In den vergangenen fünf Jahren war die Ernte in Württemberg kleiner als gewöhnlich – das setzt die Winzer unter Druck. Foto: dpa

Wein aus Württemberg wird traditionell im Land getrunken: Drei Viertel werden in der Region verkauft – doch das ändert sich gerade. Denn die Winzer stehen wirtschaftlich unter Druck. In der Not werden sie erfinderisch – und wollen ihren Wein zunehmend in anderen Teilen Deutschlands ins Verkaufsregal bringen.

Der Gesamtmarkt

Während andere Nationen ihre Weinlust gerade erst entdecken, zählt der Rebensaft in Deutschland schon seit eh und je zu den Lieblingsgetränken. Deshalb wächst der Markt nicht mehr. Seit 2010 trinken die Deutschen – mit leichten Schwankungen – jedes Jahr gleich viel Wein: rund 20 Millionen Hektoliter. Württemberg ist das viertgrößte Weinanbaugebiet in der Bundesrepublik. Aber im Vergleich zu Winzern aus dem Rheingau oder von der Mosel verkaufen die hiesigen Weinbauern ihren Wein traditionell vor der Haustür. Nur ein Viertel des Weins aus Württemberg werde derzeit außerhalb der Region verkauft, schätzt Ulrich Breutner. Er ist Vorstandschef der gemeinsamen Werbefirma der Württembergischen Weinbaugenossenschaften.

Lange Zeit hatten die Winzer mit ihrem regionalen Verkaufsmodell keine Probleme. Doch die Deutschen kaufen immer weniger Wein aus Deutschland – 2014 vier Prozent weniger im Vergleich zum Vorjahr –, und zugleich steigen die Kosten. Der wirtschaftliche Druck auf die Winzer wächst. „Zahlreiche Unternehmen in der Branche leben heute nur noch von ihren Abschreibungen“, sagt Bettina Merlin, Professorin für Weinbetriebswirtschaft an der Hochschule Heilbronn. Das Verkaufspotenzial in Württemberg haben die hiesigen Winzer größtenteils ausgeschöpft. Wer den Absatz steigern will, muss deshalb neue Märkte erschließen. „Unser Absatz wächst hauptsächlich nördlich der Mainlinie“, sagt Dieter Weidmann, Vorstandschef der Württembergischen Zentralgenossenschaft (WZG). Die WZG steht für rund ein Fünftel des Anbaugebiets Württemberg.

Die Nordexpansion

Für Wachstum setzen viele Winzer auf die weißen Flecken Deutschlands, in denen noch kein oder wenig Wein aus Württemberg verkauft wird. Die WZG zum Beispiel wolle den Anteil ihres Weins, den sie außerhalb Württembergs verkauft, langfristig auf rund zwei Drittel steigern, sagt Vorstandschef Weidmann. Derzeit liegt er bei etwa 60 Prozent. Auch für Marian Kopp von den Lauffener Weingärtnern ist die „Entwicklung außerhalb Württembergs stärker als innerhalb“. In anderen Teilen Deutschlands sieht Kopp noch reichlich Luft nach oben: Er schätzt, dass er jenseits der Region noch zehn Prozent neue Kunden gewinnen kann. Ein Spätzünder beim Verkauf nördlich des Mains war nach eigener Aussage die Felsengartenkellerei Besigheim. Nur rund vier Prozent verkaufe die Kernmarke bislang außerhalb Württembergs, sagt Geschäftsführer Hans-Georg Schiller. Diesen Anteil will er in Zukunft deutlich steigern: „Ich schätze, dass wir bis in zehn Jahren etwa ein Viertel unseres Umsatzes in der Nordhälfte Deutschlands machen werden“, sagt Schiller. Dort gebe es schlicht mehr Möglichkeiten zu wachsen als hierzulande.

Die Vorurteile

Außerhalb der Region bekannter zu werden ist für die schwäbischen Winzer nicht einfach. Auch wenn sich die Qualität des württembergischen Weins in den letzten Jahrzehnten stark verbessert habe – in den Köpfen vieler Leute sei das noch nicht angekommen, beobachtet Newcomer Johannes Bauerle. Seit drei Jahren ist er mit rund sieben Hektar Bewirtschaftungsfläche im Geschäft. Außerhalb Württembergs höre er häufig: „Euren Wein will kein Mensch trinken.“ Bauerle hat deshalb immer ein paar Flaschen Wein im Gepäck, wenn er in einer anderen Stadt ist – um sich damit bei Weinhändlern vorzustellen. Vor allem kleinere Erzeuger „müssen schon kämpfen, um aus der Region herauszukommen“, sagt Bauerle.

