Es war eine jeder Grundlage entbehrende Erfindung: Auf der Internet-Plattform Telegram wurde der Leiter des Kirchheimer Polizeireviers beschuldigt, seine Frau und dann sich selbst getötet zu haben. Die Urheberin der Lüge wurde ermittelt, ihr Motiv nicht.
Und schon war der Leiter des Kirchheimer Polizeireviers ein Mörder und Selbstmörder. Auf der Internet-Plattform Telegram wurde behauptet, Jürgen Ringhofer habe seine Frau und sich selbst getötet. Das war vor gut einem Jahr, im Februar 2022. Den Beweis, dass es sich um eine jeder Grundlage entbehrende Erfindung handelt, müssen Ringhofer und seine Frau gar nicht erbringen. Es reicht, dass sie quicklebendig sind. Das Problem mit der kruden Verleumdung war ein anderes: die virale Infektion, die von ihr ausging. Noch bevor das Ehepaar Ringhofer reagieren konnte, hatte die Falschbehauptung die virtuelle Runde bei Verwandten, Bekannten und Unbekannten gemacht. Das hat dem laut Selbstcharakterisierung in über 30 Dienstjahren hartgesottenen Polizisten wirklich zugesetzt – und manchmal setzt es ihm heute noch zu.
Was war geschehen? Am 16. Februar gegen 19.30 Uhr hatte ein beim Landeskriminalamt (LKA) in Stuttgart tätiger Polizist vor einem Kirchheimer Bioladen seine von ihm getrennt lebende Ehefrau erschossen und unmittelbar danach sich selbst: eine als Femizid einzuordnende Beziehungstat. Jürgen Ringhofer verbindet mit dem LKA-Beamten nichts außer der Zugehörigkeit zur Polizei. Kurz nach dem Bekanntwerden des Verbrechens war aber auf Telegram zu lesen: „Der die Tat begangen hat, ist Herr Ringhofer. Ich kenne ihn gut von den Demonstrationen am Ziegelwasen.“ Dort hatten sich regelmäßig sogenannte Querdenker und weitere Gegner der Corona-Maßnahmen versammelt. Ob die Frau, die später als Urheberin der Lüge ermittelt wurde, selbst diesem Milieu angehört, ist unbekannt.
Jedenfalls hat die Täterin „eine Lawine losgetreten“, wie Ringhofer sagt. Die Lawine traf ihn zunächst im Dienst – in Gestalt von Kollegen, die ihrerseits von einer Kollegin gehört hatten, was im Netz zirkuliert: „Sie sagten zu mir: ,Du, da wird behauptet, Du hättest jemanden umgebracht’“, erinnert sich Ringhofer. Die Kollegin hat sicherheitshalber den Telegram-Post gespeichert.
Lawine der Falschbehauptung kommt ins Rollen
Die Lawine kam mit etlichen emotionalen Kollateralschäden ins Rollen. Die infame Botschaft hatte mittlerweile die Familie und Freunde erreicht. „Der Schrecken in der Verwandtschaft hat auch zu Tränen geführt. Das ging mir sehr nahe“, schildert der 53-jährige Ringhofer. „Das Schlimmste war, dass sogar meine gesundheitlich angeschlagenen Eltern angerufen wurden, ob das denn stimme. Ich habe ein dickes Fell, aber als ich hörte, wie meine Eltern in den Strudel hineingezogen wurden, hat mich das wirklich getroffen.“ Seine Frau und er versuchten sich in Schadensbegrenzung: „Wir haben stundenlang telefoniert und gesagt: Uns geht es gut, an der Sache ist nichts dran.“
In alle möglichen Kanäle gesickert
Aber wie das eben ist, wenn Fake News, wie es im Netsprech heißt, viral gehen: Sie sickern in alle möglichen Kanäle und bleiben zumindest dort hängen, wo keine Korrektur hingelangt. Ringhofer, der gebürtige Kirchheimer, hat das kürzlich erst erlebt, als ihm zufällig eine Grundschulkameradin auf der Straße begegnete: „Sie sagte: ,Ich konnte das schier nicht glauben’.“ Was bedeutet: Sie hatte es ursprünglich geglaubt. Oder die Richtigstellung – und sei sie noch so unwiderlegbar – wird schlicht bestritten: Als die Täterin von anderen Internet-Nutzern auf ihre Fehlbehauptung hingewiesen wurde, habe sie dreist geantwortet, sie bleibe bei ihrer Darstellung, berichtet Ringhofer.
Im Raum stand nun die Frage: Warum tut jemand so etwas? Mutmaßungen und Spekulationen wühlten abermals Verwandtschaft und Bekanntschaft auf. Persönliche Rache, Hass auf die Polizei, politische Hintergründe oder bloße Wichtigtuerei? Die Frage bleibt in diesem Fall offen – bis heute. Er könne der Täterin ein Gesicht zuordnen, sagt Ringhofer. Aber er kenne sie persönlich nicht, wisse nichts Näheres über sie.
Hohe Aufklärungsquote
Der Polizeibeamte hat dann „das einzig Richtige getan“, wie er sagt: Anzeige erstattet. „Ich würde das jedem Betroffenen raten.“ Indem man sich wehrt, mache man klar, dass „das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Wer glaubt, er könne dort ungestraft Beleidigungen, Verleumdungen und Unwahrheiten verbreiten, täuscht sich. Die Aufklärungsquote ist hoch.“ Auch in seinem Fall hatten die Ermittlungen Erfolg. Das Verfahren wurde aber gegen Zahlung eines Schmerzensgeldes von 1500 Euro eingestellt. Kein Gericht hat die Täterin nach ihrem Motiv befragt, sie selbst hat sich öffentlich nicht geäußert, was sie zur Tat bewegt hat. „Ich will es gar nicht mehr wissen“, sagt Ringhofer. Das Schmerzensgeld spendet er: eine Hälfte an den Kinder- und Jugendhospizdienst Kirchheim, denn „das sind Leute, vor deren Engagement man den Hut ziehen muss.“ Die andere Hälfte ans Feuerwehrmuseum Kirchheim: ein Herzensanliegen, schließlich ist der Polizist seit seiner Jugend auch Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr.
Hohe Aufklärungsquote
Delikte
Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung und Verleumdung auf sexueller Grundlage sind Straftatbestände gemäß den Paragraphen 185 bis 187 des Strafgesetzbuches. Dabei spielt es keine Rolle, ob die betreffenden Äußerungen im Internet oder in der analogen Welt getätigt werden. Es handelt sich aber um ein Antragsdelikt, das nur verfolgt wird, wenn der Geschädigte Anzeige erstattet.
Dunkelziffer
Die Polizei geht daher von einer hohen Dunkelziffer aus. Ein typisches Täterprofil gebe es nicht, teilt das Polizeipräsidium Reutlingen mit.
Zahlen
46 Fälle von Verleumdung wurden 2021 im Kreis Esslingen gemeldet, 2019 waren es 62. Die Aufklärungsquote liegt zwischen 92 Prozent (2019) und 87 Prozent (2021).