Tobias Schilling bildet Susanne Metzger zur Allgemeinmedizinerin aus Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

In fünf Jahren geht ein Drittel aller Hausärzte in Stuttgart in den Ruhestand. Experten warnen vor einem bevorstehenden Mangel in der hausärztlichen Versorgung. Heute: Auch das Klinikum Stuttgart bekommt den Hausarztmangel negativ zu spüren. In der Notaufnahme des Katharinenhospitals werden deshalb junge Mediziner zu Hausärzten weitergebildet.

Stuttgart - In der Interdisziplinären Notaufnahme des Klinikums Stuttgart spielt sich eine dramatische Szene ab: Der gerade eingelieferte Patient schwebt in Lebensgefahr. Ärzte und Polizisten wuseln in der Station umher, es geht um Sekunden. Eine Szene, wie man sie sonst aus dem Fernsehen kennt. Doch für Susanne Metzger gehören solche Ausnahmesituationen inzwischen zu ihrem Arbeitsalltag dazu. In dem einen Jahr, das die junge Medizinerin schon an der Front der Klinik verbracht hat, hat sie sich an außergewöhnliche – und auch dramatische – Situationen gewöhnt. „In einem Moment will ich eine Verschnaufpause nutzen, um einen Kaffee zu trinken, doch im gefühlt nächsten Moment ist er kalt“, sagt sie. Einen routinemäßigen Arbeitsablauf kennt sie aus der Notaufnahme nicht, jeder Tag ist anders: „Genau das macht es so spannend.“

Nach Ende des Jahres will Susanne Metzger dennoch nicht in der Klinik bleiben. Die 31-Jährige nutzt die Notaufnahme, um sich für ihren zukünftigen Beruf als niedergelassene Hausärztin vorzubereiten. Sie ist eine von insgesamt sechs Allgemeinmedizinern, die in der Notaufnahme des städtischen Klinikums im Rahmen des Weiterbildungsverbunds ausgebildet werden. Dieser Verbund wurde im vergangenen Jahr zwischen Klinikum Stuttgart, Bezirksärztekammer Nordwürttemberg und niedergelassenen Hausärzten gegründet, um junge Mediziner für den Hausarzt-Beruf zu begeistern und ihren Ausbildungsweg zu erleichtern. Während angehende Allgemeinmediziner bisher im Gegensatz zu angehenden Fachärzten die verschiedenen Komponenten der Weiterbildung selbst zusammensuchen mussten und keine langfristige Planungssicherheit hatten, können sie nun das Netzwerk aus Klinikum und niedergelassenen Praxen nutzen.

Patienten abwimmeln? Undenkbar!

Von der insgesamt fünfjährigen Facharztweiterbildung werden in der Regel drei Jahre im Krankenhaus und zwei Jahre in einer hausärztlichen Praxis absolviert. Einen Großteil der Weiterbildung verbringen die jungen Ärzte wie Susanne Metzger in der Interdisziplinären Notaufnahme des Katharinenhospitals, die von Tobias Schilling geleitet wird. „Die Kluft zwischen Klinik und Niedergelassenen muss geschlossen werden, es geht nicht mehr darum, wer wem einen Patienten wegnehmen könnte oder um den medizinischen Nachwuchs zu konkurrieren“, sagt der Ärztliche Direktor. Im Gegenteil profitiere seiner Meinung nach auch das Krankenhaus davon, wenn die Ärzte, die sich eines Tages eventuell in Klinik-Nähe niederlassen, schon bekannt sind. „Für eine Zusammenarbeit ist das nur von Vorteil – auch zum Wohle des Patienten“, sagt Schilling. Ein weiterer Grund dürfte für das Klinikum ebenfalls eine Rolle spielen: Schon jetzt strömen Patienten in die Notfallambulanzen, die sich die Wartezeiten beim niedergelassenen Arzt sparen wollen – Patienten, die das ohnehin finanziell angeschlagene Klinikum viel Geld kosten. Laut Klinikum-Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz erhält das Krankenhaus 32 Euro pro Notfallpatient, 88 Euro muss es jedoch letztlich selbst draufzahlen. Somit ist auch dem Klinikum daran gelegen, dass Patienten zunächst den Hausarzt aufsuchen – und wirklich nur im Notfall in die Ambulanzen gehen. Ein zunehmender Mangel an Hausärzten würde sich demnach auch negativ auf die Krankenhaus-Ambulanzen auswirken.

Patienten abwimmeln wird Tobias Schilling selbstverständlich trotzdem nicht. „Es ist unsere Aufgabe, dass wir jeden Patienten behandeln“, sagt er. Deshalb ist sein Beruf für ihn vergleichbar mit dem Hausarzt-Beruf: „Wir sind die Allgemeinmediziner des Krankenhauses.“ Denn sowohl der Hausarzt als auch die Ärzte in den Ambulanzen treffen die erste Entscheidung über einen Patienten. Von einem harmlosen Schnupfen über gynäkologische oder psychiatrische Fälle bis hin zum Herzinfarkt – alles ist möglich. „Ich habe deshalb den höchsten Respekt vor den niedergelassenen Kollegen“, sagt Schilling.

Susanne Metzger fühlt sich optimal auf ihre Zukunft als Hausärztin vorbereitet. Sie hat gelernt, in heiklen Situationen schnell zu entscheiden und auch zu improvisieren. „Es ist eine Kunst, so schnell herauszufinden, was dem Patienten fehlt und wie er weiterbehandelt werden muss “, sagt sie. Sicherheit in dem turbulenten Alltag gab ihr die Zusammenarbeit mit dem Team aus der Notaufnahme: „Am Anfang hatte ich Angst, etwas falsch zu machen, aber es war immer jemand da, den ich fragen konnte“, sagt sie. Zumindest zu Anfang ihrer Karriere möchte sie daher auch nicht als Einzelkämpferin auftreten: „Ich werde zu meinem Vater in die Praxis gehen und mit ihm im Team zusammenarbeiten.“