Matteo Renzi in Neapel Foto: ANSA

Ist Italiens Regierung mit einer korrupten Erdöl-Lobby verbandelt? In Wahlkampfstimmung fordert die Opposition den Rücktritt von Matteo Renzi und den seines Kabinetts.

Rom - Zum Führen hast du keine Statur, nur die Arroganz eines Capo. Als Parteichef bist du vollkommen ungenügend!“ Mit derart heftigen Attacken hat Matteo Renzi selbst in seiner sozialdemokratischen Partei (PD), nicht mehr gerechnet. Dabei war die bezeichnendste Aussage in der turbulenten Vorstandssitzung vom Montag Abend eine andere: „Ich werde mich dafür einsetzen“, sagte Roberto Speranza als ein interner Hauptgegner Renzis, „dass die Partei bei den nächsten Wahlen gewinnt.“ Wenn man so etwas schon hervorheben muss, dann zeigt das, wie die Stimmung unter den „Parteifreunden“ ist.

Italiens sonst so forscher, jetzt aber eher kleinlauter Premier hat einen handfesten Skandal am Hals. Jedenfalls etwas, das der Opposition im eigenen Lager und in den anderen Parteien zum ersten mal die Gelegenheit gibt, den bisher Unangreifbaren zu demontieren. Es geht um das Zusammenwirken „mit einer organisierten Kriminalität auf unternehmerischer Basis“, wie Italiens oberster Mafiafahnder Franco Roberti die fraglichen Kreise nennt, kurz: um Begünstigung einer als korrupt und als umweltfeindlich dargestellten Erdöl-Lobby.

Erleichterung für Großinvestoren

Renzi sieht das anders. „Um ein seit Jahrzehnten auf der Stelle tretendes Italien endlich in Schwung zu bringen“, hat er Erleichterungen und eine Entbürokratisierung für industrielle Großinvestitionen durchgesetzt. Das galt nicht zuletzt für die Ausbeutung der größten Erdöl-Vorkommen auf europäischem Festland: in der Basilikata, an der Fußsohle des italienischen Stiefels. Formell ins Parlament eingebracht hat diese Bestimmung zuständigkeitshalber die Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung, Federica Guidi. Die 46jährige allerdings hatte dem Regierungschef etwas verschwiegen: Ihr Lebenspartner ist als Unternehmer in der Erdölbranche tätig, und just in der Basilikata hatte er für sich und seine Freunde vom seit 2006 dort bohrenden französischen Konzern Total einige millionenschwere Aufträge erwartet. Die Ministerin beging auch noch die Unvorsichtigkeit, ihren Freund über den bevorstehenden Beschluss vorab am Telefon zu informieren. Die Staatsanwälte, die dem Mann wegen Korruptionsverdacht auf der Spur waren, hörten mit. Vergangene Woche ließen sie dann die Abhörprotokolle – „zeitlich rein zufällig”, wie Justizkreise treuherzig versichern – an die Medien durchsickern. Das war’s dann mit der Ministerin. Keine zwei Stunden nach der ersten Agenturmeldung war Federica Guidi zurückgetreten.

Schnellster Rauswurf seit Menschengedenken

Zurückgetreten worden, natürlich. Renzi dachte, mit dem schnellsten Rauswurf eines italienischen Ministers seit Menschengedenken auch das Problem erledigt zu haben. Da lag er falsch. Die Opposition betrachtet die gesamte Regierung als „willige Dienerin” der Erdöllobby und verlangt den kompletten Rücktritt. Sie tut es umso lauter, als am 17. April ein Volksentscheid stattfindet, bei dem es auch ums Erdöl geht, für den sich aber bisher so wenige Italiener interessieren, dass die nötige Beteiligung von fünfzig Prozent der Wahlbürger kaum erreichbar scheint.

Die größte Schlacht des Jahres

Renzi – wieder einmal er – hatte Erleichterungen auch für jene Ölfirmen durchgesetzt, die vor Italiens Küsten die dort lagernden „Milliardenschätze“ fördern. Das wollen die Küstenregionen nicht, jedenfalls nicht, so lange die Bohrplattformen in Sichtweite der Strandtouristen an der Adria und in Sizilien liegen; Neun Küstenregionen haben das Referendum erzwungen. In der Affäre Guidi sehen sie eine optimale Gelegenheit, dafür auch zu trommeln. Und just einer der größten Bohr-Gegner ist seit jeher auch einer der stärksten innerparteilichen Feinde Renzis: Michele Emiliano, Gouverneur der Region Apulien, am Stiefelabsatz. Ihm geht’s auch um rein lokale Interessen. Er bekämpft das auszuweitende Bohrfeld in der Nachbarregion Basilikata, das Italiens Öl- und Gas-Produktion von 2017 an um 40 Prozent steigern soll, vor allem deshalb, weil sein Apulien von den Steuereinnahmen nichts bekommt, die Durchleitung des „Schwarzen Goldes“ aber ertragen muss. Die Pipeline endet im Hafen von Taranto, wo das Stahlwerk Ilva als größte Dreckschleuder Europas und die Marine sowieso nicht pfleglich mit Luft und Meer umspringen. Auch dagegen ist Gouverneur Emiliano im Prinzip nicht. Pipeline, Lagertanks, Industriehafen sind ja längst in Betrieb; werden sie abgebaut – wie es dem Stahlwerk auch droht – dann gehen zehntausende von Arbeitsplätzen verloren. Vor dem Referendum und in Renzis schwächster Stunde gibt Emiliano allerdings den Umweltfreund und Volkstribun.

Außerdem steht die größte Schlacht des Jahres bevor: In der ersten Junihälfte wird in den wichtigsten Städten Italiens – in Rom, Mailand, Turin, Neapel, Bologna – sowie in gut 1300 anderen Kommunen neu gewählt. Eine bessere Möglichkeit, mit Renzi abzurechnen, gibt es dann bis zu den Parlamentswahlen 2018 nicht mehr. Schon das erklärt vieles – unter anderem Renzis so ungewöhnliche Nervosität.