Die Plastikteile auf der Fingerkuppe sind klein, sie können aber gravierende Folgen haben. Foto: imago images

Das Ludwigsburger Unternehmen Mann + Hummel entwickelt Systeme, die winzige Teile aus dem Wasser fischen. Selbst Bakterien können gestoppt – und Wasser entsalzt werden.

Wenn man in Strandnähe planscht, huscht ab und zu ein Fisch vorbei, oder es bleiben Algen am Bein kleben. Was man weder spürt noch wirklich sieht, ist, wie viele winzige Plastikteilchen im Meer schwimmen. Unmengen von Kunststoffen werden mittlerweile in Flüsse und Ozeane gespült, gelangen über die Nahrungskette in die Organismen verschiedener Lebewesen.

 

Vor einigen Jahren ging die Vision des jungen Holländers Boyan Slat viral, der die Abfälle mit schwimmenden Barrieren auffangen will. Einen anderen Ansatz wählt der Ludwigsburger Filterspezialist Mann + Hummel: das Unternehmen entwickelt Membranfilter für Kläranlagen, damit das Mikroplastik gar nicht erst seine Reise in die Gewässer antreten kann.

Poren sind 100-mal dünner als Haare

„Stark vereinfacht gesagt, setzen wir eine Folie mit ganz, ganz kleinen Poren ein“, erklärt Werner Ruppricht, Senior Sales Director für den Bereich kommunale und industrielle Abwasserreinigung. Diese superfeinen Siebe trennen Bakterien, Mikroplastik und, kombiniert mit Aktivkohle, auch Medikamentenrückstände ab. „Das ist eine physikalische Barriere mit Poren, die 100-mal dünner als menschliche Haare sind“, sagt Dominik Schreier, Manager Engineering für Europa, den Mittleren Osten und Asien bei Mann + Hummel. In jedem Milliliter Wasser, das nach der Reinigung aus einer Kläranlage schwappt, seien in der Regel noch um die 100 000 Keime enthalten, erklärt Ruppricht. Nachdem das Wasser durch die Membrane geflossen ist, sei es annähernd keimfrei. Und wenn nach der Filtration noch eine geringe Zahl an Keimen gemessen werde, seien diese meist sogar auf Lufteintragungen zurückzuführen. Diese Präzision bei der Filterung hat den Vorteil, dass auch keine antibiotikaresistenten Bakterien mehr aus den Kläranlagen über das gereinigte Abwasser in die Flüsse abgelassen werden.

Für Ruppricht kein unwesentlicher Faktor. „Es gibt den Ausspruch, dass antibiotikaresistente Bakterien die einzigen Schadstoffe sind, die sich selbst vermehren“, sagt der Fachmann. Für die Umwelt sei das resolute Heraussieben von Kleinstpartikeln ebenfalls sehr wichtig. „Je mehr man reinigt, umso sauberer bleibt auch die Natur“, betont er. „Sehr viele Gewässer in Deutschland sind mit Schadstoffen überfrachtet. Und das hängt auch mit den Eintragungen zusammen“, bestätigt Dominik Schreier.

Ruppricht verweist auf den fatalen Einfluss der Mikroschadstoffe auf die Nahrungskette. Wasserflöhe zum Beispiel nähmen die winzigen Teilchen auf, würden von größeren Lebewesen verspeist. „Am Ende wird das gesamte Ökosystem nachteilig beeinflusst, weil Verunreinigungen in jedem Organismus nachgewiesen werden können“, fasst er zusammen.

Technik braucht wenig Platz

Für die Membranfiltertechnologie in Kläranlagen spreche ferner, dass die Kommunen und Zweckverbände dadurch viel Platz sparten und ihre Kapazitäten erweitert könnten, ohne dafür mehr Fläche zu benötigen. Bei der konventionellen Abwasserbehandlung setze sich der Klärschlamm, der durch Bakterien aus den Inhaltsstoffen des Abwassers entsteht, in den Becken ab und werde anschließend entsorgt, erklärt Ruppricht. Und je mehr Abwasser mit dieser Methode gereinigt werde, umso mehr Beckenvolumen brauche man dafür. Die rund zweieinhalb Meter hohen Membranfilter mit einer Grundfläche von etwa eineinhalb Quadratmetern seien hingegen in den Becken befestigt und reinigten das Abwasser, indem sie den Klärschlamm vom vorbehandelten Abwasser trennen. Mit derselben Beckenkapazität lasse sich so deutlich mehr Abwasser reinigen, betont Ruppricht. „Je nach Kläranlage sind bis zu 100 Membranfilter oder mehr eingebaut“, ergänzt Schreier.

Das System sei im Kommen, beteuert Werner Ruppricht. Würden Kläranlagen modernisiert oder erweitert, werde oft auf Membranfilter umgerüstet. Deutschlandweit seien die Produkte von Mann + Hummel oder der Konkurrenz schon in 30 bis 40 Anlagen im Einsatz, in 20 bis 30 weiteren in Planung. Warum nicht alle Kommunen hurra schreien, liegt aber auch auf der Hand. Der Mehrpreis im Vergleich zur konventionellen Abwasserbehandlung bewege sich pro Einwohner und Jahr zwischen elf und 22 Euro, sagt Ruppricht. „Ich finde, das ist ein vertretbarer Betrag, wenn man überlegt, dass man die Gewässer und auch die Umwelt schützt“, erklärt er.

Auch Laktose kann abgetrennt werden

Fast logisch, dass die ultrafeinen Siebe auch in anderen Feldern gefragt sind. Zum Beispiel bei der Meerwasserentsalzung. „Global gesehen ist das ein großes Thema, speziell im Mittleren Osten“, sagt Dominik Schreier. Oder auch auf den Kanaren. Dort gebe es Inseln, die so ihr komplettes Frischwasser generierten. „Da ist die Membrantechnik der Standard“, sagt er. In der Milch-Molke-Industrie sei es möglich, bestimmte Molekülgrößen, darunter Fett oder Laktose, durch den Einsatz der Membrantechnologie abzutrennen. „So wird laktosefreie oder fettreduzierte Milch hergestellt“, konstatiert er.

Winzig kleine Teilchen in riesigen Mengen

Abrieb
Von Mikroplastik spricht man bei Kunststoffen, die weniger als fünf Millimeter groß sind. Die Miniteilchen sind biologisch nicht abbaubar. Sie entstehen zum Beispiel beim Abrieb von Autoreifen, kommen laut dem BUND aber auch in der Kosmetikindustrie vor.

Nahrungskette
Der WWF schätzt, dass drei Vierteil des Plastiks, das in Deutschland unter anderem über das Abwasser in die Umwelt gelangt, Mikroplastik ist. Weil sie sich in der Nahrungskette verbreiten, seien die Miniteilchen bereits bei Vögeln oder Säugetieren nachgewiesen worden. Auch Menschen nähmen, zum Beispiel über Meersalz, längst Mikroplastik auf.