Lesegerät mit Gesundheitskarte in einer bayerischen Arztpraxis Foto: dpa

Seit 2003 lässt die Bundesregierung an einem digital vernetzten Gesundheitswesen basteln. Doch das einstige Leuchtturmprojekt elektronische Gesundheitskarte ist längst zur Lachnummer geworden. Wie soll es damit weitergehen?

Berlin - Etwa zwei Milliarden Euro sind binnen 15 Jahren in die Umsetzung der elektronischen Gesundheitskarte geflossen. Die Bundesregierung hatte das Projekt angestoßen, die Spitzenverbände von Ärzten, Apothekern, Krankenhäusern und Krankenkassen haben es mit ihrem Gemeinschaftsunternehmen Gematik umgesetzt – und verhunzt. Unzählige Pannen und Streitereien haben das Vorhaben um viele Jahre verzögert. Zwar ist die telematische Infrastruktur, mit deren Hilfe die Gesundheitsdaten von rund 72 Millionen gesetzlich Krankenversicherten vernetzt werden sollen, inzwischen endlich einsatzbereit. Noch allerdings sind viel zu wenige Heilberufler an Bord. Auf der Kippe steht das Projekt aber vor allem, weil Netzwerkstruktur und Zugangsmöglichkeiten für Patienten zumindest in Teilen nicht mehr zeitgemäß scheinen. Es folgen Fragen und Antworten zum Stand und zur Zukunft des Projekts.

Was war einmal die Grundidee der elektronischen Gesundheitskarte?
Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Apotheker und Kliniken tauschen Patientendaten über ein eigenes, streng geschütztes Kommunikationsnetz aus – eine Art Internet nur für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Die Daten sind auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) abgelegt, die jeder Versicherte besitzt. Notfallinfos, Laborwerte, Arztbriefe, Diagnosen, Therapien und verordnete Medikamente können so jederzeit von Behandlern geteilt werden. Durch die digitalen Patientenakte wird die medizinische Versorgung sicherer, besser und effizienter.
Welchen Ausbaustand hat das Netzwerk aktuell?
Ende November 2017 wurde im rheinischen Neuss die bundesweit erste Arztpraxis angeschlossen. Um die Telematik-Infrastruktur (TI) nutzen zu können, benötigen Praxen eine spezielle Hardware: ein Verbindungs- und Verschlüsselungsgerät (Konnektor), zudem ein Terminal, um die eGK einzulesen, und einen Praxisausweis. Außerdem muss das Praxisverwaltungssystem für die TI zugelassen sein. Inzwischen sind rund 10 000 niedergelassene Ärzte bundesweit an das Gesundheitsnetz angeschlossen – damit fehlen noch rund 140 000 ambulant tätige Mediziner. Hermann Gröhe, Vorgänger des aktuellen Gesundheitsministers Jens Spahn (beide CDU), hatte Ärzten mit Strafen gedroht, falls sie bis Ende 2018 nicht angeschlossen sein sollten. Die Mediziner fordern eine Verlängerung der Frist.
Was ist mit den Kliniken?
Für Krankenhäuser gibt es auf dem Markt bisher noch keinen Konnektor zu kaufen. Die beiden Modelle eines deutschen und eines österreichischen Anbieters, die bisher für Praxen verfügbar sind, können mangels Leistungsfähigkeit nicht in Kliniken eingesetzt werden. Die stationäre Versorgung bleibt damit bis auf Weiteres außen vor.
Wie können Patienten die Gesundheitskarte lesen?
Die bisherige Infrastruktur sieht gar nicht vor, dass Versicherte daheim in aller Ruhe anschauen können, was auf der Karte gespeichert ist. Derzeit ist das noch kein Ärgernis, denn auf dem Speicherchip der eGK sind zunächst ohnehin nur Stammdaten wie Name, Anschrift, Geburtsdatum und Versichertennummer vorhanden. Ändern dürfte sich das, wenn dort zusätzlich auch medizinische Informationen abgelegt werden. Das soll schrittweise umgesetzt werden und für die Versicherten freiwillig sein. Den Anfang sollen die Notfalldaten (Blutgruppe, Vorerkrankungen, Allergien) und der elektronische Medikationsplan machen. Am Ende soll auf dem Speicherchip eine vollständige elektronische Krankenakte verfügbar sein.
Wie steht der neue Gesundheitsminister Jens Spahn zum Projekt?
Der CDU-Politiker hat jüngst immer wieder erklärt, es sei nicht mehr zeitgemäß, Kartenlesegeräte an Desktop-Computern als alleinige Login-Variante vorzusehen. Er kritisiert zudem, dass Versicherte keinen Zugriff auf ihre Daten haben. Dem Minister schwebt offenbar eine Anbindung der Patienten per Smartphone vor. Spahn hat zudem angeregt, die Funktionen der Patientenkarte im Rahmen eines zukünftigen digitalen Bürgerportals nutzen zu können. Daran arbeitet Innenminister Horst Seehofer (CSU) bereits. Ziel ist, dass Bürger sich mit einer einzigen digitalen Identität am Portal einloggen können, um etwa einen neuen Pass zu beantragen oder die Steuererklärung abzugeben. Spahn hat angekündigt, das gesamte e-GK-Projekt bis zum Sommer zu überprüfen, um dann grundlegende Weichenstellungen vorzunehmen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihm freie Hand gegeben.
Welche Alternativen gibt es?

Die Konkurrenz schläft nicht. Apple, Google und Amazon haben den Markt für Gesundheitsdaten längst im Visier, ebenso viele kleinere Anbieter. Auch die Krankenkassen arbeiten längst an eigenen Lösungen für eine elektronische Gesundheitsakte. Die Techniker Krankenkasse hat jüngst ihr Projekt TK-Safe vorgestellt, das gemeinsam mit IBM Deutschland entwickelt wurde. Es handelt sich um einen digitalen Datentresor, auf den die Versicherten mit ihrem Smartphone über die TK-App zugreifen können. Derzeit läuft ein Testbetrieb, in den die Klinikkette Agaplesion eingebunden ist. Die AOK Nordost baut derzeit mit den Klinikketten Vivantes und Sana eine digitale Gesundheitsplattform auf, Partner ist der IT-Konzern Cisco.