Die Vermarktung

Rund 4,5 Millionen geben die Württembergischen Weingärtnergenossenschaften jedes Jahr mit ihrer gemeinschaftlichen Werbefirma aus, um ihre Erzeugnisse deutschlandweit zu vermarkten – zum Beispiel für die Messe Baden-Württemberg Classics, die 2016 etwa in Hannover, Berlin und Dresden Verbraucher auf den Wein aus Württemberg aufmerksam machen soll. Außerdem hat die Werbegemeinschaft Kooperationen mit der Berlinale und der Preisverleihung des Henri-Nannen-Journalistenpreises aufgebaut. Wer bei solchen Veranstaltungen Wein aus Württemberg kostet, wird neugierig auf mehr – so die Hoffnung der Werbegemeinschaft. WZG-Vorstandschef Weidmann betont, wie wichtig die Betreuung der Lebensmitteleinzelhändler sei: „Wir betreuen deutschlandweit alle Händler mit mehr als 1200 Quadratmeter Fläche persönlich.“ Denn bei den meisten Ketten gelte das Prinzip: Gelistet ist nicht gleich geführt. Die Genossenschaft muss an jede Filiale einzeln herantreten, um ihren Wein ins Regal zu bringen. „Das ist wie Häuserkampf“, sagt Weidmann.

Das Supermarktregal

Die Felsengartenkellerei hat für den Kampf um die Plätze im Supermarktregal eine eigene Strategie entwickelt. „Wenn die Händler uns sagen, das Regal sei voll, bringen wir einfach unser eigenes mit“, sagt Geschäftsführer Schiller. In rustikalen, besonders wertigen Auslagen, neben dem Weinregal aufgestellt, bietet die Kellerei ihre Weine an. Der Erfolg sei groß, die meisten  Händler  ließen  sich darauf ein, sagt Schiller. Anfangs sei die Genossenschaft noch selbst an Lebensmitteleinzelhändler herangetreten. Jetzt hingegen wachse die Nachfrage von großen Zwischenhändlern, so dass das nicht mehr nötig sei. Der einzige Nachteil: Die Holzregale markenrechtlich zu schützen verursacht zusätzliche Kosten.

Der Export

Rund ein Prozent des Württembergischen Weins wird nach Schätzungen derzeit ins Ausland verkauft. Doch der Auslandsmarkt könnte viele Vorteile bringen. Viele Nationen auf der Welt geben prozentual mehr von ihrem Einkommen für Lebensmittel aus als die Deutschen. Zudem wächst der Weinmarkt in vielen Ländern enorm. Iren und Russen etwa trinken heute doppelt so viel Rebensaft wie noch zur Jahrtausendwende. Der Sprecher des Deutschen Weininstituts, Ernst Büscher, sieht gerade für Württemberg großes Potenzial beim Weinexport – wegen der starken genossenschaftlichen Strukturen: „Für den Export benötigt man große Mengen in gleich bleibender Qualität. Das können die Genossenschaften leisten.“ WZG-Chef Weidmann ist skeptischer. Denn im Ausland sei vor allem Weißwein gefragt. Drei Viertel des Weins in Württemberg sind aber rot.

Die kleinen Weingüter

Trotz Weidmanns Skepsis: Manch kleiner Winzer mit teureren Weinen sieht im Auslandsmarkt viel Potenzial – zum Beispiel Felix Graf Adelmann. Sein gleichnamiges Weingut exportiere bislang „so gut wie nichts“ . Das soll sich ändern: Langfristig will er etwa sieben Prozent im Ausland verkaufen – vor allem um Großkunden zu gewinnen. Sie erleichtern die Arbeit beim Verkauf und seien für kleine Winzer auf dem umkämpften Markt in Deutschland kaum noch zu gewinnen. Christian Dautel dagegen macht schon heute rund 15 Prozent seines Umsatzes im Ausland – in erster Linie in Holland. Was Dautel am Auslandsmarkt schätzt: „Dort sind die Leute weniger voreingenommen.“ Wer noch nie einen Lemberger getrunken hat, kann schließlich auf keine schlechten Erfahrungen zurückblicken.