Rund 800 Quadrate haben die Handarbeiterinnen schon gestrickt. Foto: Sybille Neth

Im Haus der Familie arbeiten Handarbeitsfanatikerinnen gemeinsam an einem sechs Meter hohen Zelt.

Veielbrunnen - Ein „Tatort“ im Fernsehen entspricht sechs gestrickten Quadraten. So rechnet Gisela Schneider. Doch so schnell wie sie strickt kaum eine der anderen Teilnehmerinnen des Strickcafes im Haus der Familie. Auch die Routine, während des Sonntagabendkrimis mit den Nadeln zu hantieren, ohne den Faden bei den Ermittlungen zu verlieren, hat in diesem Zirkel nur noch Inge Lampen. Sie ist verantwortlich dafür, dass etwa 20 Frauen jeden Alters seit Monaten kistenweise Quadrate mit 15 Zentimetern Seitenlänge stricken und häkeln. Masche für Masche arbeiten sie an einem Gemeinschaftsprojekt mit extremen Ausmaßen: Ein Tipi mit etwa sechs Metern Höhe und vier Quadratmetern Grundfläche wollen sie im Frühjahr aufstellen. Und damit das Zelt nach einem Regenguss auch wieder trocknet müssen die Quadrate aus Acrylgarn sein. Wolle wäre zu schwer. „Das ist ein echtes Kunstprojekt“, erklärt Inge Lampen. Die Anregung hat die pädagogische Mitarbeiterin im Haus der Familie durch eine derartige Aktion der Remscheider Kunstpädagogin Ute Lennartz-Lembeck bekommen. In Köln ließ die Strick-Graffiti-Aktivistin ihr erstes Tipi aus Millionen Maschen aufbauen. „Ich bin dorthhin gefahren und habe mir das angesehen“, berichtet Inge Lampen. Die Künstlerin begleitet das Stuttgarter Strickprojekt und wird im Frühling zur Stelle sein, wenn die bis dahin 1000 Quadrate farblich sortiert und zusammengenäht werden. Sorgen macht Inge Lampen noch deren Befestigung an den gut fünf Meter langen Bambusstangen. „Wir wollen das Tipi auch transportieren, aber das geht nicht mit fünf Meter langen Stangen“, sagt Lampen.

Ute Lempertz-Lennen sieht in der Aktion vor allem die positiven sozialen Verstrickungen und Beziehungen, die sich so bilden. Bisher haben die Handarbeiterinnen, die sich jeden Donnerstag im Strickcafe treffen, rund 800 Quadrate zusammen. 220 hat allein Gisela Schneider gestrickt. Helga Szilagyi dagegen hat erst vor einem Monat mit dem Stricken von Tipi-Flicken begonnen. Sie hat die Technik im Strickcafe gelernt und ihr Können zuerst an zwei Schals für ihre kleine Tochter ausprobiert. „Ich wollte das unbedingt lernen, weil ich finde, dass eine richtige Mama stricken und häkeln können sollte“, sagt sie lächelnd. Während sie mit den Stricknadeln klappert, tobt die Tochter mit anderen Kindern im Spielbereich neben dem Cafe.

Zelte sollen Logos der Partner-Strick-Städte tragen

Das Baby von Rabiye Sönmez schläft in seinem Kinderwagen, während die Mutter sich an einem Wollquadrat zu schaffen macht. „Ich arbeite eigentlich lieber mit sehr feinen Garnen“, erzählt sie. Ihre Handtücher hat sie mit selbst gehäkelter Spitze verziert. Aber auch eine Tasche hat sie schon gestrickt. Und Laura Mack, mit 23 Jahren die jüngste im Strickcafe, wurde während eines Praktikums im Haus der Familie vom Tipi-Virus angesteckt. Das Praktikum ist beendet, aber Laura Mack kommt immer noch wegen des Tipis her. „Ich habe ein Quadrat diagonal gehäkelt“, verrät sie. „Das habe ich in Köln erlebt, als die Quadrate ausgelegt wurden, hat immer wieder eine der Frauen gerufen ‚dieses da habe ich gemacht‘“, berichtet Inge Lampen und zeigt stolz auf die Besonderheiten: Eine Quadrat trägt zum Beispiel eine aufgenähte Nikolausmütze, andere Vierecke haben ein Strukturmuster oder sind mit Blumen verziert. Dann gibt es noch das Stuttgart-Quadrat. Inge Lampen hat auf weißem Grund das Logo der Stuttgart Information mit der roten und grünen Säule, dem blauen Querbalken und dem gelben Dach gestrickt. „Das Wappen-Pferd war zu kompliziert“, sagt sie.

Das Stuttgart Quadrat hat sie mehrfach gestrickt und nach Basel und Mühlheim an der Ruhr verschickt. Auch dort stricken Frauen an Tipis, und jedes Zelt soll die Logos der Partner-Strick-Städte tragen. „Den bergischen Löwen haben wir schon“, erzählt Inge Lampen. Aber nicht nur der ist per Post bei ihr eingetroffen. Immer wieder kommen auch Päckchen mit Quadraten ins Haus der Familie, denn am Tipi wirken auch Handarbeitsfanatikerinnen mit, die keine Zeit haben, nachmittags ins Strickcafé zu kommen, aber vom Quadrate-Fieber dennoch befallen sind.

Und weil sie die Betonsäulen im Cafe so nackt fanden, haben die Strickerinnen diese auch gleich mit acht bunten Streifen bestrickt und auf jedem steht ein Willkommensgruß aus Wolle – jeweils in einer anderen Sprache.