Kundgebung für Ralph Yarl, der in Kansas City angeschossen wurde Foto: dpa/Charlie Riedel

Sechs Tage, drei Versehen – eines davon endet tödlich. Amerikaner sind vor dem Gebrauch von Schusswaffen nirgendwo sicher.

Der 16-jährige Ralph Yarl stand in Kansas City vor der falschen Haustüre. Er wollte seine jüngeren Geschwister abholen. Die 20-jährige Kaylin Gillis bog mit ihren Freunden im ländlichen New York in die verkehrte Einfahrt. In Texas verwechselte die Jugendliche Heather Roth auf einem Parkplatz ihr Auto mit dem eines anderen. Drei harmlose Versehen mit schlimmen Konsequenzen.

„Wir leben in einer Nation, in der zuerst geschossen wird, bevor jemand nachdenkt“, beklagt John Feinblatt von „Everytown for Gun Safety“ die Konsequenzen des Waffenwahns. „Die Leute sind empört und haben die Nase voll.“ In Umfragen sagen acht von zehn Amerikanern, dass Waffengewalt zunimmt. Drei von vier betrachten das als großes Problem. Aufhorchen ließ auch eine Erhebung, in der die Mehrheit der Befragten angab, sie selbst oder jemand aus der Familie sei mit Waffengewalt konfrontiert worden.

„Ich hoffe einfach nur, dass er im Gefängnis stirbt“

Die Betroffenen verstehen die Welt längst nicht mehr. Etwa Andy Gilles, dessen Tochter Kaylin im ländlichen Washington County im Bundesstaat New York mit Freunden versehentlich in den Privatweg einbog, der über fast einen Kilometer zu einem Haus auf einem Hügel führt. Der 65-jährige Kevin Monahan eröffnete das Feuer und tötete die Studentin der Meeresbiologie, die auf dem Beifahrersitz saß. „Ich hoffe einfach nur, dass er im Gefängnis stirbt“, sagte der Vater bei der Haftvorführung des Schützen.

Im Fall des jungen Schwarzen, der an der falschen Tür klingelte, zeigte sich dessen Vater Paul erleichtert, dass die Staatsanwaltschaft den 84-jährigen Andrew Lester anklagte. „Das haben wir gehofft“, erklärte Yarl, dessen Sohn einen Kopfschuss wie durch ein Wunder überlebte. Der weiße Mann tauchte mit seiner Pistole an der Tür auf, als Yarl gegen 22 Uhr klingelte. Wortlos feuerte er seine Smith & Wesson durch die Glasscheibe ab. Der Schütze erklärte gegenüber der Polizei, er habe sich vor dem Jungen gefürchtet.

Trotz Entschuldigung geschossen

Die Eltern der Highschool-Cheerleader aus Texas sind froh, dass ihre Töchter die gewalttätige Reaktion auf die Verwechslung überlebten. Der 25-jährige Pedro Tello Rodriguez stieg aus seinem Auto, das Heather auf dem Parkplatz verwechselt hatte. Er eröffnete das Feuer auf die Schülerinnen, die schon wieder in ihrem Auto saßen und sich entschuldigt hatten. Die Staatsanwaltschaft erhob auch in diesem Fall Anklage.

Sicher ist keine der Verurteilungen, da die Schützen versuchen können, mit Selbstverteidigung zu argumentieren. „Wir haben ein Recht darauf, sicher in unserem Zuhause zu sein“, verteidigt Dave Workman von der Waffenlobby „Second Amendment Foundation“ die „Stand-Your-Ground“-Gesetze. „Aber die Bedrohung muss definierbar sein.“ Ob das Klingeln zu später Stunde dafür ausreichend ist, muss das Gericht klären.

Tod durch Waffengewalt

Waffenbesitz
 Wie viele Waffen in den USA in den Händen von Privatpersonen sind, ist nicht bekannt. Es gibt keine nationale Datenbank. Die Nichtregierungsorganisation Small Arms Survey rechnete 2018 mit über 390 Millionen Schusswaffen. Demzufolge kämen auf jeden Einwohner 1,2 Waffen.

Opfer
 Vor der Pandemie kamen in den USA jedes Jahr rund 15 000 Menschen durch Schusswaffen ums Leben. Im Jahr 2020 stieg die Zahl auf fast 20 000 an – etwa 1000 Opfer waren Kinder bis elf Jahren.