Jan Schindelmeiser (li.) und Wolfgang Dietrich: Künftig AG-Vorstand und Vereinspräsident beim VfB Stuttgart? Foto: Baumann

„Ja“ oder „Nein“ zur Ausgliederung? Diese Frage diskutieren Fans und Mitglieder des VfB seit Jahren. Nun steht tatsächlich ein Termin für die Abstimmung – und steht auch ein genauer Plan, wie viel Geld die Umwandlung in eine AG dem Club bringen soll.

Stuttgart - „Dieser Tag ist ein Meilenstein für die Geschichte des Vereins“, sagt Wolfgang Dietrich – und die naheliegendste Schätzung lässt einen auf den 21. Mai tippen. Dann geht die laufende Saison in der zweiten Fußball-Bundesliga zu Ende. Und wenn es nach dem Präsidenten des VfB Stuttgart geht, feiert der Club dann die Rückkehr in die Bundesliga. Doch Dietrich meint gar nicht den 21. Mai.

Elf Tage nach dem Saisonfinale – und damit auch nach möglichen Relegationsspielen – lädt der VfB seine mittlerweile über 50 000 Mitglieder in die Mercedes-Benz-Arena ein. Nicht zu einer nachträglichen Aufstiegsfeier, sondern zu einer wohl noch bedeutenderen Veranstaltung. Sie nennt sich: außerordentliche Mitgliederversammlung am 1. Juni (18.30 Uhr). Und sie dient nur einem Zweck. Der Verein für Bewegungsspiele 1893 e.V. will seine Profifußballabteilung (ab der U 16) in eine Aktiengesellschaft (AG) ausgliedern. „Wir verschieben das nicht noch einmal“, sagt Dietrich und macht klar: „Wir wollen endlich eine Entscheidung.“

Diskussion bereits seit Jahren

Lange Zeit haben der Verein und seine Fans in den vergangenen Jahren darüber diskutiert, wie der Club wirtschaftliche Voraussetzungen schaffen kann für die Rückkehr in den Kreis derer, die nicht jedes Jahr schon mit der Angst vor dem Abstieg in die Saison gehen müssen. Im Bereich der Vermarktung, ist immer wieder zu hören, ist das Potenzial ebenso wie bei den Zuschauereinnahmen endlich. Und von den ab der kommenden Saison steigenden TV-Geldern profitiert der VfB zwar, aber eben nicht mehr als andere. Im Gegenteil: Durch sportlich magere Jahre hat sich der Stuttgarter Anteil am großen Kuchen stetig verkleinert. Immerhin – und darauf sind die an der Mercedesstraße besonders stolz – hält der Club noch alle Vermarktungsrechte in den eigenen Händen. „Das ist ein großes Plus“, betont Finanzchef Stefan Heim immer wieder. Andere Clubs, die noch als eingetragene Vereine geführt sind, der FSV Mainz 05 etwa, haben diese Rechte längst an einen externen Vermarkter veräußert.

Um anderweitig an frisches Kapital zu kommen, präferierte der VfB zuletzt die Ausgliederung der Profiabteilung in eine AG. Schon unter Präsident Bernd Wahler wurde eine Abstimmung aufwendig (Regionalversammlungen) vorbereitet – nach dem Abstieg wurde die Entscheidung dann vertagt. Nun aber kommt sie wieder auf die Tagesordnung.

Mit den aktuellen Plänen, über die am Montagmorgen die Mitglieder informiert worden sind, legt sich der Verein erstmals fest, die Frage nach einer möglichen Ausgliederung zur Abstimmung zu bringen – und zwar völlig unabhängig davon, ob es Ende Mai mit dem Aufstieg in die Bundesliga klappt oder nicht. Die Verantwortlichen sehen so oder so eine Dringlichkeit für diesen Schritt, dem 75 Prozent der Mitglieder zustimmen müssen. Finanzvorstand Stefan Heim sagt: „Wir dürfen nicht länger warten.“ Neue Fakten spielen dabei eine wichtige Rolle.

Wie viel ist der VfB wert?

Durch eigene Berechnungen und Erfahrungen, aber auch mithilfe von unabhängigen Wirtschaftsprüfern (das Stuttgarter Unternehmen KPMG) hat der Club eine neue Vereinsbewertung erstellt, die ausschlaggebend dafür ist, wieviel der VfB im Falle einer Ausgliederung für veräußerte Anteile bekommt. Bisher – und noch zu Erstligazeiten – war man von einem Wert von 200 bis 250 Millionen Euro ausgegangen. Die neue Marke für den Unternehmenswert des VfB Stuttgart lautet nun: 300 Millionen Euro. „Wir sind das Thema mit neuem Selbstvertrauen angegangen“, sagt Dietrich und verweist auf den Mitgliederzuwachs und den Zuschauerzuspruch nach dem Abstieg, „ich habe in den vergangenen sechs Monaten erlebt, welche Kraft in diesem Verein steckt.“ Die soll nun – trotz Zweitligazugehörigkeit – bares Geld wert sein.

