Von außen betrachtet sieht das leerstehende Waldhaus relativ klein aus – das 600 Quadratmeter umfassende Gebäude ist in den Hasenberg hineingebaut. Foto: Peter Petsch

Das Waldhaus zählte im vorigen Jahrhundert zu den beliebtesten Ausflugszielen der Stadt. Heute ist die Traditionsstätte auf dem Hasenberg nur noch eine Ruine. Ein Aussichtsort, der verfällt – das macht viele Wanderer wütend. Die Erben versprechen: „Hier wird wieder eine Gaststätte eröffnet.“

Stuttgart - Nur noch wenige Autofahrer verirren sich ganz oben am Ende der Hasenbergsteige in einen schmalen Waldweg, der nach links zu einem einstigen Schmuckstück des Hügels führt. Eine Frau mit Hund kommt auf den Besucher zu. „Sind Sie Architekt?“, fragt sie. „Nein, Journalist“, lautet die Antwort. „Dann schreiben Sie“, sagt sie, „dass es eine Schande ist, was mit dem Waldhaus geschieht.“

Zuletzt fuhr die Polizei hoch. In das seit 2008 leerstehende Gasthaus ist vor wenigen Tagen eingebrochen worden. Die Scheiben gingen zu Bruch. Ob die unbekannten Täter etwas mitgehen ließen oder dort nur ein verbotenes Fest feierten, ist nicht bekannt. Die Besitzer versprachen, das Gelände umgehend mit Holzbrettern abzusichern. Dass sich mit dem Höhenrestaurant seit Jahren nichts tut, gefällt auch den Erben nicht. Eine Mitschuld geben sie der Stadt. Wann immer eine möglicher Käufer komme, könne man ihm nicht genau sagen, was beim Wiederaufbau erlaubt und was verboten sei. Schon viele Interessenten, unter anderem eine Brauerei, seien deshalb abgesprungen.

Rückblende. Ein Blick ins Geschichtsbuch der Stadt. 184 Stufen führten hinauf zu einem traumhaften Blick bis zur Schwäbischen Alb und zum Schwarzwald. Schlank ragte der 36 Meter hohe Hasenbergturm über den Wald - er war ein Wahrzeichen der Stadt, lang bevor es der Fernsehturm auf einem anderen Hügel werden konnte. Der Hasenbergturm, 1879 vom Verschönerungsverein erbaut, lockte schon bald nach seiner Eröffnung Zehntausende an. Die vielen Besucher hatten Hunger und Durst. Rund um das Ausflugsziel entstanden das Jägerhaus, das Hotel Buchhof und das Waldhaus.

„Schon morgens um 9 Uhr kamen die ersten Gäste“

Was ist von der alten Pracht übrig geblieben? Steine, Ruinen, ein Stumpf des 1943 von den Nazis gesprengten Hasenbergturms, der den Flugzeugen der Alliierten keine Orientierung bieten sollte.

Stuttgarts Hügel werden von der Gastronomie heute nur noch an wenigen Plätzen zur schönen Aussicht genutzt. Der 450 Meter hohe Hasenberg dürfte auf absehbarer Zeit nicht dazu zählen.

„Gruss vom Waldhaus, Hasenberg-Stuttgart“ – Günter Lemme, der Poet, Maler und Wirt a.D., bewahrt die alten Postkarten in seinen Alben. Die liebevoll eingeklebten Fotos künden von einer Herrlichkeit, die keiner ahnt, wenn er durch die zerbrochenen Scheiben in ein baufälliges Anwesen blickt. Hier hockte der letzte württembergische König Wilhelm II. in der für ihn reservierten Ecke bei Schwarzwurst und Viertele, aber auch die Bürgerschaft fühlte sich wohl in dem heute traurig verrotteten Gebäude.

