Enges Duell: VfB-Profi Antonio Rüdiger (re.) gegen Freiburgs Felix Klaus Foto: dpa

Es ist kein Kampf der Kulturen, doch das Duell zwischen dem VfB Stuttgart und dem SC Freiburg bedient wie immer die Klischees: Das befeuert die Emotionen, verstellt aber den Blick auf die eigentlichen Probleme.

Stuttgart - Werner Schretzmeier (70) ist bester Laune. Beim Mitarbeiter-Kick am Abend zuvor hat er vier Tore geschossen. Und das ist vermutlich mehr, als er dem VfB Stuttgart gegen den SC Freiburg an diesem Samstag (15.30 Uhr Mercedes-Benz-Arena/Sky) zutrauen würde.

Was nicht heißt, dass der Chef des Stuttgarter Theaterhauses dem Club seines Herzens den Sieg nicht wünscht. Nur sind die Verhältnisse in den vergangenen Jahren eben ein bisschen unübersichtlicher geworden. Zwischen Stuttgart und Freiburg. Und zwischen ihm und dem VfB. „Dieser Verein“, sagt der Spielmacher vom Pragsattel, „ist eine interessante Form von Hassliebe.“

Niedergang, der tief in der Vergangenheit wurzelt

Womit er diese zähe Emulsion zwischen Stadtgesellschaft und Verein beschreibt, die den Zwiespalt zum Programm erhebt. Man will den Cannstatter Beitrag zur Sportkultur nicht missen, traut den Machern aber so wenig wie der Steuererklärung des Nachbarn. Was die Arbeit nicht leichter macht für Bernd Wahler, den Präsidenten, der nach seiner Wahl als Heilsbringer, Identitätsstifter, Reformer, Erfolgsgarant und sonst noch was stilisiert wurde und nun den rasanten Abstieg erlebt zum Alleinverantwortlichen für einen Niedergang, der tief und weit in der Vergangenheit wurzelt.

„Es ist in Stuttgart schwer, die Bedürfnisse zu befriedigen“, seufzt Wahler, „wir haben eine ganz andere Geschichte als Freiburg.“ Jedenfalls wiegt die Bürde früherer Erfolge schwerer als beim Sportclub in der übersichtlichen Breisgau-Zentrale (220 000 Einwohner), wo sich „alles ein wenig näher ist“ (Schretzmeier) und der Erwartungshorizont am Stadiondach endet.

Wo alles immer so wirkt, als sei jede Niederlage, jeder Abstieg, nicht mehr als ein kleiner Wirbel im gewaltigen Strom badischer Leichtlebigkeit. Hingegen in der vom Altpietismus gekniffenen Hochleistungsregion um die Landeshauptstadt der Zweite schon als der erste Verlierer in den alles verschlingenden Fluten der Ernüchterung versinkt.

Auch beim SC Freiburg gibt's "Meckerer und Besserwisser"

„Täuschen Sie sich nicht“, warnt SC-Präsident Fritz Keller, „auch bei uns gibt es die ständigen Meckerer und Besserwisser.“ Nur tut sich der Verein ganz im Süden des Landes in mancherlei Hinsicht leichter als das Schwergewicht in der Landeshauptstadt, das oft gewogen und fast immer als zu leicht befunden wird. „Bei uns sitzen 24 000 Trainer im Stadion“, sagt der SC-Präsident, „in Stuttgart doppelt so viele.“

Wenn es nur das wäre.

