Gunnar Jónsson und Ilmur Kristjánsdóttir in „Virgin Mountain“ Foto: Alamode

Ein kindlicher Mann erwacht in einem dunklen Wintermärchen des isländischen Regisseurs Dagur Kari.

Reykjavik - Der 43-jährige Fúsi ist ein sanfter Riese, ein Gemütsmensch. Er wohnt noch bei seiner Mutter, lädt am Flughafen Gepäckstücke ein und aus, baut zu Hause Schlachtfelder nach, wandelt wie in Trance durch ein ereignisloses Dasein. Dann schenkt ihm Mama einen Tanzkurs – und beim Squaredance lernt Fúsi, der noch nie eine Freundin hatte, die forsche Sjöfn kennen. Die ist nur oberflächlich lebenslustig und trägt in Wahrheit ein dickes Päckchen mit sich herum. Nun müssen beide lernen, sich einzulassen – und das von entgegengesetzten Positionen aus.

Ein dunkles Wintermärchen hat der isländische Filmemacher Dagur Kári auf seiner Heimatinsel inszeniert. Um ein stark verspätetes Heranwachsen geht es da, um Selbstentdeckung, Bewusstwerdung, eine Erweckung. Die illustriert der Regisseur vor allem in Nuancen und Zwischentönen.

Ein kleines Mädchen, das neu einzieht, erkennt in dem beleibten, langhaarigen Fúsi einen Seelenverwandten, ihr Vater eher einen potenziellen Kinderschänder; der impertinent freizügige Liebhaber der Mutter versucht Fúsi aus der Reserve zu locken, geht ihm aber nur auf die Nerven; die derben Kollegen am Flughafen schikanieren ihn zunächst und umarmen ihn dann, treffen aber auch dann nicht den richtigen Ton.

Fúsi wird aus seinem Schneckenhaus gezwungen

Gunnar Jónsson gelingt es hervorragend, dem Stoiker Fúsi, der in seinem chinesischen Stammlokal seit Jahren dasselbe bestellt und zunächst kaum eine Miene verzieht, ein stetig ansteigendes inneres Brodeln einzupflanzen. Ein frühes Indiz, dass tief drinnen etwas sein muss: Wenn er nachts ziellos mit seinem Auto durch den Isländischen Winter fährt, ruft er beim Radio an und wünscht sich deftigen Heavy Metal.

Sjöfn aber liebt Dolly Parton, und je ernsthafter er sich um sie bemüht, desto gehetzter wirkt er – weil er aus seinem Schneckenhaus gezwungen wird. Ilmur Kristjánsdóttir gibt ihrer Figur von Beginn den Gestus einer Getriebenen, die nur schwer Vertrauen fasst und nie lange bei einer Sache bleiben kann.

Mal humorvoll und einfühlsam, phasenweise aber auch beklemmend gestaltet Kári diese Annäherung zweier Sonderlinge. Und er entlässt seine Zuschauer mit dem guten Gefühl, das jeder Mensch, so seltsam er auch sein mag, seinen Platz im Leben finden kann.