So manches Klassenzimmer in Stuttgarter Hauptschulen wird nach den Sommerferien leer bleiben – die Eltern entscheiden sich für Realschulen oder Gymnasien. Foto: dpa

Viele Eltern melden ihre Kinder am Gymnasium an -entgegen der Empfehlung der Grundschule.

Stuttgart - „Am ersten Anmeldetag hatten wir null Anmeldungen für die Hauptschule“, sagt Katja Conzelmann, die Rektorin der Ameisenbergschule. An der Grund- und Hauptschule im Stuttgarter Osten wird deshalb in diesem Jahr keine einzige Klasse 5 zustande kommen. Ähnliches ereignete sich an weiteren Hauptschulen im Stadtgebiet. Selbst in Gebieten wie Bad Cannstatt, wo es bisher eher große Nachfrage gab, sollen teilweise nur sechs Kinder zur Einschreibung erschienen sein.

Ulrike Brittinger, die Leiterin des Staatlichen Schulamts, bestätigt diesen Eindruck: „Lediglich zehn Prozent der jetzigen Viertklässler werden im kommenden Schuljahr auf diese Schulform wechseln – ihre Zahl hat sich somit halbiert.“ Auch wenn alle bisherigen Stuttgarter Hauptschulen von diesem Sommer an Werkrealschulen heißen werden, haben sich die Eltern von dieser begrifflichen Aufwertung offensichtlich nicht überzeugen lassen.

Kein Ansturm auf Realschulen

Anders sieht es hingegen bei Realschulen aus. „Im Realschulbereich sind die Anmeldungen erstaunlicherweise stabil geblieben“, sagt die Amtsleiterin. Eigentlich hatte sie mit einem Ansturm auf diese Schulform gerechnet. Für das Schuljahr 2012/2013 haben sich bis jetzt rund 26 Prozent angemeldet. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es 26,6 Prozent.

Insgesamt werden 3995 Viertklässler in diesem Sommer auf eine weiterführende Schule wechseln. Zur Auswahl stehen in der Landeshauptstadt 19 Realschulen, drei Werkrealschulen, 31 Grund- und Werkrealschulen sowie 25 Gymnasien, die staatlich geführt werden. In diesem Jahr konnten die Eltern zum ersten Mal unabhängig von der Empfehlung der Grundschule entscheiden, auf welcher Schule es für ihr Kind nach den Sommerferien weitergehen soll. Bisher war die Empfehlung der Grundschule bindend.

2011 galt noch die alte Regelung. Demnach brauchte ein Grundschüler, der in Baden-Württemberg auf ein Gymnasium wechseln wollte, mindestens einen Notenschnitt von 2,5 in Mathe und Deutsch. Für einen Wechsel auf die Realschule reichte noch die Note 3, alles darunter führte die Kinder auf die Hauptschule. Zusätzlich war der Gesamteindruck der Klassenlehrerinnen ausschlaggebend. Dieses Votum wurde von vielen Eltern als zu subjektiv kritisiert. Ebenfalls 2011 hob die grün-rote Landesregierung die verpflichtende Grundschulempfehlung schließlich auf.

Nachteile für Werkrealschulen

Die Gewinner dieser Reform, zumindest rechnerisch, sind die Gymnasien, denn es werden etwa 60 Prozent der heutigen Viertklässler, also rund 2400 Kinder, im Sommer auf Gymnasien wechseln. Zahlen und Schätzungen wollte das Regierungspräsidium nicht herausgeben. Konkrete Daten würden erst Mitte Mai veröffentlicht, so ein Sprecher. Auch Ulrike Brittinger warnt vor voreiligen Schlüssen: „Noch nicht alle Eltern haben ihr Kind angemeldet.“

Ob die steigenden Schülerzahlen an den Gymnasien eine positive Entwicklung darstellen, bezweifeln viele Rektoren von Werkrealschulen. Man müsse jetzt schauen, an welchen Schulen eine fünfte Klasse zustande komme, erklärt Brittinger. 16 Schüler braucht es, um eine Klasse zu bilden. Wird diese Zahl nicht erreicht, werden Schüler mehrerer Schulen in einer Klasse zusammengefasst. Möglich ist auch, dass Schüler der fünften und sechsten Klassen zusammengelegt werden.

Kinder müssen möglicherweise zurückgestuft werden

„Es wäre aber gut, wenn möglichst viele Klassen an Werkrealschulen zustande kommen“, sagt Renate Schlüter, die geschäftsführende Schulleiterin der Hauptschulen. Sie erwartet, dass in den kommenden Jahren viele Kinder von der Realschule oder dem Gymnasium an die Werkrealschule zurückgestuft werden müssen. Allein an der Ameisenbergschule haben „alle Schüler mit einer Hauptschulempfehlung ungeachtet dessen die Realschule gewählt“, sagt Rektorin Katja Conzelmann.

Mit vielen sogenannten Rückläufern rechnet auch Gerhard Gödrich, Schulleiter der Steinbachschule in Büsnau. Dort hatte es vergangene Woche ebenfalls nur vier Anmeldungen für die Hauptschule gegeben. Die Beratung, die die Grundschulen noch immer anbieten, werde von den meisten Eltern nicht ernstgenommen, sagt Gödrich. Viele Eltern denken, sie täten ihrem Kind etwas Gutes, wenn sie es trotz anderer Empfehlung nicht auf die Hauptschule schicken.„Ein Schüler von uns geht nun mit einem Notendurchschnitt von 3,8 aufs Gymnasium“, berichtet Gödrich. Wie das ausgeht, müsse man in den kommenden Jahren sehen.