Wie sicher sind Lebensversicherungen? Das fragen sich inzwischen viele Kunden. Foto: dieKLEINERT.de/Rudolf Schuppler

Immer mehr Lebensversicherer wollen Kunden im großen Stil loswerden – nach Schätzungen sind bis zu zwölf Millionen Policen betroffen. Darunter könnte die Überschussbeteiligung leiden. Verband und Finanzaufsicht beruhigen.

Stuttgart - Statistisch gesehen sind Lebensversicherungen des Deutschen liebstes Kind, wenn es um private Altersvorsorge geht. 89,3 Millionen solcher Policen sind nach Daten des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im Markt. Im Schnitt hält also jeder Bundesbürger gut einen Vertrag, auch wenn Verbraucherschützer wie der Bund der Versicherten (BdV) diese Anlageform schon immer kritisch beäugen. Nun aber sieht BdV-Chef Axel Kleinlein ein Erdbeben durch die hiesige Versicherungslandschaft gehen. „Wir sehen große Risiken für Lebensversicherte“, sagt der Assekuranz-Experte und meint damit Abwicklung immer größerer Bestände klassischer Lebenspolicen. Denn mittlerweile haben auch Marktgrößen wie Ergo und Generali bekanntgegeben, künftig nicht nur keine traditionellen Lebenspolicen mehr verkaufen, sondern sich auch von ihren Altbeständen trennen zu wollen.

Einstmals klangvolle Namen wie Hamburg-Mannheimer oder Victoria Leben werden damit abgewickelt. Das Vorgehen an sich ist zwar nicht neu. Zuletzt sind kleinere Lebensversicherer wie Arag bereits zur Tat geschritten. „Aber das Beispiel Ergo zeigt, Größe schützt nicht“, erklärt Kleinlein die neue Dimension. Nimmt man alle Assekuranz-Konzerne zusammen, die alte Lebenspolicen loswerden wollen, summiert sich das nach BdV-Rechnung auf bis zu zwölf Millionen Policen, jeden siebten bis achten Vertrag marktweit. So etwas kann man durchaus ein Erdbeben nennen, zudem die betroffenen Konzerne für ihren Radikalausstieg aus der klassischen Lebensversicherung professionelle Abwickler suchen, die ihnen ihre Bestände abkaufen. Und das ist die eigentliche Gefahr, die der BdV und andere Experten sehen. „Ein Abwickler aus China hat in Sachen Reputation nichts zu befürchten und wird seine Rendite zulasten Versicherter maximieren, wo es geht.“

Kunden dürfen nicht schlechter gestellt werden – eigentlich

Nun ist es zwar in Deutschland so, dass Kunden per Versicherungsaufsichtsgesetz auch beim Verkauf ihrer Policen nicht schlechter gestellt werden dürfen. Aber es gibt Gestaltungsspielräume, und die sieht Kleinlein bei der Überschussbeteiligung, einem für die gesamte Ablaufleistung einer Lebenspolice wichtigen Topf. Wenn ein Investor wie die zum chinesischen Fonsun-Konzern zählende Frankfurter Leben klassische Lebensversicherungsbestände kauft, sei sein Ziel, möglichst viel Rendite zu erwirtschaften, so der BdV-Chef. Diese könne man vor allem auch dadurch steigern, dass Versicherte so wenig Überschussbeteiligung wie möglich erhalten. „Ist der Vertrag erst einmal bei einer No-Name-Abwicklungsplattform ohne Reputationsrisiko, dann stehen die letzten Skrupel zur Disposition“, fürchtet Kleinlein.

Der GDV und die Finanzaufsicht Bafin halten solche Befürchtungen für übertrieben. Beide verweisen auf die gesetzliche Verpflichtung der Bafin, beim etwaigen Verkauf von Versicherungsbeständen an professionelle Abwickler darauf zu achten, dass Versicherte nicht zu kurz kommen. Sie würden alle garantierten Leistungen erhalten und auch an Überschüssen beteiligt. Die gesetzliche Mindestbeteiligung an Zins- und Risikoüberschüssen betrage 90 Prozent, was Versicherten eine starke Position verleihe. Auf ihre Kosten kämen professionelle Abwickler vor allem durch moderne IT, die niedrige Verwaltungskosten schaffe.

Erfahrungswerte, die das bestätigen könnten, gibt es in Deutschland allerdings nicht. Eine Abwicklung derart großer Bestände ist auch für die Bafin Neuland. Im Ausland haben professionelle Abwickler einen schlechten Ruf. Vergleichbar ist die Lage dort und hier aber nicht wirklich. Der BdV fürchtet, dass die Bafin primär die Sicherheit von Gesellschaften und Garantien in Verträgen im Auge habe. „Wir befürchten, dass die Aufsichtsbehörde nur unzureichend die Interessen der Versicherten vertritt, wenn es um die Überschussbeteiligung geht“, beharrt Kleinlein.

Die Verbraucherschützer sind skeptisch

Der BdV ist schon skeptisch, ob man über Versicherungsbestände in Hand von Abwicklern, im Branchenjargon Run-Off- Unternehmen genannt, nötige Informationen erhält, um sie seriös beurteilen zu können. Erst diesen Mai hat der BdV eine mit eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass es Run-Off-Unternehmen mit der Transparenz nicht so ernst nehmen. Der Verkauf von Beständen sei zwar rechtens. „Versicherte werden aber zur Ware degradiert, die man verkaufen kann“, kritisiert Kleinlein. Nicht selten haben Kunden Lebenspolicen auch wegen des guten Namens einer Gesellschaft gekauft. Nun würden sie ohne Einspruchsmöglichkeiten bei einem unbekannten Abwickler landen. Die radikale Abkehr der Konzerne vom Geschäftsmodell der klassischen deutschen Lebensversicherung sei eine Zäsur, die endgültig bestätige, dass dieses nachhaltig gescheitert sei. „Was bleibt, ist das Prinzip Hoffnung“, unkt Kleinlein. Aber falls der Verkauf der Altbestände in nächsten Monaten klappt, würden wohl noch mehr Versicherer ungeliebte Lebenspolicen abstoßen.