In der Nähe des deutschen Bundestages sind wichtige Artikel des Grundgesetzes auf einer Glaswand abgebildet . Foto: AFP/JOHN MACDOUGALL

Ein Provisorium, das zum Dauerzustand wurde: Seit 75 Jahren sorgt das Grundgesetz für politische Stabilität in Deutschland. Erst nur im Westen, seit 1990 in West und Ost. Das wird jetzt gefeiert.

Mit einem Staatsakt zwischen Reichstagsgebäude und Kanzleramt feiern die Spitzen von Staat und Gesellschaft am Donnerstag in Berlin das Inkrafttreten des Grundgesetzes vor 75 Jahren. Der 23. Mai 1949 markiert zugleich das Gründungsdatum der Bundesrepublik Deutschland. Erinnert werden soll auch an die Friedliche Revolution in der DDR, die sich in diesem Jahr zum 35. Mal jährt. Sie führte letztlich dazu, dass das anfangs nur für Westdeutschland geltende Grundgesetz zur Verfassung für ganz Deutschland wurde.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der den Staatsakt angeordnet hat, wird dabei die zentrale Rede halten. „Dieses Grundgesetz ist die Grundlage dafür, dass in unserem Staat Freiheit und Demokratie und Recht das Zusammenleben bestimmen“, schreibt Steinmeier auf seiner Internetseite. Aus seiner Sicht hat sich die Verfassung in den vergangenen 75 Jahren als stabil und anpassungsfähig erwiesen und zahlreiche Krisen und Herausforderungen gemeistert. 

Wie wird der Festakt begangen?

An dem Festakt nehmen unter anderem die Spitzen der fünf Verfassungsorgane teil. Neben dem Bundespräsidenten sind dies die Präsidentinnen und Präsidenten von Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht - Bärbel Bas (SPD), Manuela Schwesig (SPD) und Stephan Harbarth – sowie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Dem Staatsakt geht ein ökumenischer Gottesdienst mit Beteiligung mehrerer Religionen in der St. Marienkirche voraus. Die Polizei sichert den Festakt mit erwarteten 1100 Gästen mit hohem Aufwand ab. Rund 1000 Beamte sind für die Sicherheit und Verkehrslenkung im Einsatz. 

Nach dem Staatsakt werden auch die Bürgerinnen und Bürger Gelegenheit haben, ihre Verfassung zu feiern. Im Berliner Regierungsviertel wird es von Freitag bis Sonntag ein Demokratiefest geben, am Samstag auch im alten Bonner Regierungsviertel, wo Steinmeier seinen dortigen Amtssitz, die Villa Hammerschmidt, öffnet.

Was ist das Grundgesetz?

Das Grundgesetz ist die Verfassung Deutschlands. Es entstand nach dem Ersten Weltkrieg, nachdem die Militärgouverneure der Westmächte am 1. Juli 1948 die elf Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder beauftragt hatten, eine „verfassungsgebende Versammlung“ einzuberufen.

Im August 1948 wurden auf der Insel Herrenchiemsee durch den Verfassungskonvent wesentliche Vorarbeiten für das Grundgesetz geleistet. Ab dem 1. September 1948 erarbeitete der Parlamentarische Rat in Bonn das Grundgesetz, welches schließlich am 8. Mai 1949 verabschiedet und am 23. Mai desselben Jahres durch den Vorsitzenden des Parlamentarischen Rates, Konrad Adenauer, verkündet wurde. Infolgedessen wird der 23. Mai in Deutschland als Tag des Grundgesetzes begangen.

Dem Parlamentarischen Rat gehörten 65 Mitglieder an, die von den elf Landtagen gewählt worden waren. Der Rat setzte sich aus 61 Männern und 4 Frauen zusammen. Die letztgenannten Mitglieder des Parlamentarischen Rates setzten durch, dass in Artikel 3 die Norm „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ aufgenommen wurde.

Diese Norm ist allerdings bis heute, beispielsweise bei der Bezahlung im Beruf und bei der Besetzung von Spitzenpositionen, nicht vollständig umgesetzt. Der Kern des Grundgesetzes ist sein Katalog an Grundrechten in den Artikeln 1 bis 19, dessen Leuchtturm gewissermaßen in Artikel 1 steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Wie viele Artikel hat das Grundgesetz?

Das Grundgesetz wurde über die Jahre hinweg immer wieder geändert, neue Abschnitte kamen hinzu. Aus ursprünglich 146 Artikeln wurden 203. Und es gibt weitere Vorstöße, einzelne Fragen verfassungsrechtlich abzusichern. So fordert die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern.

Der Jahrestag sei ein Grund zum Feiern, „aber auch ein Grund daran zu erinnern, dass die Kinderrechte endlich den Verfassungsrang erhalten müssen, der ihnen zusteht“, sagte Claus der Deutschen Presse-Agentur. „Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz ist von großer gesamtgesellschaftlicher Bedeutung.“