Maximal 24,9 Prozent der Anteile will der Verein veräußern. 75,1 Prozent, also die deutliche Mehrheit an der AG, würden beim Verein bleiben. „Er wäre beherrschender Aktionär“, versichert der Präsident, der Clubchef des eingetragenen Vereins bleiben würde. Den Vorstand der AG würden die bisherigen Clubvorstände Stefan Heim, Jochen Röttgermann und Jan Schindelmeiser bilden. In einem ersten Schritt würde der Club zwölf Prozent der Anteile (fünf Prozent im Zweitligafall) an den so genannten Anker-Investor veräußern. Weil für den Kaufpreis der künftige Unternehmenswert gilt, würden diese Anteile wohl mehr als 36 Millionen Euro einbringen. Mit der Daimler AG befindet man sich in Verhandlungen, und Dietrich verspricht: „Wir verkaufen uns nicht unter Wert.“

Innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre sollen die weiteren 12,9 Prozent der Anteile veräußert werden. Das Ziel dabei: ein Erlös von insgesamt 100 Millionen Euro. Vier bis fünf Investoren wünscht sich der Club, auch, um sich nicht abhängig zu machen von einem einzigen Investor. „Der Verein behält das Heft des Handelns in der AG in der Hand“, sagt Wolfgang Dietrich, der zusammen mit Stefan Heim keinen Zweifel an der Notwendigkeit der Ausgliederung lässt.

Wohin das Geld fließen soll

„Wir haben in vielen Bereichen den Anschluss verloren“, sagt der Präsident. Und Finanzchef Heim geht zwar davon aus, dass der VfB die Lizenz für die kommende Saison auch ohne eine Neustrukturierung ohne Auflagen bekommt, er rechnet aber auch vor: „Durch die Abwärtsspirale der vergangenen Jahre hat der Club ungefähr 100 Millionen Euro verloren.“ Aus eigener Kraft sei das nicht mehr aufzuholen. Um sich nach einem möglichen Aufstieg dennoch wieder zügig im Oberhaus etablieren zu können, „brauchen wir eine Anschubfinanzierung“. Denn nur durch sportlichen Erfolg würden sich andere „Effekte“ und „Mehrerlöse“ (TV-Gelder, Sponsoringerlöse, Spielerwerte) ergeben. „Der 1. Juni kann den Verein in die Lage versetzen, wieder agieren zu können“, ergänzt Dietrich. Viele Mitglieder allerdings fürchten, dann eben nicht mehr aktiv das Geschehen ihres Lieblingsclubs mitbestimmen zu können.

Es gibt in der Branche zwar viele Experten, die meinen, der VfB hätte den Schritt zur Ausgliederung schon lange – etwa in der Euphorie um die Meisterschaft 2007 – gehen sollen. Die Angst vor der Machtübernahme der Investoren prägt aber ebenso die emotional geführte Diskussion über die Ausgliederung. Darüber hinaus ist viel Vertrauen verloren gegangen in den vergangenen Jahren. Denn: Immer dann, wenn der Club – zum Beispiel durch Transfereinnahmen – über viel Geld verfügte, wurde es ausgegeben, ohne dass sich der Erfolg verstetigt hätte. Passiert das erneut, wäre auch dieses Pulver verschossen. Und wer garantiert schon, dass über Weiterverkäufe der Anteile nicht ungebetene Gäste ins Haus kommen?

Letztere Sorge können entsprechende vertragliche Passagen nehmen. Zudem setzen die Verantwortlichen darauf, in den vergangenen Monaten Vertrauen zurückgewonnen zu haben. Präsident Dietrich verspricht, das frische Geld „zu 100 Prozent“ in den Sport stecken zu wollen. Gemeint sind neben dem Profikader auch Investitionen in die Verbesserung der Trainingsbedingungen und die Möglichkeit, Talente länger an den VfB binden zu können als es zuletzt oft der Fall war. Und auch die Mitbestimmung der Mitglieder, versichern die VfB-Granden, leide nicht.

Was passiert mit den Werten des Vereins?

Ein von den Mitgliedern vorgeschlagener und gewählter Vereinsbeirat könnte nach einer Satzungsänderung (über die auch am 1. Juni abgestimmt wird) künftig den Vereinspräsidenten vorschlagen, den die Mitgliederversammlung wählt. Der Clubchef wiederum vertritt den Verein und dessen Mehrheitsanteile in der AG. Der Club ist zudem mit zwei Vorständen im Aufsichtsrat der AG vertreten, der Präsident vermutlich als Vorsitzender des Gremiums. Und „wir trennen wirtschaftliches von rechtlichem Eigentum“, erklärt Stefan Heim. Soll heißen: Werte wie das Clubhaus oder das Wappen bleiben im Besitz des Vereins, die AG erhält lediglich ein Nutzungsrecht.

Geht der Plan der aktuellen Vereinsführung auf, kann Sportchef Jan Schindelmeiser schon die kommende Transferperiode mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet angehen. Und wenn nicht? Wird ein Plan B bis zur ordentlichen Mitgliederversammlung im Oktober entwickelt. Auch dann, versichern die Macher vom Wasen, müsse der VfB strukturell umgebaut werden. Zumindest in der Ära Wolfgang Dietrich käme die Ausgliederung aber nicht erneut zu Abstimmung. Eine entsprechende Tragweite kommt dem Termin am 1. Juni zu.

VfB Stuttgart - 2. Bundesliga

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