Die Ideengeber stellen ihre Webseite vor: Robin Reichsöllner (li.), zugeschaltet aus Mallorca, Ruben Mosmann, live in Stuttgart, und Dannik Haas (zugeschaltet aus Neuseeland) Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Internet gehört nicht den Rassisten und Hetzern. Man kann es auch anders nutzen. Das zeigen vier Schüler: Sie haben eine Webseite entwickelt, die einen ins Dritte Reich mitnimmt. Sie zeigt, wie Stuttgart damals aussah und wie der Terror der Nazis wütete.

Stuttgart - Er ist wieder da. In Birkach hat er einen Platz, in Feuerbach, Plieningen, Sonnenberg und Vaihingen je eine Straße, auch im Herzen der Stadt begegnet man ihm: Die Planie heißt Adolf-Hitler-Straße. Auch Horst Wessel trifft man, Joseph Goebbels und Hermann Göring, in Vaihingen plaudert man vor dem Rathaus auf dem Platz der SA. So sieht es aus im Stuttgart des Jahres 1940. Nachempfinden kann man das auf der Webseite Go Stuttgart, die Dannik Haas, Ruben Mosmann, Marvin Praschmo und Robin Reichsöllner entwickelt haben. Was anderswo geschah, in Berlin, Stalingrad und Auschwitz, das haben sie im Geschichtsunterricht erfahren, doch was passierte in Stuttgart, was erlebten die Urgroßeltern und ihre Nachbarn, wie lebten sie im Dritten Reich?

Antworten auf diese Fragen suchten sie im Rahmen eines Projekts der damaligen neunten Klasse des Evangelischen Mörike-Gymnasiums, das die Jugendhausgesellschaft über ihren Ableger Lernort Gedenkstätte angeregt hatte. Vor vier Jahren war das, mittlerweile haben die Jungs fast alle Abi gemacht, und so sind beim Start der Webseite nicht mehr alle im Lande. Dannik Haas ist aus Neuseeland zugeschaltet, Robin Reichsöllner hört und guckt in Mallorca mit. Er sagt entwaffnend ehrlich auf die Frage, wie sie auf die Idee gekommen seien: „Es ging darum, wie man sich erinnern wolle, und fast alle haben etwas gebastelt oder gemalt, aber wir haben es nicht so mit dem Zeichnen und Malen.“ Also habe man überlegt, wie man etwas Dauerhafteres schaffen könne als eine Pappfigur, die man nach einiger Zeit auf den Speicher lege, ergänzt Haas. Sie kamen auf die Idee mit der Webseite, die so gestaltet ist, dass sie auch auf jedem Smartphone abrufbar und nutzbar ist.

Ein Blick aufs Handy erklärt vieles aus der Historie

Mosmann: „Jeder Jugendliche hat ein Handy, und so kann er durch die Stadt gehen, und mit ein paar Klicks hat man alles da.“ Nämlich die Informationen zu den früheren Straßennamen, den historischen Orten oder den Gedenkorten. So erfährt man etwa, dass die Brenzkirche am Kochenhof umgebaut werden musste, der Bauhausstil störte die Nazis. „Ihre architektonische Gestaltung lässt leider in auffälligem Maße liberalistische Baugesinnung erkennen“, schrieb die Stadtverwaltung.

Wer im Unteren Schlossgarten unterwegs ist und vor der Rossebändiger-Statue steht, der kann erfahren, dass 1935 der damals 16-jährige Hans Gasparitsch die Parole „Rotfront“ und „Hitler = Krieg“ an die Sockel geschrieben hatte. Ein Klick mehr, und man landet bei den Biografien. Hier liest man, dass Gasparitsch gefasst und zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Aber er wurde nicht entlassen, sondern landete in verschiedenen Konzentrationslagern. Erst 1945 endete in Buchenwald seine Leidenszeit, als viele Wachmänner vor den anrückenden Amerikanern flüchteten und sich die Insassen selbst befreiten.

Jugendliche arbeiten weiter an der Seite

„Die Seite wird natürlich weiter aktualisiert“, sagt Beate Müller, Einrichtungsleiterin von Lernort Gedenkstätte, „wir haben dafür eine Jugendredaktion, die Daten einpflegt und recherchiert.“ Es soll eine Seite von Jugendlichen für Jugendliche bleiben, „auch wenn natürlich Ältere sie nutzen dürfen“, sagt Haas und grinst.

Zusammengearbeitet haben sie mit den Mitarbeitern des künftigen Stadtmuseums, recherchiert und geforscht haben sie im Stadtarchiv, aber auch auf den diversen Internetseiten vom Haus der Geschichte, der Aktion Stolperstein, der Gedenkstätte deutscher Widerstand und vielen anderen. „Das ist eine Ergänzung und keine Konkurrenz“, sagt Günther Riederer vom Stadtarchiv. Er glaubt nicht, dass durch die zunehmende Digitalisierung Museen und Archive überflüssig werden: „Wir brauchen einen physischen Raum als Erfahrungsraum.“

So sieht das auch Harald Stingele, der mit seinen Mitstreitern die Stolpersteine nach Stuttgart brachte und erfolgreich für den Erhalt der ehemaligen Gestapo-Zentrale, das Hotel Silber, gekämpft hat. „Wir brauchen die Aura eines Ortes, das Authentische“, sagt er, „aber man muss auch die Möglichkeit moderner Medien nutzen.“ Insofern sei das Projekt eine tolle Sache, je mehr Wege des Erinnerns, desto besser. Wichtig ist, dass man überhaupt einen beschreitet.

www.go-stuttgart.org