Verwirrung: Serey Dié, Daniel Schwaab, Christian Gentner (v. li.) Foto: Baumann

Wenn zu viel Selbstgefälligkeit die Gier nach Erfolg verdrängt: Nach Wochen des Hochgefühls macht sich beim VfB Stuttgart neue Ratlosigkeit breit – ein Gefühl, das den Anhängern nicht neu ist.

Stuttgart - Kennen wir, hatten wir schon, alles schon mal dagewesen. Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis – und bricht ein. Wie der VfB in Mönchengladbach. Das 0:4 war nicht nur eine Niederlage – es war eine handfeste Tracht Prügel. Jedes Tor war eine Ohrfeige, fast jede VfB-Aktion desaströs – von der ersten bis zur letzten Minute, vom ersten bis zum letzen Mann. „Wir sind in alte Muster verfallen“, sagte Martin Harnik. Die Vergangenheit, die durch die jüngste Erfolgsserie überwunden schien, holte den VfB mit einer Wucht ein, die nichts Gutes erahnen lässt. Beim 1:1 auf Schalke und beim 1:2 gegen Hannover war schon jeweils eine Halbzeit schlecht, aber dieses 0:4 ist alarmierend. Weil es Lichtjahre entfernt ist von den glorreichen Siegen und den teils glanzvollen Auftritten, die der VfB vor kurzem noch auf den Rasen gezaubert hat. Der Negativtrend ist eindeutig. Alle, deren Herz in Weiß und Rot schlägt, kennen diese leidvolle Erfahrung, weil sie seit Jahren ständig wiederkehrt. Ja, geht das schon wieder los?

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Es ist, als habe jemand den Stecker gezogen, und dem VfB geht schon wieder der Saft aus. Abspielfehler, Missverständnisse, mangelnde Kommunikation, kein Spielverständnis – die Beispiele gab es in jeder Kategorie dutzendweise. Vor allem aber: kein Aufbäumen, keine Wehrhaftigkeit, kein Selbsterhaltungstrieb, als die Borussia den VfB spielerisch leicht zerlegte. Kein: „Na wartet, euch zeigen wir es!“ Stattdessen das fatale Eingeständnis von Daniel Didavi: „Wir waren nicht bereit heute.“

Ja, wann denn dann?

Wie lange zehrt der VfB noch von seinem Punktepolster?

Mit einem Sieg in Mönchengladbach, auch schon mit einem Erfolg gegen Schlusslicht Hannover, hätte sich der VfB seiner ärgsten Sorgen entledigen können. Nun kehrt das Gespenst, das den Namen Abstieg trägt, zurück, in den Köpfen wie in den Beinen. Wenn es auch gegen die TSG Hoffenheim an diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) schiefgeht, ist das Punktepolster, das sich der VfB im Februar angefuttert hat, schon wieder erheblich geschrumpft. Noch zehrt er davon, doch ein bisschen Fett sollte dazukommen, bevor die dicken Brocken wie Bayern München, Borussia Dortmund oder der VfL Wolfsburg kommen.

Nun werden Bundesligatrainer auch dafür bezahlt, dass sie in jeder Lebenlage Optimismus ausstrahlen. So sagte Jürgen Kramny über das Trauerspiel seiner Mannschaft: „Wenn man es positiv sehen will, kann man sagen: Alles Negative, was es gibt, haben wir in dieses Spiel gepackt.“ Wenn man es nicht so positiv sehen will, lässt sich sagen: Der VfB ist eine Schönwettertruppe; eine Mannschaft, die sich allenfalls für ein paar Spiele derart zusammenzureißen vermag, dass sie das Schlimmste verhindert – siehe die drei Siege am Ende der vergangenen Saison, die mit knapper Not zum Klassenverbleib reichten, oder die Acht-Spiele-Serie unter Kramny, die sie zumindest vorübergehend ins Mittelfeld der Tabelle beförderte. Dieser Einschätzung haben die Spieler zuletzt vehement mit Worten widersprochen, doch den Gegenbeweis mit Taten scheinen sie auch diesmal nicht anzutreten – weil dafür ihre Qualität dafür dauerhaft nicht ausreicht?

Diese unbedingte Gier nach Erfolg ist wieder mal nicht zu erkennen, vielmehr deutet einiges auf ein Übermaß an Selbstgefälligkeit hin – was bisher geklappt hat, wird schon auch weiter klappen. Ausgerechnet der Sportvorstand, der sechs Punkte aus den drei Partien in dieser Woche gefordert hatte, stellte sich in diesem Zusammenhang selbst an den Pranger, obwohl seine Schuldfrage gar nicht geklärt ist. „Erstmals vor einer englischen Woche habe ich den Fokus nicht auf das nächste Spiel gerichtet, sondern ein Ziel für drei Spiele ausgegeben“, klagte sich Robin Dutt an, „das wird mir nie mehr passieren.“ Ob er damit den einen oder anderen Spieler zum Leichtsinn angestiftet hat? „Ich kann nicht in elf Köpfe schauen“, sagte Dutt. Womöglich war auch gar kein Anstoß nötig, womöglich hat der eine oder andere nach der positiven Serie von sich aus gedacht, den Erfolg gebucht zu haben, auch ohne die letzte Konsequenz auf dem Platz.

Gegen Hoffenheim erwartet Sportvorstand Robin Dutt eine Reaktion

Aufschlüsse wird das Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim geben. „Da erwarte ich eine Reaktion“, sagte Robin Dutt. „Da müssen wir es besser machen“, forderte Kramny. Wenn der gestiegene Zwang zu punkten nur nicht die Blockade von Mönchengladbach verfestigt! „Wir haben zu viele Erfolgserlebnisse gesammelt, als dass wir uns von ein, zwei Spielen verunsichern lassen“, versicherte Martin Harnik. Dann zeigt das auch!