen:
Der Boom hin zur Naturkosmetik hat in den 1980-er Jahren begonnen. Auslöser waren etwa der Dioxinskandal in Shampoos, aber auch ein wachsendes Umweltbewusstsein. Plötzlich war bio in, die Grünen zogen in den Bundestag, der Anteil an Bio-Nahrungsmitteln nahm zu. Immer mehr Frauen rührten sich ihre Cremes zu Hause selbst. Den größten Schub erfährt die Naturkosmetik seit der Jahrtausendwende: Die Menschen hinterfragen kritischer, was sie sich auf Haut und Haare pinseln.

Die Konsumentinnen interessieren sich dabei zunehmend auch für die Arbeitsbedingungen, unter denen die Kosmetik hergestellt wird. „Uns ist bei der Rohstoffbeschaffung die sozial-ethische Komponente wichtig. Wir achten deshalb darauf, dass die Abreiter bei unseren Lieferanten fair entlohnt werden und sie faire Arbeitsbedingungen haben“, sagt Inka Bihler-Schwarz von Wala/Dr. Hauschka.

Tobias Jakob von Weleda hat ein Beispiel: Das Unternehmen hat 2001 in der türkischen Provinz Ispata ein Pionierprojekt ins Leben gerufen. 30 Bauern stellten ihre Betriebe auf nachhaltigen Bio-Rosenanbau um. Inzwischen sind es 300 Bauern.

Der Zirkel um Rudolf Steiner:
Die Ethik spielt in der Anthroposophie eine wesentliche Rolle. Die Unternehmen stellen sich diesem Anspruch. Die Weleda ist 1920 aus zwei von Rudolf Steiner und Ita Wegman gegründeten Unternehmen entstanden. Seither gelten, immer die gleichen Werte: Fairer Umgang mit Kunden, Partnern, Lieferanten, Liebe und Respekt gegenüber der Natur, ethisches und wertschöpfendes Wirtschaften.

Der Chemiker Rudolf Hauschka hat die Wala 1935 gegründet. Elf Jahre vorher traf er auf Rudolf Steiner und fragte ihn nach seiner Sichtweise, was Leben sei. Steiner antwortete: „Studieren Sie die Rhythmen, Rhythmus trägt Leben.“ Er fand heraus, dass Wechsel zwischen hell und dunkel, warm und kalt, Bewegung und Ruhe als natürliche Konservierung für Pflanzenauszüge wirken.

Auch Speick-Gründer Walter Rau traf mit Rudolf Steiner zusammen . Von Anfang an herrschte in seiner 1928 in seinem in Stuttgart-Möhringen gegründeten Speick-Werk der anthroposophische Geist. „Früher wurde in den Pausen noch Eurythmie getanzt“, sagt Gudrun Leibbrand.