Foto: Stoppel, privat

Der Auenwälder Jörg Drechsel hat wilde Zeiten erlebt: In den 1970ern war er in Hamburg Mitglied der Hausbesetzer- und Rockerszene. Inzwischen lässt er es ruhiger angehen und will für die Linke in den Landtag einziehen.

Auenwald - Die verblasste, teils entfernte Tätowierung auf der rechten Hand lässt es erahnen: Jörg Drechsel hat wilde Zeiten erlebt. „Ich war ein Ausreißer“, sagt der heute 59-Jährige. Im Alter von 15 Jahren gelang dem gebürtigen Goslarer die Flucht aus schwierigen familiären Verhältnissen nach Hamburg. Dort lebte er auf der Straße oder in besetzten Häusern, jobbte im Hafen und schloss sich Rockergruppen an. „Ich hatte aber immer eine weiße Weste, sowohl als Kleidungsstück als auch im übertragenen Sinn“, betont er heute.

Das Jugendfoto, das Drechsel für sein Porträt in der StZ ausgewählt hat, stammt aus dieser Zeit. „Vielleicht mag ich Flüchtlinge, weil ich selbst mal einer war“, sagt er. Ähnlich habe er sich wieder gefühlt, als er in den 1990er Jahren aus beruflichen Gründen umzog: „Als Norddeutscher in Süddeutschland weiß ich, wie sich ein Ausländer hier fühlen muss.“

Inzwischen hat er sich in seinem Wohnort Auenwald aber gut eingelebt. Die Haare sind heute grau und kurz, das Einkommen geregelt, Drechsel arbeitet als Wachmann. Und sein Ziel ist klar: Er möchte in den baden-württembergischen Landtag.

„Steinchen auf Steinchen“ statt Parolen

Bei der Wahl 2011 waren die Linken mit 2,8 Prozent der Stimmen noch an der Fünfprozenthürde gescheitert. Mit der AfD gibt es in diesem Jahr eine Partei mehr, die um die Wählergunst buhlt. „In der nächsten Legislaturperiode sehe ich die AfD zwar im Landtag, aber in zehn Jahren sehe ich sie nicht mehr vorhanden“, meint Drechsel. Die Linke setze dagegen auf langfristige Inhalte: „Wenn ich jetzt hier nackig durch die Gegend laufe und ,Brüder, zur Sonne, zur Freiheit‘ rufe, errege ich zwar Aufmerksamkeit. Solange wir aber konstruktive, linke Politik machen, braucht es Steinchen für Steinchen, um in den Landtag zu kommen.“

Denn linke Politik, da ist Drechsel überzeugt, davon brauche auch das Land Baden-Württemberg mehr. Es gelte, die „Ausbeutung der Menschen“ zu stoppen: „Noch vor ein paar Jahren habe ich genauso wenig verdient wie 1978 als Hilfsarbeiter“, sagt er. „Das erleben Tausende Menschen – da ist doch etwas nicht in Ordnung.“ Drechsel ist überzeugt: ein vernünftiger Lohn für alle Arbeitnehmer sei wichtig und machbar.

Die öffentlichen Verkehrsmittel in der Region Stuttgart liegen ihm ebenfalls am Herzen. „Ich beobachte täglich riesige Gelenkbusse, in denen nur drei Leute sitzen. Die werden von den Kommunen subventioniert – da kann man für die betroffenen Strecken doch auch kleine Zwanzigsitzer subventionieren“, meint er. Das könne dabei helfen, Fahrscheine erschwinglicher und die Öffentlichen attraktiver zu machen – und sei sinnvoller als der geplante Weiterbau der B  14. Die Fördermittel des Bundes, die für letzteres Projekt fließen sollen, bezeichnet Drechsel als „Wahlkampfgeschenk“ der CDU. „Einen Teil dieses Geldes hätte man vielleicht lieber in einen vernünftigen ÖPNV gesteckt.“ Der B-14-Bau sei ohnehin ein „Stückleswerk“, das seit 1939 vorangetrieben werde.

Vorschlag: Landräte künftig direkt wählen lassen

Die Linke fordert mehr Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg – auch Jörg Drechsel hält es für sinnvoll, zum Beispiel in die Ausschüsse der Städte und Gemeinden Bürger als Beisitzer aufzunehmen und ihnen Stimm- und Vorschlagsrecht zu gewähren. „Auf diese Weise kommt doch mal neuer Input herein“, glaubt er. Ein weiterer Vorschlag der Linken ist, Landräte künftig direkt von der Bevölkerung wählen zu lassen, wie es in vielen Bundesländern der Fall ist. „Das hat doch was“, findet Drechsel.

Mit Blick auf die Flüchtlingsdebatte sagt er: „Es ist eine Schande, dass wir heute nicht hinkriegen, was wir vor 30  Jahren schon einmal bewältigt haben. Wir müssen uns fragen, wie wir mit unserer abendländisch-christlichen Kultur damit umgehen. Machen wir, was Jesus gesagt hat – liebe deinen Nächsten? Oder verdammen wir die Flüchtlinge, weil sie sagen, sie haben einen Anspruch auf Leben?“ Eine menschenwürdige Bleibe und Behandlung würde helfen, Probleme zu vermeiden. Jetzt zeige sich, dass sich Landesregierung um Landesregierung nicht genügend um den sozialen Wohnungsbau gekümmert habe. Die Linke fordert, dafür 250 Millionen Euro bereitzustellen. „Dass das Geld nicht da ist, ist Humbug – sonst nehmen wir die Vermögensteuer“, so Drechsel.