Philharmoniker im Caravaggio-Stil fotografiert Foto: Altmann

Wenn ein Fotograf und eine Kostümbildnerin eine Zeitreise vom frühen Barock in die Moderne wagen, kommen eindrucksvolle Werke heraus: Man sieht die Stuttgarter Philharmoniker mit den Augen des italienischen Meisters Caravaggio.

Stuttgart - Ohne Frack würden die Herren nie die Bühne betreten. Für einen Philharmoniker gehört das ebenso dazu wie das weiße Hemd samt Fliege. Auch die Damen dürfen nicht bei der Kleiderordnung aus der Reihe tanzen. Die Musiker sollen als großes Ganzes glänzen. Nicht als Individualisten. Umso erstaunlicher ist es, dass Intendant Michael Stille plötzlich den Ausbruch ins Außergewöhnliche wagte.

Jürgen Altmann, als Fotograf auf das Besondere spezialisiert, war beim ersten Auftrag von Stille jedenfalls total baff. Die knapp 100 Herren und Damen Musiker in einer Berglandschaft der Alpen fotografieren? So etwas gab es noch nie. „Aber es war ein Riesenspaß und eine vertrauensbildende Maßnahme obendrauf“, erinnert sich Altmann.

Die Stuttgarter Philharmoniker waren so begeistert, dass sie Lust auf mehr bekamen. Nun sollte der Weingott Bacchus ein Tête-à-Tête mit der Muse eingehen. „Ich sollte das Thema Wein und Musik verbinden“, sagt der Stuttgarter Star-Fotograf. Eigentlich kein Problem. Doch einem Altmann ist nur das Beste gut genug. Die Musiker nur in einer Weinlaube zu knipsen – undenkbar für ihn. Jürgen Altmann inszeniert und komponiert seine Bilder. Und dazu braucht er Unterstützung. In diesem Fall war es Birgit Utz. Zusammen mit der Kostümbildnerin, die sonst Schauspieler im „Tatort“ und Filmen ausstaffiert, setzte er die neue Idee um: „Wir wollten ein altes Thema modern umsetzen“, sagen beide unisono.

Caravaggio als Vorbild

Als Vorbild diente ihnen Caravaggio, jener Maler des Barock, der mit der Renaissance gebrochen hatte und letztlich Rembrandt inspirierte. Die neue Lichtführung und die realistische Bildgestaltung Caravaggios waren damals eine Revolution. Auf diesen Spuren wandelten nun Altmann und Utz. Er als Meister des Lichts.Sie als kreative Allgewalt der Requisite und der Bilddramaturgie. „Ich war bei Kostümverleihern, auf Flohmärkten oder in Secondhandshops, um das Richtige zu finden“, sagt Utz, „schließlich sollte es keine alberne Kostümparty geben.“ Es sei eine Gratwanderung zwischen Genialität und Groteske gewesen. „Eine Feder zu viel am Hut, und die Sache sieht nach Fasching aus“, sagt Birgit Utz.

Ihre Liebe fürs Detail ist in jedem Bild des Zyklus sichtbar. Etwa beim Bild „Die Kartenspieler“ von Theodor Rombouts . Alleine die Anordnung und die Auswahl der Requisiten auf dem alten Holztisch ist ein Extra-Kunstwerk. Ihr ganzes Können zeigt Birgit Utz allerdings bei der Kostümauswahl. Obwohl die Musiker mitunter in den neusten Anzugsmodellen von Boss posen, wirkt der Gesamteindruck barock. Der Betrachter blendet aus, dass die Herren eigentlich in einem Wams dasitzen müssten. Diese originelle Täuschung in jedem Bild macht die Kooperation zwischen der Kostümdesignerin und dem Fotografen so einzigartig. Man darf also beide als Caravaggisten bezeichnen – als Jünger des Meisters des Frühbarock.

Doch während die Virtuosen der Hell-Dunkel-Malerei Monate an einem Bild pinselten, beendete Fotograf Altmann sein Shooting mit den Musikern in vier Tagen. Fertig war er danach allerdings nicht. Fast kein professionelles Foto verlässt das Atelier heute ohne Bearbeitung. Auch Jürgen Altmann hat die Bilder per Computer aufgehübscht. „Allerdings werden in der Nachbearbeitung nur die Farben und der Kontrast hingesteuert“, beteuert er, „ich wende keine billigen Tricks an. Ich wollte ja keine Leinwandschinken, sondern Fotos.“

Die Philharmoniker waren mit Herzblut dabei

So wie beim Bild des „Weinhändlers“ von Eero Järnefelt. Es zeigt Intendant Michael Stille. Allerdings so wie ihn keiner kennt – mit Vollbart. „Er hat sich extra für dieses Projekt einen Bart wachsen lassen. Das zeigt, mit wie viel Freude und Herzblut die Philharmoniker bei der Sache waren“, sagt Jürgen Altmann. Aber es zeige auch, wie groß die Lust bei allen war, als Individualist aus dem anonymen Klangkörper der Philharmoniker herauszutreten: „Plötzlich spielte jeder eine Rolle, das ist für solche Musiker recht ungewöhnlich.“

Und so soll es auch bleiben. Wenn die Stuttgarter Philharmoniker im September in die Konzert-Saison 2014/15 starten, wird alles wie immer sein. Trotz den Ausbrüchen ins Außergewöhnliche. Auch wenn die Musiker zuletzt den Gott des Weines („Vivat Bacchus“) hochleben ließen. In dem Moment , in dem Chefdirigent Dan Ettinger vor Publikum wieder zum Taktstock greift, werden wieder alle ganz sittsam gekleidet sein. Die Herren im Frack und weißem Hemd. Die Damen in langem schwarzem Kleide.

Fotograf Jürgen Altmann und die Kostümbildnerin Birgit Utz stellen ihre Bilder vom 5. Oktober an (15 bis 19 Uhr) täglich in der Galerie Kunstbezirk im Gustav-Siegle-Haus, Leonhardsplatz 28, aus.