Der „Kofferraum“ des BB-Flitzers ist recht geräumig, sogar eine Kiste Bier und etliche Einkäufe passen hinein. Foto: Jonathan Schwenk/ Eibner-Pressefoto

Seit einiger Zeit kann man in Böblingen kostenlos Lastenräder ausleihen. Wir haben den Service getestet.

Böblingen - Roland Schmitt wartet schon. Der Böblinger ADFC-Vorsitzende hat unseren Begleiter für die nächsten sieben Tage bereits am Bahnhof aufgestellt: Ein Gerät, das eher einer rollenden Wanne als einem Fahrrad gleicht und mit seiner beeindruckenden Länge aussieht, als ob die Konstrukteure einmal testen wollten, wie viel Fahrrad am Stück geht. 60 Kilo wiegt das Ding, 70 Kilometer weit reicht der Akku, und mit seinen 2,30 Metern ist es fast so lang wie ein Smart, sieht nur anders aus: Es gibt viel frische Luft, zwischen Sitz und Vorderrad haben die Erbauer eine 300-Liter-Box als Kofferraum geklemmt und der Fahrer tritt nicht aufs Gas, sondern in den Kettenantrieb.

Also rauf auf den Sattel und rein in die Böblinger Straßen. Keine so gute Idee, sagt Roland Schmitt: „Erst einmal ein paar Meter auf einer freien Strecke rollen und das Lenken testen“, lautet seine Empfehlung. Ein guter Rat: Sobald die Füße den Boden verlassen, macht sich ein Hochsee-Gefühl hinter dem Lenkrad bemerkbar. Wie ein Tanker schwankt das Riesenrad schwerfällig die ersten Meter vor dem Bahnhofsgebäude entlang. Aber dann kommt schnell Schwung in die Sache. Ist die Technik erst mal kapiert, gleitet das Gefährt geschmeidig über den Asphalt.

Motor unterstützt den Radler

Da kommt der häusliche Notstand wie gerufen: Dosen, Glasflaschen und Plastikfolien sollten längst auf den Wertstoffhof, die Vorräte neigen sich, ein Kasten Bier würde sich im Keller auch mal wieder gut machen. Alles kein Problem für die Box. Der Behälter schluckt die Fracht mit links und hat noch jede Menge Luft im Bauch. Ohne Parkplatzproblem rollt das Entsorgungsmobil wenige Minuten später direkt vor die Wertstoff-Container, bei der Brauerei nehmen wir selbstbewusst den Auto-Parkplatz: Einmal Kistentausch, bitte und schon schaukelt eine Ladung Hefeweizen mit 15 km/h die Lange Straße Richtung Käppele hinauf. „Tour“ steht auf dem Display des Fahrrads: Motorstufe 2 von 4. Da ist noch jede Menge Unterstützung in der Hinterhand.

Nix wie weiter auf die Hulb. Am ersten Ampelstau wird deutlich, was es bedeutet, mit einem Lastenrad unterwegs zu sein: brav hinten anstellen. Doch als die Ampel Grün zeigt, wartet Fahrvergnügen pur. Der Motor schnurrt eifrig vor sich hin, hinterm Lenker stellt sich ein diskretes Mit-der–Harley-auf-dem-Highway-Gefühl ein. Einziger Schönheitsfehler: das hartnäckige Gefühl, dass nicht alle Autofahrer akzeptieren, dass der Fracht-Express eine Spur für sich benötigt. Was ein breiter und gut gemachter Radweg wert ist, zeigt die Ankunft in der Herrenberger Straße. Klar über die Kreuzung geführt und sicher an den Autos vorbei, geht’s mit einem stillen Gruß an die Radwege-Planer durch das neue Fahrradparadies entlang der Calwer Straße zum Ziel.

Am Supermarkt wird dem Radler schnell bewusst, dass er ein echtes Gefährt lenkt. Der Fahrradständer ist mit dem XXL-Teil überfordert. Ein Premium-Parkplatz findet sich schließlich direkt neben dem Eingang. Allerdings: So einfach ist das nicht immer. Eine halbe Stunde später stapelt sich ein Teil des Markt-Sortiments in der Box: Nudeln, Obst, Küchentücher, Klopapier, zwölf Milchpackungen, eine Palette Katzenfutter sowie ein 30-Liter-Sack Katzenstreu. Null Problem für den rollenden Laster: Die Box schluckt den Einkauf mühelos. Bis zu 270 Kilo (inklusive Fahrer) kann der rollende Lastenesel aufsatteln.

Das Rad braucht viel Platz

Die Heimreise gerät entspannt, trotz erheblicher Tonnage im Fahrrad-Bauch. Der Motor arbeitet hörbar, die Beine unterstützen entspannt. Daumen hoch! Einziger Nachteil: Unser Laster will über Nacht auch geparkt werden. Das Auto überlässt also dem Gast den Garagenplatz.

Der Ausflugstrip mit dem neuen Begleiter führt einmal nach Dagersheim und zurück. Dort gibt’s beim Kumpel leckere Äpfel: Mit leerer Obstkiste in der Transportbox und viel Schwung geht’s los. Es saust sich flott über den Lieblings-Highway an der Calwer Straße. Schluss mit lustig ist erst, als es nach der Hulb über die Autobahn geht. Für den Gegenverkehr mit einem Transport-Bike ist der Radweg über die Brücke nicht gemacht: Also absteigen und die Entgegenkommenden durchradeln lassen. Einige Meter weiter die erneute Begegnung mit einer Unzulänglichkeit des Böblinger Radnetzes. Die 180-Grad-Kurve ins Schwippetal hinunter wird zum echten Test für das Zweimeter-Gefährt. Wir sausen auf die Haarnadel-Biege zu und schaffen es gerade so ums Eck. Mit 26 km/h rollen wir dann am Dagersheimer Hausbach vorbei. Höchstgeschwindigkeit. Der Motor regelt ab. Wer schneller will, muss ordentlich ackern und 60 Kilo per Beinarbeit nach vorne treiben.

Doch nach sieben Tagen fällt der Abschied schwer, der Transporter hat sich ein wenig ins Radlerherz eingeschmeichelt. Zum Abschluss also noch eine Genusstour übers Flugfeld: satte Straßenlage rund um den Langen See, Steilkurven-Feeling auf dem Motorworld-Parkplatz, vorbei an all den Porsches, Ferraris, Bentleys und Lamborghinis - deren Versprechen eines ultimativen Fahrvergnügens lässt uns in diesem Moment ziemlich kalt.