Ein Band trennt Prozessbeteiligte und Demonstranten Foto: Max Kovalenko

Der Prozess gegen zwei Polizisten ist am Mittwoch an ungewöhnlicher Stelle fortgesetzt worden. Das Gericht bat kurzfristig in den mittleren Schlossgarten zur Ortsbegehung – in einer beklemmenden Atmosphäre.

Stuttgart - Die Rückkehr an den Ort, um den es geht, ist für die beiden angeklagten Polizeibeamten nicht ganz einfach. Am Mittwochnachmittag stehen sie, umringt von Richtern, Verteidigern und Nebenklägern, im mittleren Schlossgarten. Hinter einem Absperrband, das Justizbeamte hochhalten, versammeln sich rund 80 Demonstranten. Sie halten Schilder und Fotos vom denkwürdigen 30. September 2010 in die Höhe. Der Vorwurf gegen die beiden Polizisten muss nicht extra ausgesprochen werden. Er liegt in der Luft.

Hier sollen sie als Einsatzabschnittsleiter an jenem Tag entscheidende Fehler gemacht haben. Fehler, die dazu führten, dass der Wasserwerfereinsatz aus dem Ruder lief und neben 35 Polizeibeamten Hunderte Stuttgart-21-Gegner teils schwer verletzt worden sind. Fahrlässige Körperverletzung im Amt lautet die Anklage.

Die Ortsbegehung, vom Gericht kurzfristig angesetzt, hat etwas Bedrückendes. Sichtlich unwohl fühlen sich die beiden Polizisten, als sie, verfolgt von den Demonstranten, auf den sogenannten Feldherrenhügel steigen. Von der winzigen Anhöhe neben dem Biergarten aus ist damals ein Teil des Einsatzes koordiniert worden. Jetzt sollen die Angeklagten dem Gericht schildern, welche Wege sie an jenem Tag genommen, welche Sichtfelder sie gehabt haben. Konnten sie von dort aus mitbekommen, dass es Schwerverletzte gegeben hat?

Die Klärung scheint schwierig. Zumal das Gelände heute, direkt an der Baustelle, anders aussieht als vor vier Jahren. Fragen zur Situation im Schlossgarten will die Kammer erst am nächsten Verhandlungstag im Gerichtssaal zulassen. Im Park ist es schlicht zu laut, als dass alle Beteiligten alles mitbekommen könnten. Nach gerade einmal einer Viertelstunde ist deshalb die Ortsbegehung schon wieder beendet.

Möglich geworden ist sie an diesem Verhandlungstag überhaupt erst, weil ein wesentlicher Zeuge vor Gericht schweigt. In der vergangenen Woche hatte der Staffelführer der Wasserwerfer stundenlang Rede und Antwort gestanden und dabei geschildert, wie bei dem Einsatz von Anfang an fast alles schief gelaufen ist. Eigentlich hatte er das vermeiden wollen und die Aussage verweigern. Doch weil er bereits rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten verurteilt ist, konnte er sich auf dieses Recht nicht mehr berufen. Anders am Mittwoch sein damaliger Stellvertreter: Er hätte sich bei einer wahrheitsgemäßen Aussage selbst belasten können. Er macht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.

Und macht damit den Weg frei für den Ausflug in den Schlossgarten und die Sichtung von weiterem Videomaterial. Der Prozess wird in der nächsten Woche fortgesetzt. Dann sollen weitere Zeugen aus Reihen der Polizei gehört werden.