Melanie Maurer klettert auf einen Ansitz in ihrem Neuweiler Revier. Foto: Langner

Wenn Melanie Maurer aus Neuweiler nicht in der Besenwirtschaft ihrer Familie arbeitet, geht sie auf die Pirsch. Die ehemalige Tierarzthelferin fand zögerlich zur Jagd, betreibt diese jetzt aber aus voller Überzeugung.

Vögel zwitschern, aus der Ferne läuten Kirchenglocken, gelegentlich lässt ein Windzug die Blätter rauschen. Ansonsten ist es völlig ruhig im Wald. Plötzlich knackt es im Gehölz. Melanie Maurer setzt ihr Fernglas an und schaut in die Richtung des Geräuschs. Nichts. „Vermutlich ist nur ein Ast auf den Boden gefallen“, sagt sie und lehnt sich auf ihrem Ansitz zurück. Sie kann warten.

 

Melanie Maurer ist Jägerin. Die 42-Jährige hat ein knapp 430 Hektar großes Revier im Gemeindewald von Weil im Schönbuch. Die zu rund zwei Dritteln aus Feld und Wiesen bestehende Fläche entspricht etwa 600 Fußballfeldern. In Weil im Schönbuch betreibt sie mit der „Wildkiste“ ein eigenes Geschäft, in dem sie Fleisch, Wildbret und Wurst aus heimischer Jagd anbietet. Auch auf dem Hofgut Mauren, wo sie in Teilzeit arbeitet, verkauft sie ihre Wildwurst. Und wer im Weilemer Ortsteil Neuweiler in der elterlichen Besenwirtschaft „Zom Äpfelbutza“ einkehrt, deren Leitung sie zusammen mit ihrer Schwester Carina Bauer im April übernommen hat, findet dort auch Rehbraten auf der Speisekarte.

Jagen erschien ihr als Tierarzthelferin undenkbar

Dass die Jagd für sie einmal zum Lebensinhalt werden würde, hätte sie die frühere Tierarzthelferin sich wohl nie träumen lassen. „Mein Bruder ist Metzger, und mein Vater hat auch immer geschlachtet“, sagt Melanie Maurer, die deshalb schon von Kindesbeinen an keine Illusionen darüber hatte, wo das Fleisch auf ihrem Teller herkam. Aber jagen? „Als Tierarzthelferin geht das gar nicht“, habe sie früher gesagt.

Mit entsprechenden Vorbehalten sei die damals 17-Jährige deshalb mitgegangen, als Andreas Maurer sie das erste Mal auf eine nächtliche Wildschweinjagd mitnahm. Der Mann, den sie später heiraten und mit dem sie Drillinge bekommen sollte, war zu diesem Zeitpunkt bereits begeisterter Jäger. Zu ihrer eigenen Überraschung war sie sofort völlig fasziniert. „Natürlich war ich auch früher schon oft im Wald, und wegen der Landwirtschaft meiner Eltern bin ich viel draußen gewesen“, sagt Melanie Maurer. Aber sich bei Nacht im Wald aufzuhalten und den für sie damals noch unbekannten Geräuschen zu lauschen – das sei dann doch etwas ganz anderes gewesen. „Das war echt spannend und hat mir wirklich Spaß gemacht.“

Aus diesem Grund protestierte sie wohl auch nicht allzu heftig, als Andreas Maurer ihr einige Jahr später offenbarte, dass er sie für den Jagdschein angemeldet habe. Ein dreiviertel Jahr lang paukte sie in der Ausbildungsstätte der Kreisjägervereinigung (KJV) beim Schießstand am Sindelfinger Mönchsbrunnen für Fächer wie Tierarten, Wildbiologie, Jagd- und Waffenrecht, Tier- und Naturschutz, Wildkrankheiten, Wildhygiene, und Waffenkunde. Ein großer Teil der Ausbildung ist Praxis: Dazu zählen das Schießen und der Umgang mit der Waffe, die Ausbildung und Handhabung von Jagdhunden oder die Teilnahme als Treiber bei Drückjagden. „Das war schon anstrengend, das neben dem Beruf her zu machen“, erzählt sie. Nicht ohne Grund spreche man beim Jagdschein auch vom „Grünen Abitur“. Als die damals 25-Jährige den Jagdschein im Mai 2006 in den Händen hielt, dauerte es noch lange, bis sie selbst ihr erstes „Stück“ schießen sollte, wie das in der Jägersprache heißt. „Ich hatte Hemmungen“, gibt sie zu. Erst mehr als ein halbes Jahr später, am zweiten Weihnachtsfeiertag, sei sie alleine in den Wald gegangen, wo sie aus rund 50 Metern Entfernung ein Reh schoss.