„Der VfB“, sagt der Stuttgarter Krimiautor und Fußball-Interessierte Wolfgang Schorlau, „kommt mir so uneigentlich vor.“ Es seien zu viele Leute des Geldes in der Vereinsführung, interessierte Laien. „Die machen das so nebenher“, vermutet der Schriftsteller, der lange auch in Freiburg gelebt hat. „Das ist nicht authentisch.“

Die verpassten Möglichkeiten

Das schätzt auch Michael Zeyer, Manager bei der blaufarbenen Konkurrenz auf der Waldau und von 1989 bis 2004 in Diensten des SC Freiburg. „Der VfB hat es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, sich ein Profil zu geben“, sagt Zeyer, „ein Club dieses Zuschnitts ist eine regionale Marke mit internationaler Ausrichtung.“

Dafür standen einst Namen wie Balakov, Elber, Poschner und Bobic. Später Hildebrand, Meira, Soldo, Hinkel, Beck, Khedira, Gomez oder Schieber. Aber die Jungen Wilden landeten auf der Müllhalde verpasster Möglichkeiten.

Kultivierung des Andersseins

Der Liga-Rivale aus Baden dagegen kultiviert bis heute sein Anderssein. Die Aura des Sponti-Trainers Volker Finke mit dem Kurzpass-Spiel der Breisgau-Brasilianer, mit selbst gedrehten Zigaretten und radelnden Profis scheint der ewig währende Teil einer Identität zu sein, die zur lebendigen Stadtgesellschaft der Uni-Kommune passt wie der Deckel zum Topf. Erfolg heißt eben nicht nur, immer der Erste zu sein.

Achim Stocker, der langjährige Präsident, ging während der Spiele mit seinem Hund an der Dreisam spazieren, weil er seinem Herzen die Aufregung ersparen wollte. Und wenn seinem Club mal wieder die Zweitklassigkeit drohte, erinnerte er mit dem strengen Blick des Finanzbeamten an die Werteskala unterm Höllental. „Wenn wir unter den 25 besten Clubs in Deutschland sind, ist das für uns ein großer Erfolg.“

Fritz Keller, sein Nachfolger, wagt solche in Stein gemeißelte Weisheiten nur leicht zu korrigieren: „Nun ja, ich sage mal: Unter den ersten 20 wäre mir lieber.“ Dann preist er sich kokett als den Inbegriff von badischer Demut und Bescheidenheit: „Ich bin Winzer. Wo sonst kann so jemand noch Präsident eines Bundesliga-Vereins werden?“

"Streich und Keller sind Schlüsselfiguren"

Auch Christian Streich, der Furor auf der Freiluftbühne an der Dreisam, macht ganz den Eindruck, als sei auch er wie selbstverständlich der Produktionsstätte des Sportclubs für regionale Naturereignisse entstiegen. Mit alemannischem Singsang trägt der Fußball-Lehrer mit Fachkenntnis über Straußenwirtschaften sein Mantra vom Freiburger Gegenentwurf in die Welt, der den Fluch der finanziellen Minderausstattung mit einer Extraportion Demut, Fleiß, Ehrgeiz und Kreativität zu kompensieren versucht. „Streich und Keller sind Schlüsselfiguren“, sagt Michael Zeyer, „sie sind Teil der regionalen Identität.“

Und das immer im unausgesprochenen Kontrast zu den Geldsäcken aus der Landeshauptstadt, die wegen Porsche und Daimler vor lauter Kraft ja nicht mehr laufen konnten und das Führungspersonal häufiger wechselten als die Zündkerzen an ihrem AMG-getunten Benz. Das spielt der südbadischen Eigenart wunderbar in die Karten, alles grob aufs Korn zu nehmen, was nur im Verdacht steht, die schwäbische Engstirnigkeit zu belegen.

„Gehscht aufs Klo und lupfsch dr Deckel. Was guckt raus? A Schwoba-Seggl!“

Baden versus Württemberg

Spruchbänder wie jenes aus der Nordkurve des Schwarzwaldstadions zielen auf den uralten Konflikt des nach dem Krieg fusionierten Bundeslands. Denn nach gängiger Meinung rund um den Kaiserstuhl fließen alle (Geld-)Flüsse gen Stuttgart. Da spielt die SC-Familie allzu gern den Doppelpass mit der Politik und schmettert das Badnerlied vor dem Anpfiff ein paar Dezibel lauter. Und bei passender Gelegenheit mit leicht verändertem Text: „In Sipplingen ist das Seepumpwerk / da kommt das Wasser raus /Mir Badner seiche’ fröhlich nei / und Schwaba saufet’s aus!“

Doch die eher harmlosen therapeutischen Maßnahmen zur Linderung landsmannschaftlicher Minderwertigkeitskomplexe geraten mehr und mehr in den Verdacht, willkommene Camouflage in einem Spiel zu sein, dem sich der SC Freiburg so wenig entziehen kann wie der VfB Stuttgart: fressen und gefressen werden.