1960 hatte der in Salzwedel in der Altmark geborene Lemme als Kellner im Waldhaus begonnen. „Schon morgens um 9 Uhr kamen die ersten Gäste“, erinnert er sich, „es ging bis in die Nacht so weiter – wir haben oft erst um 2 Uhr zugemacht.“ Die Eigentümerin Margarete Müller machte den fleißigen Kellner bald zum Betriebsleiter und Pächter, arbeitete aber bis ins hohe Alter mit.

Landung in den 1960ern

Die Müllers waren die dritte Besitzerfamilie in der Geschichte des Waldhauses. Im Jahr 1900 hatte der Apotheker Robert Xander, einst schon Betreiber des nahen Jägerhauses, das 1879 als Privathaus gebaute Anwesen als Gaststätte eröffnet. In den 1930er ging der Besitz an Gotthilf Raisch über, der in den 1960er Jahren den Stab an seine Verwandte, die Müllers, weitergab.

Der Hasenberg mit seinem traumhaften Ausblick hat den Pächter Lemme zum Maler und Poeten gemacht. „Oft verloren in Gedanken, sitz ich überm Häusermeer, seh den wilden Wein dort ranken, unter rauscht der Verkehr“, so beginnt eines seiner Gedichte. 48 Jahre lang war er der Gastgeber in dem Höhenrestaurant, das sich fast trotzig allen modischen Erneuerungen verweigerte.

Wer das Höhenlokal betrat, landete flugs in den 1960ern. Dies gefiel prominenten Stuttgart-Besuchern wie Alfred Biolek, Heidi Kabel und Willy Brandt. Der Künstler Otto Herbert Hajek, der auf der Hasenbergsteige sein Atelierhaus hatte, war Stammgast und brachte einmal den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker mit. Oft kam Fritz Leonhardt, der Erbauer des Fernsehturms, und setzte sich stumm auf die Terrasse. An keinem Punkt der Stadt, sagte er, gefalle ihm sein Turm so gut wie hier.

Generalsanierung nach dem Tod der Besitzerin

Seine geliebte Stadt überblickt Lemme jetzt nur noch von seinem Atelierhäuschen aus, das wenige Meter vom Waldhaus entfernt ist. Vor wenigen Jahren wurde das Grundstück frei. Welch ein Glück für ihn – den Zuschlag bekam er. Die Stadt untersagte ihm aber, dort Getränke und Kuchen den zahlreichen Wanderern anzubieten.

„Hasenberg, du kleiner Hügel inmitten einer großen Stadt, schenkst den Blicken sanfte Flügel“, dichtet der 78-jährige Lemme. Beim Waldhaus existiert die heile Welt nur noch in der Poesie. Nach dem Tod der Besitzerin im Jahr 2008 nahm das Unheil seinen Lauf. Eine Generalsanierung stand an, die weder die Erbengemeinschaft noch der Pächter stemmen konnte. Die neuen Besitzer kündigten Lemme, der – damals schon 74 Jahre alt – mit seinem Sohn gern weitergemacht hätte. Zum Spekulationsobjekt geriet der exponierte Ort – doch die Stadt stellte klar: Hier muss wieder eine Gaststätte her, das ist nicht der Platz für Luxuswohnungen.

„Wir sind schon über 60 Jahre alt und wollen eine rasche Lösung“, versichert der Sohn der langjährigen Eigentümerin gegenüber unserer Zeitung. Von einer reinen Nutzung für Wohnungen könne keine Rede sein. Schon seit Anbeginn habe es aber Wohnungen über der Gaststätte gegeben. Die Erben haben neue Kaufinteressenten und hoffen, dass die nach Kontaktaufnahme mit dem Baurechtsamt nicht wieder abspringen.

„Hier oben wird man einfach lyrisch“, sagt der frühere Wirt Lemme, „da wachsen Träume heran und Luftschlösser, da riecht man den Ursprung.“ Als Künstler rühmt er das Schöne – und doch bricht es ihm das Herz, wenn er den Verfall des geliebten Waldhauses verfolgt. Für ihn ist es zu einem Albtraum geworden. Da fehlen selbst dem Dichter die Worte.