Bei ihrem ersten selbst geschossenen Reh hat sie geweint

„Ich habe lange gebraucht“, denkt sie an den Moment zurück, als sie das Tier in ihrem Zielfernrohr sah. Mit fast unmerklichem Nicken antwortet sie auf die Frage, ob sie damals geweint habe. „Einem anderen Jäger darf man das ja eigentlich gar nicht sagen, aber ich habe es dann ein bisschen gestreichelt und ihm einen Zweig ins Maul gelegt“, erzählt sie vom Moment, als sie dem Reh als traditionelle Ehrerbietung den symbolischen „letzten Bissen“ gegeben habe.

„Es war ein sauberer Schuss, alles perfekt“, erzählt sie. Es sei gut, wenn es beim ersten Mal so laufe, denn das sei nicht immer garantiert. Anschließend habe sie das Tier selbst aufgebrochen, ihm also die Eingeweide herausgenommen. „Das ist auch richtig so“, sagt sie. Ihre Schwiegermutter, die lange Jahre mit dem Schwiegervater eine Weinstube in Weil betrieben hatte, habe das Fleisch zubereitet, und sie habe dann auch davon gegessen. „Das ist es, was mich daran am meisten fasziniert“, erklärt Melanie Maurer, warum sie – wie sie es formuliert – „die Jagd zu ihrem Lebensmittelpunkt“ gemacht und später wegen ihres wachsenden Kundenstamms ein weiteres Pachtrevier bei Schwäbisch Hall dazu dazugenommen habe. „Bei der Jagd geht es darum, von Anfang bis Ende dabeizusein“, sagt sie, warum Fleisch für sie nicht einfach nur etwas ist, das man in Plastik verpackt im Supermarkt kauft.

Mit dieser Einstellung wachsen auch ihre Töchter Lina, Emma und Johanna auf. „Nein, die haben kein Problem mit der Jagd “, erzählt die Mutter. Im Gegenteil: Ganz stolz würden die zwölfjährigen Drillinge anderen von „Mamas Wildkiste“ erzählen. Die Mädchen würden auch gerne selbst mit ihr und Jagdterrierdame Frieda auf die Pirsch gehen – mit Ausnahme von Emma. „Die wird da immer zu ungeduldig“, meint Melanie Maurer.

„In 90 Prozent der Fälle schießt man gar nichts“, sagt die 42-Jährige, die auch an diesem Sommerabend nach Hause fährt, ohne einen Schuss mit ihrem M98 abgefeuert zu haben, einer Waffe die auf einem Gewehr aus dem Zweiten Weltkrieg basiert. Tatsächlich sind – abgesehen von der Ausdauer für die Hege und Pflege – bei der Jagd wohl vor allem Geduld und Gelassenheit gefragt.

Mit rosa Gewehren kann sie nichts anfangen

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Dennoch ist viel passiert, seit Melanie Maurer ihren Jagdschein gemacht hat. Damals sei sie unter 28 Kursteilnehmern nur eine von drei oder vier Frauen gewesen. „Heute sind es deutlich mehr“, sagt sie. Der Kreisjägermeister Klaus Kissel bestätig das – und lobt die Frauen, weil sie aus seiner Sicht den Männern im Lernen und auch in der Besonnenheit beim Schießen oft deutlich überlegen seien. Die wachsende weibliche Community hat sich mittlerweile in einem Jägerinnen-Forum zusammengeschlossen. „Damit kann ich aber nichts anfangen“, sagt Melanie Maurer. „Schon allein, wenn ich sehe, dass da manche ein rosa Gewehr haben. . .“, schüttelt sie amüsiert den Kopf.

Frauen als neue Zielgruppe

Auf Wachstumskurs
Laut Kreisjägermeister Klaus Kissel aus Ehningen sind Frauen die am stärksten wachsende Gruppe in der Jägerschaft. Dieser Trend spiegele sich auch in der Kreisjägervereinigung Böblingen (KJV) wider, wo sich der Frauenanteil in diesem Jahr leicht auf 13,8 Prozent erhöht habe.

Hauptgrund Hund
Als ein Hauptkriterium für die wachsende Jagdbegeisterung bei Frauen sieht Kissel Hunde. Viele Frauen würden sich auf die Jagd hingezüchtete Rassen zulegen und dann feststellen, dass die Tiere im Alltag nicht ausgelastet seien. Da zum Jagdschein auch eine umfangreiche Hundeausbildung gehört, würden immer mehr Frauen dieses Angebot nutzen.

Ausbildung
Der nächste Kurs bei der KJV am Sindelfinger Mönchsbrunnen findet am 11. September statt. Zuvor gibt es am 20. Juli eine Infoveranstaltung. Anmeldung und weitere Infos unter www.kjvbb.de