„Wir müssen schon auch schauen, wo wir im Liga-Wettbewerb bleiben“, sagt Fritz Keller. Denn die Mär vom kleinen David, der mit der Steinschleuder auf den schwäbischen Goliath zielt, stimmt nur noch zu einem geringen Teil. Die scheinbar so unterschiedlichen Welten nähern sich immer mehr an.

Auch in Freiburg gibt es inzwischen Porsches

Das Ziel ist seit Jahren sowieso identisch: oben bleiben! Neben dem Rad von Kapitän Julian Schuster am Trainingsgelände parkt auch öfter mal ein Porsche. Der Lizenzspieleretat des Sportclubs Freiburg lag vor Jahren noch bei 16 Millionen Euro, mittlerweile gibt er nach Expertenschätzungen jährlich rund 25 Millionen Euro (VfB: 40 Millionen Euro) für die Gehälter seiner Berufsfußballer aus. Früher verdienten die Helden des Freiburger Fußballstolzes maximal zwischen 500 000 und 800 000 Euro. Das Jahresgehalt von Stürmer Admir Mehmedi dürfte inzwischen bei mindestens 1,2 Millionen Euro liegen.

Einen Torhüter wie Roman Bürki für 1,8 Millionen Euro Ablöse zu verpflichten hätte vor Jahren noch gegen jedes Glaubensbekenntnis verstoßen. Experten schätzen allein die Transfererlöse aus den vergangenen drei Jahren auf rund 50 Millionen Euro. Der Jahresumsatz lag 2014 bei 70 Millionen Euro (VfB: 90 Millionen Euro). 15 Millionen legte der SC Freiburg in den vergangenen Jahren für den im Februar per Bürgerentscheid genehmigten Stadionneubau auf die hohe Kante.

Und wer die Dinge auf die Spitze treiben will, weist darauf hin, dass auch Christian Streich inzwischen in einem funkelnagelneuen Häuschen mit unverbaubarer Aussicht wohnt. Dass er im Metzinger Vip-Shop von Boss seinen feinen Zwirn besorgt, im Aufsichtsrat etliche Unternehmer sitzen und Fritz Keller nicht nur ein leutseliger Winzer ist, sondern Chef eines Weinimperiums und stolzer Besitzer des Hotels und Sterne-Restaurants Schwarzer Adler in Oberbergen am Kaiserstuhl.

"Wir sind nicht mehr das kleine gallische Dorf"

Willkommen im Club. „Wir sind nicht mehr das kleine gallische Dorf, das sich heldenhaft gegen die Übermacht der Römer stemmt“, sagt Fritz Keller. Das neue Stadion im Wolfswinkel wird allen Erfordernissen gerecht.

Und es ermöglicht neue Dimensionen der Vermarktung. „Freiburg entwickelt sich weiter, auch wir entwickeln uns weiter. Das liegt in der Natur der Sache“, sagt der ehemalige SC-Coach und jetzige VfB-Vorstand Robin Dutt. Wer allerdings die Abteilung Forschung und Entwicklung weiter auf Bundesliga-Niveau betreibt, dürfte nicht unwesentlich davon abhängen, welches Modell sich an diesem Samstag durchsetzt.

„Ein erfolgreiches Theaterstück“, sagt Torjäger Werner Schretzmeier, „wird es meistens, wenn ein Schwacher plötzlich Erfolg hat.“ Das Problem ist nur, dass in diesem Drama die Rollen noch nicht endgültig verteilt sind.