Wer im Umzugsstress vergisst, einen Vertrag mit einem Stromanbieter abzuschließen, rutscht automatisch in die Grundversorgung. Foto: Herrmann Agenturfotografie/IMAGO

Ein Mieter in München zahlt seit drei Jahren keinen Cent für Strom – weil er glaubt, die Kosten seien in der Warmmiete enthalten. Was ihm jetzt droht.

Als wäre die Wohnungssuche nicht schon anstrengend genug, kommt der eigentliche Stress meist erst nach dem Umzug. Eine lange To-do-Liste will abgearbeitet werden: Wohnsitz ummelden, Rundfunkbeitrag anmelden, Telefon- und Internetverträge abschließen, dem Arbeitgeber und Behörden die neue Anschrift mitteilen. Schließlich muss noch der Strom bei einem Energieversorger angemeldet werden. Denn diese Kosten sind üblicherweise in der Miete nicht enthalten. Doch genau das hat sich offenbar nicht überall rumgesprochen – wie der Fall eines Mieters in München zeigt, der nach eigenen Worten „aus Versehen“ und „unwissentlich“ seit drei Jahren keinen Cent für Strom bezahlt hat – und dies auch nicht weiter hinterfragte.

„Wieso sagt einem eigentlich keiner, dass wenn man in eine neue Wohnung zieht, Strom noch mal selbst anmelden muss?“, fragt Paul Bunne in einem etwa 90 Sekunden langen Video auf Tiktok. Der 30-Jährige, dem auf der Internetplattform mehr als 154 000 Nutzer folgen, trifft einen Nerv: Sein Clip geht viral, wird rund 2,8 Millionen Mal angesehen und tausendfach kommentiert. „In den ganzen drei Jahren, wo ich hier wohne hat auch noch nie jemand gefragt: ’Hey möchtest Du mal für Strom zahlen?’“, berichtet der gebürtige Osnabrücker, der seit zehn Jahren in der Isarmetropole lebt. Für seine Wohnung zahlt Bunne 970 Euro Warmmiete. Diese hat er bis dato als eine Art Flatrate verstanden. Egal ob Strom, Gas oder Wasser: „Ich dachte immer, da ist alles inkludiert.“

@paulbunne

Ich bin mal gespannt, wie viel ich jetzt nahc 3 Jahren für die Stromkosten nachzahlen muss 🫠

♬ Originalton - Paul Bunne

Strom-Krimi: „Rechne mit 3000 Euro Nachzahlung“

Dass er falsch liegt, weil der Strom separat abgerechnet wird, erfährt er erst vor Kurzem von Freunden. „Jetzt hab ich das Debakel“, seufzt der junge Mann mit dem Dreitagebart und der sanften Stimme, während er sich eine Tasse Tee aus einer Kanne einschenkt und Frischkäse auf eine Scheibe Brot schmiert. „Was glaubt Ihr, wie hoch könnte die Nachzahlung sein?“, fragt er seine Nutzer. Mehr als 5600 Menschen kommentieren den Clip: „Rechne mal günstig mit circa 3000 Euro Nachzahlung“, schreibt ein User in einem Kommentar.

Manche Follower reagieren wie Tiktoker Bunne überrascht: „Ich hab grad von Social Media erfahren, dass man Strom extra zahlt“, schreibt beispielsweise eine Nutzerin. „In der Schule lernt man halt Nix fürs Leben“, schlägt ein anderer Kommentar in die gleiche Kerbe. Doch nicht alle reagieren verständnisvoll: „Naiv oder dämlich... Ich bin mir nicht so ganz sicher...“ Für die Netzgemeinde ist der Fall „spannender als ein Krimi“. Es wird gemutmaßt: „Wenn niemand den Strom bezahlt hätte in den drei Jahren, hätten sie dir den Strom längst abgestellt.“ Viele tippen darauf, dass der Vermieter oder Eigentümer den Strom längst beim Versorger angemeldet hat und auch die Rechnungen bezahlt.

Wann Mieter in die Grundversorgung rutschen

In mehreren Update-Videos hält der Tiktoker seine Follower auf dem Laufenden – Zuerst nimmt er Kontakt zum Vormieter auf, der aber nichts zur Lösung des Problems beitragen kann. Wenig hilfreich ist auch sein Vermieter, der ihn „ghostet“, wie der 30-Jährige es ausdrückt, seine E-Mails also unbeantwortet lässt. Jetzt greift der junge Mann zum Telefonhörer, wendet sich an den örtlichen Grundversorger, die Stadtwerke München (SWM). „Sie sind gar nicht angemeldet“, erfährt er von der Stimme in der Hotline.

Das lässt aufhorchen, denn wer im Umzugsstress vergisst, einen Vertrag mit einem Stromanbieter abzuschließen, rutscht automatisch in die Grundversorgung, wie die Verbraucherzentrale aufklärt. „Trotzdem müssen Mieter und Eigentümer beim Grundversorger den Strom anmelden“, ergänzen die Stromexperten des Vergleichsportals Verivox. Manchmal übernehme der Vermieter die Übermittlung der Daten an den Grundversorger. „Darauf sollten Sie sich aber nicht verlassen und lieber selbst aktiv werden“, rät Verivox.

@paulbunne Ich habe 3 Jahre keine Stromkosten bezahlt und jetzt gibt es ein Update zu diesem für mich sehr kuriosem Fall ⚡️ @Paul Bunne ♬ Originalton - Paul Bunne

Energieversorger bringt Licht ins Dunkel

Licht ins Dunkel bringen schließlich die Stadtwerke München: Weil weder Bunne noch dessen Vermieter den Stromverbrauch angemeldet hatten, sei der Influencer schlicht „durchgerutscht“, wie ein SWM-Sprecher sagt. Ab dem Zeitpunkt der Entnahme sei der Verbraucher gegenüber dem Grundversorger zahlungspflichtig – und „das auch rückwirkend“, betont er. Dass Vermieter Mietverträge inklusive Stromverbrauch abschließen, komme eher selten vor. „Manche Mieterinnen und Mieter vermuten die privaten Stromkosten in den Nebenkosten, was allerdings nicht der Fall ist“, sagte der Sprecher. Dann könne es zu Konstellationen wie im Fall von Paul Bunne kommen.

Wie hoch die Nachzahlung ausfällt, dazu macht der SWM-Sprecher keine Angaben. „Wir haben mal für einen Beispielhaushalt mit einem Verbrauch von 1.500 Kilowattstunden für München nachgerechnet“, sagt Verivox-Sprecher Lundquist Neubauer auf Anfrage. „Die Kosten von 2021 bis 2023 summieren sich auf rund 1800 Euro.“ Verivox rät: „Egal, ob Sie bei Ihrem bestehenden Stromanbieter bleiben, den Grundversorger wählen oder zu einem günstigeren Anbieter wechseln, notieren Sie sich immer den Zählerstand der alten und der neuen Wohnung am Auszugs- und Einzugstag .“ So ließen sich später die Angaben auf der Stromrechnung überprüfen. „Da Herr Bunne den Zählerstand ja offenbar notiert hat, kann er – sobald der Sachverhalt geklärt ist – dann den von ihm verbrauchten Strom auch bezahlen.“